Magnolienschlaf

Zwei Frauen, eine junge Russin und eine neunzigjährige Deutsche, sind aufeinander angewiesen: Jelisaweta braucht das Geld, Wilhelmine ist nach einem Sturz von der Leiter pflegebedürftig. Einfühlsam und umsichtig nimmt sich die Junge der dankbaren Alten an, doch plötzlich, nach einem Telefonat mit Rußland, beginnt die Katastrophe. Wilhelmine kann die Russin nicht mehr ertragen. Hilflos sucht sie das Mädchen aus dem Haus zu treiben und kann doch ohne sie nicht sein. Längst verdrängte Erinnerungen drohen sie zu überwältigen. Krieg, Angst, Verlust ergreifen Besitz von ihren Gedanken und Gefühlen und lassen keinen Dialog zu. Jelisaweta ist ratlos, aber auch entschlossen, ihre Rechte zu verteidigen. Immer wieder versucht sie die alte Frau zum Einlenken zu bewegen oder zumindest eine Erklärung zu bekommen. Was wirft sie ihr vor? Sie hat doch nichts Unrechtes getan, sich wirklich nach Kräften um die alte Dame bemüht. Froh ist Jelisaweta gewesen, der gespannten Atmosphäre daheim in Smolensk zu entkommen, wo ihre Mutter nach dem Tod der Großmutter den Boden unter den Füßen noch weiter verloren hat. Daß ihre Tochter ausgerechnet bei den Deutschen ihr Leben bestreiten will, verdrießt sie sehr. Und nun machen sich auch hier Beklemmung und Ratlosigkeit breit, verdrängen alle Freude an der ersehnten Freiheit. Wie nur, wie soll es weitergehen?
Eva Baronsky debütierte im Jahr 2010 mit dem originellen und hintersinnigen Roman „Herr Mozart wacht auf“. Nun präsentiert sie ein ganz andersartiges Werk, das durch seine Intensität und Dramatik besticht. Sie bindet ein Stück europäischer Geschichte in zwei unterschiedliche Lebenswege ein und inszeniert ein faszinierendes Kammerspiel von großer Eindringlichkeit. Diese Autorin verfügt über ungeahnte Facetten an Themen und Charakteren und begeistert ihre Leser mit magischen Geschichten.


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Berlin

Herr Mozart wacht auf

Kaum hat ihn der kalte Bruder Tod zu sich geholt, wacht Herr Mozart wieder auf – in einer chaotischen WG am Rande von Wien. Nichts ist mehr so wie vorher, nur der alte Stephansdom steht noch an der alten Stelle, sonst ist alles fremd. Menschen, Straßen und Gepflogenheiten. Wie soll er hier zurechtkommen? Der polnische Straßenmusiker Piotr bietet dem verwirrten Compositeur für gelegentliche Klavierbegleitung Kost und Logis, registriert aber schon bald, daß dieser Pianist ein genialer Musiker ist. Ansonsten jedoch stellt er sich ziemlich tollpatschig an, weiß weder mit Technik noch mit der U-Bahn umzugehen.
Als Mozart merkt, daß er quasi 200 Jahre übersprungen hat und niemand ihm diese Zeitreise glaubt, nennt er sich kurzerhand Wolfgang Mustermann und studiert beharrlich die neue Welt. Vor allem die Musik aus dem Mechanikum hat es ihm angetan. Begierig nimmt er alle Töne in sich auf, staunt über neue Strömungen ebenso wie über Altbewährtes und freut sich, daß die meisten seiner Widersacher und Rivalen vergessen scheinen. Den Nachfolgern lauscht er sehr aufmerksam: Apart findet er den lyrisch-milden Franz Schubert, recht ichsüchtig den schroffen Beethoven, der sich einen blauen Teufel um sein Publikum zu scheren scheint, oder ein wenig langatmig den ansonsten harmonischen Chopin.
Den eigentlichen Zweck seiner Wiedergeburt aber sieht der Zeitreisende in der Vollendung seines Requiems, dessen „stümperhafte“ Fortschreibung durch einen seiner Schüler er für unerträglich hält. Immer wieder ringt er sich weitere Teile des Schicksalswerkes ab. Was er sonst schreibt, stößt auf unterschiedliches Interesse: Ein Musikverleger ist perplex, empfiehlt ihm aber, sich „von Mozart freizumachen“, die Besucher eines Jazzclubs hingegen bejubeln unvoreingenommen Mustermanns geniale Improvisationskraft. Endlich entdeckt ihn ein erfahrener und wohlgesonnener Musikinstrumentenhändler und führt ihn anläßlich eines Benefizkonzerts in die gehobene Wiener Gesellschaft ein.
Doch Mustermann hat indessen Wichtigeres zu regeln: Ihm ist die Liebe begegnet, die ihn gleichermaßen beglückt und schmerzt. Mit Anju verbindet ihn vom ersten Augenblick an die innigste Seelenverwandtschaft, doch als er ihr seine wahre Herkunft offenbart, hält sie ihn für geisteskrank. Verzweifelt irrt er durch die Stadt, verursacht einen Verkehrsunfall und kommt ins „Tollhaus“. Seiner Mission aber bleibt er treu.

Unser modernes Leben mit den Augen einer anderen Zeit zu betrachten, ist an sich schon vergnüglich und kurzweilig, denn „Fuhrwerke ohne Pferde, Öfen ohne Feuer, Musik ohne Instrumente, Kaffee ohne Herdstelle“ sind nur für uns so selbstverständlich. Tiefe und Emphase aber erreicht Eva Baronsky vor allem durch die einfühlsame Darstellung der Musik als Medium zwischen allen Zeiten und Kulturen. Auf wundersame Weise findet ihr Mozart dank seines außergewöhnlichen Musikverständnisses einen erstaunlichen Anschluß an die Neuzeit, auch wenn ihn sein Temperament und seine überschäumende Phantasie des öfteren in Konflikt mit den Notwendigkeiten des Alltags geraten lassen.
Das unterhaltsame Debüt mit Hintersinn aus dem Berliner Aufbau Verlag macht gespannt auf weitere Werke aus der Feder von Eva Baronsky!


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Berlin