Die hellen Tage

Neun lange Jahre haben wir gewartet. 2002 wurde Zsuzsa Bank für ihren Debut-Roman “Der Schwimmer” gefeiert und mit Preisen überhäuft. Seit diesem Frühjahr liegt mit den “hellen Tagen” ihr zweiter Roman vor. Von den Lesern geliebt, vom Feuilleton zwiespältig bewertet.

helletage“Die hellen Tage” sind ein Buch über Freundschaft und Liebe, Verrat und Aufopferung, Heimat, über Verlust und brüchige Idyllen. Vor allem aber über die Sehnsucht nach hellen Tagen. Den hellen Tagen, mit denen alles angefangen hat.

Zsuzsa Bank erzählt die Geschichte dreier Familien und die Geschichte einer Lebensfreundschaft. Einer Freundschaft, einst zwischen drei Kindern geschlossen, die sich zum Zeitpunkt der Erzählung nicht erinnern können “an eine Zeit vor dieser Freundschaft, keine Vorstellung davon, wie sie ausgesehen haben könnten, die Tage ohne einander”.
Zsuzsa Bank erzählt von den Tagen miteinander, von dieser Freundschaft, die sie in einem Dreieck hält, aus dem sie sich nie lösen konnten und wollten. Von den Mädchen Siri und Aja, von dem Jungen Karl. Drei, die “lange aneinander gefädelte helle Kindheitstage verlebten, unbelastet von den Verschattungen, die sie doch schon ahnten.”
Sie erzählt von Ajas Mutter, der Seiltänzerin Evi. Evi, die anders war als die anderen Frauen im Dorf Kirchblüt. Deren Haus eigentlich eine Baracke war, aber ein in der Zeit schwebender Ort für die Kinder und ihre Mütter, wo die “Tage hell waren, wenn sie im Schatten der Bäume Grashalme zupften”.
Sie erzählt von Zigi, Ajas Vater, der als Trapezkünstler unter der Zirkuskuppel schwebt und nur wenige Wochen im Jahr präsent ist. Wenige Wochen, in denen sie eine ganz normale Familie sein können, in denen Zigi “mit seinen schiefen Zähnen und dem wirren Haar” Aja und Siri auf seine Schultern setzt und sie lange tragen kann, ohne müde zu werden. Sie erzählt die Geschichte von Evi und Zigi, die einst eine schmale Zeitschleuse nutzten, um über Nacht und ohne Abschied aus ihrem Zirkusleben in Ungarn zu fliehen und ihr Glück in Wanderjahren im freien Westen zu suchen.
Sie erzählt von Karl, dessen Leben von zwei Sekunden bestimmt und unabdingbar getaktet ist. Den zwei Sekunden, die sein Bruder brauchte, um in ein fremdes Auto zu steigen und für immer aus aller Leben zu verschwinden.
Sie erzählt vom gemeinsamen Aufbruch der Freunde nach Rom, der Suche nach einem Ort, an dem es nie schneite, einem Ort voller Licht und Wärme. Von den Fahrten dorthin, die sie andächtig zelebrierten, die Berge hinter sich lassend, den Süden begrüßend. Rom – ein Ort, der in Seris Vergangenheit schon einmal die Rolle der verlorenen Stadt übernahm und in dem sich auch für Seri, Aja und Karl ihre Lebenswege klären und entscheiden werden.
Sie erzählt von der sich entwickelnden Freundschaft der Mütter. Der Mütter, die das Dreieck stützen, die das trotz aller Verluste immer spürbare Glück der drei festhalten, die dafür sorgen, dass ihre Tage hell bleiben können.
Schliesslich erzählt sie die unerwarteten Wendungen in Ajas Leben. Aja, die übers Eis schwebend die Gabe hatte, den Schnee zu spüren, bevor er fiel. Aja, deren Fähigkeit zur Nähe sie eine wunderbare Ärztin werden liess. Aja, deren Idylle sich als die brüchigste erwies und die mehr noch als die anderen beiden das Freundschafts-Dreieck brauchte, um sich im Leben zu halten und den Schatten, die plötzlich über den hellen Tagen lagen, zu widerstehen

Wie in ihrem Debütroman sind auch “die hellen Tage” weitgehend ein Roman übers Erwachsenwerden. Anders ist die Sprache Zsuzsa Banks. Es kündigte sich schon in ihren zwischenzeitlich erschienenen Erzählungen an, die kurzen, klaren Sätze aus dem Schwimmer sind Vergangenheit. Von den hellen Tagen erzählt Zsuzsa Bank elegisch, fast schon poetisch, auf jeden Fall eigentümlich und unvergleichlich. Unwillkürlich fragt man sich, ob man wirklich ein Buch aus unserer Welt, aus unserer Zeit in den Händen hält. Auf jeden Fall ist es ein Buch, welches den Leser lange festhält, ihn nachhaltig begleitet.
Ein bisschen schwebt der Roman, so wie Evi über Seil und Aja übers Eis. Die Handlung wird nicht stringent erzählt, Bruchstücke aus der Vergangenheit verweben sich immer wieder mit der gegenwärtigen Erzählwelt. Zsuzsa Bank widersteht jeder Reflexion. In ihrem Buch gibt es Beziehungen, aber keine Gespräche oder Analysen darüber, es gibt Lebensgeschichten, Wahrheiten und Erkenntnisse, aber keine psychologischen Studien.
Mutig wagt sie sich an Gefühlswelten. Sie weiß, welchen schmalen Grat sie damit betritt. Sie hält ihren Stil und die Balance genau wie Evi auf dem Seil und schafft es – manchmal nur haarscharf – nie die Grenze zum Kitsch zu überschreiten.
Allen Verlusten zum Trotz, allen schmerzlichen Wahrheiten die Stirn bietend, zeugt dieser Roman vom möglichen Glück. Dem Glück, Freunde und Familie zu haben, die einen tragen und auffangen. Die es ermöglichen, die “hellen Tage zu behalten und die dunklen dem Schicksal zurückzugeben.”

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main