Vernichten

In dem dicken Roman Vernichten ist alles zu finden, was ich bei Houellebecq lesen möchte: Wir genießen es, in Frankreich zu sein. Wir essen, trinken und vögeln gut und gerne, wie immer, und dann gibt es noch neue Seiten zu entdecken.

Es kommen präzise Betrachtungen der Politik, die manchmal prophetisch erscheinen. Hier geht es um Bruno Juge, dem Wirtschaftsminister und seinen Vertrauten, Paul Raison, beide Absolventen der Grandes Ecoles, Bruno (Richter, wie wir auf Deutsch sagen würden) kommt von der Polytechnique und Paul (Recht, oder Vernunft) von der Verwaltungsuni. Die gute Arbeitsbeziehung wurde zur Männerfreundschaft in einer Hotelbar in Addis Abeba, wo Bruno stolz ist, wieder einige Atomkraftwerke vermittelt zu haben, aber dann klagt, er hätte mit seiner Frau seit 6 Monaten nicht mehr Liebe gemacht. Paul könnte berichten, dass es beim ihm schon an die zehn Jahre sind.

Zurück in Paris im Jahr 2027 sind Wahlkampfzeiten, es wird von einer Profiwerbefrau die Wahlkampagne designed, Bruno soll als Kandidat fit gemacht werden, er ist anerkannt, aber nicht beliebt. Er bekommt die junge Raksaneh als persönlichen Coach zugeteilt, die in seiner Dienstwohnung ein Laufband aufstellt und ihn Episches von Corneille zitieren lässt, beides hilft seinem Auftreten: “er strotzt vor Energie“. Später wird er dann doch nicht Präsidentschaftskandidat, für den Spannungsbogen ist das aber nicht mehr von Bedeutung.

Wichtiger ist die Serie von erst virtuellen, dann realen Sabotageaktivitäten. Im Netz kommen unverständliche geometrische Zeichen, die auch im Buch aufgemalt sind, und dann ein Video, indem Bruno von einer Guillotine, auch aufgemalt, geköpft wird. Das ist ein Fall für die DGSI (Direction générale de la sécurité en France) wo Pauls Vater früher eine Rolle gespielt hatte. Es werden Geheimdienstler und andere Spezialisten dazu befragt, wer könnte so etwas machen? Primzahlen spielen eine Rolle, Schiffe gesenkt, eine Samenbank in Dänemark wird zerstört, warum machen Menschen so etwas? Nachfolger des Unabombers? Ultralinke oder fundamental Katholische, später spricht manches für Satanisches. Geschmückt werden die Informationen über das Vernichtende von Werbung für sexy Miederwaren…

Als Kind der deutsch-französischen Freundschaft warte ich gerne auf seine kurzen Blicke nach Deutschland: Hier ist es, passend zum verstörenden „Vernichten“, der Alte Fritz, der Menschen als eine verdorbene Rasse (race méchante) bezeichnete, und sich dann mit seinen geliebten Windspielen beerdigen ließ.

Das ist so treffend ausgemalt, wie wir es von Houellebecq kennen, und dann kommt Neues, es menschelt. Pauls Vater liegt nach einem Schlaganfall im Koma, die Familie ist gefragt. Die kleine Schwester Cécile übernimmt das Kommando, sie unterstützt Madeleine, die Gefährtin des Vaters, die erst die Pflegehelferin und dann Geliebte des Witwers wurde. Cécile ist Hausfrau, streng katholisch, ihr Mann Hervé unterstützt sie, wenn es schwierig wird, kann er sich Hilfe bei seinen Freunden, den Identitären, holen. Pauls Vater erholt sich und ist dank Madeleine gut versorgt, aber das Elend der anderen Bewohner wird deutlich. Wie in Deutschland auch, werden die Seniorenwohnheime von Gewinn orientierten Ketten betrieben.

Vielleicht ist es dem Zusammensein mit seinen Geschwistern geschuldet, Paul möchte seine Beziehung zu seiner Frau Prudence wiederbeleben. Sie teilen zwar die Traumwohnung, mit Blick auf den Parc Bercy, jedenfalls so lange wie sie sie noch abbezahlen. Sonst gehen sie sich aus dem Weg. Angefangen hat es damit, dass Prudence ihn zum Vegetarier machen wollte, und seine Mahlzeiten, die er im gemeinsamen Kühlschrank lagern wollte, gar weggeschmissen hatte, vor vielen Jahren.

Aber, was tun? Ob er überhaupt noch Liebe machen kann? Er scheut keine Mühen, es wieder zu erlernen und leistet sich eine Edelprostituierte im 16. Arrondissement, deren Spezialität der Blow Job ist. Es geht noch!

Und kurz danach klappt es wieder, sie vögeln dann täglich und Paul erzählt uns seine Vorlieben (seitlich), Prudence, die er schon als „asexuell und vegan“ geschimpft hatte, entwickelt sich zu seiner und auch ihrer Zufriedenheit.

Dann bekommt Paul Mundhöhlenkrebs. Er beschreibt kenntnisreich die zu absolvierende Diagnostik, nimmt seine Diagnose gefasst auf, durchläuft die aufklärenden und beratenden Gespräche, wägt Strahlentherapie, Chemo und/oder Operation ab. Mit den üblichen Leitfäden, die zur seelischen Bewältigung empfohlen werden, kann er nichts anfangen. Er träumt dystopisches, so wie immer in seinem Leben, wenn es schwierig wird. Oft hilft ihm ein Spruch von Blaise Pascal, Philosophie ist nicht sein Ding, er hat mal ausgerechnet, dass er sich weniger als 2 Jahre mit ihr befasst hatte, damals, zum Abitur.

Ist Houellebecq nun altersmilde, hat er die Bedeutung von Frauen entdeckt? Sie sind tatkräftig, stehen ihren Mann, natürlich gibt es auch Schlampen, Schwägerin Indy etwa, die feministische, erfolglose Journalistin, oder die Gewerkschafterin im Altersheim, die die Versorgung von Pauls Vater schwierig macht. Aber Madeleine, Cécile, Prudence und auch deren Schwester, die aus Kanada zurück nach Frankreich zieht, um den verwitweten Vater zu versorgen, füllen ihre Rollen. Und mit Cécile kann man sogar über Glaubensfragen sprechen!

Mehrere hundert Seiten lang glaubte ich, dass Houellebecq an seinem Frauenbild gearbeitet hätte, bis ich den Bechdel Test machte: Er dient der Bewertung von Filmen, zur Frage, ob im Film mindestens zwei Frauen ein vernünftiges Gespräch führen, und in dem es nicht um Männer geht.

Im Buch sprechen die Frauen darüber, wie sie die kranken und alternden Männer versorgen können. Das Schicksal hat es ja so gewollt, dass Pauls und Prudences Väter Witwer wurden, und Prudence es bald sein wird. Als die Krankheit fortschreitet, sind Sabotageakte, oder gar die Präsidentschaftswahl kein Thema mehr. Es geht darum, trotz der Einschränkung gut zu vögeln. Und, der Zufall will es, Bruno und Raksaneh tun es inzwischen auch.

Auch in seiner Danksagung regt er an, Schriftsteller sollten mehr Recherchearbeit leisten. Neben Ärzten, die ihn zu den behandelten Themen beraten hatten, wird eine Frau hervorgehoben, die selbstlos ihren kranken Mann pflegt.

Den Übersetzern gelingt es, den Ton zu treffen, mit dem Houellebecq sein erotisches Begehren zum alltäglichen Anliegen macht.

Ich bin schon gespannt auf den nächsten Houellebecq. Wie der Schlingel es doch immer schafft, selbst mich alte weiße Frau zu überraschen!


Genre: Erotik
Illustrated by DuMont

Karte und Gebiet

Mit ministerieller Leseempfehlung

Auch in seinem 2010 mit dem Prix Goncourt prämierten Roman «Karte und Gebiet» greift Michel Houellebecq auf für ihn typische Motive zurück, er kritisiert den wuchernden Kapitalismus ebenso wie die bindungsarme, selbstverliebte Konsum-Gesellschaft zu Beginn des 21ten Jahrhunderts. Deren Dekadenz wird hier aber etwas weniger bissig angeprangert, der Ton des Enfant Terrible der französischen Literatur ist milder geworden. Nach wie vor jedoch spaltet er das Feuilleton in zwei Lager, was auch bei diesem Roman deutlich wird. Einer der Protagonisten ist nämlich ein gewisser Michel Houellebecq, der natürlich auch im Roman ein umstrittener Schriftsteller ist. In dieser Figur nimmt er sich als auktorialer Erzähler ironisch selbst aufs Korn, ein kreativ erdachter narrativer Coup mit einer wahrlich nicht alltäglichen Wirkung auf den verblüfften Leser.

«Die Welt ist meiner überdrüssig, und ich bin es ihr gleichermaßen» lautet ein vorangestelltes Zitat von Karl, dem Herzog von Orleans. Ein solcher Überdruss kennzeichnet auch Jed Martin, Sohn eines erfolgreichen Architekten, dessen Frau sich das Leben nahm. Als Halbwaise im Internat erzogen, hat der eigenbrötlerische 25Jährige nach dem Kunst-Studium erste Erfolge als Fotograf. Er stellt seine am Computer künstlerisch nachbearbeiteten Fotografien von Michelin Straßenkarten den entsprechenden Satellitenbildern gegenüber. Mit dem überraschenden Ergebnis: «Die Karte ist interessanter als das Gebiet». Später wendet er sich der Malerei zu und findet schließlich auch einen Galeristen für seinen Bilder-Zyklus «Serie einfacher Berufe». Bei den Vorbereitungen für seine erste Ausstellung hat Jed die Idee, Michel Houellebecq für das Vorwort zum Katalog zu gewinnen. Und tatsächlich gelingt es ihm, den berühmten Schriftsteller zu überzeugen. Jed verspricht ihm, neben dem Honorar von zehntausend Euro ein Portrait von ihm zu malen und es ihm dann nach der Vernissage zu schenken. Prompt wird Jed zum gefeierten Star der französischen Malerei, er erzielt Höchstpreise, alle Bilder werden verkauft, schlagartig ist er ein reicher Mann – und hört endgültig auf mit dem Malen.

Während in dem dreiteiligen Roman, auch durch diverse Rückblenden, zunächst die Geschichte von Jed Martin erzählt wird, ist der dritte Teil ganz dem Schriftsteller Michel Houellebecq gewidmet, der Opfer eines bestialischen Mordes wird. In zwei Handlungssträngen wird so ein durchaus spannender Krimi mit dem Künstler-Roman verknüpft. Im Jahre 2035 erleben wir Jed dann am Ende als 60jährigen in seinem festungsartig abgesicherten, riesigen Landsitz. Dort hat er sich filmisch zunächst der lebenden Vegetation gewidmet, die er mit extremem Zeitraffer in kurze Sequenzen verdichtet. Später beschäftigt er sich künstlerisch mit dem allmählichen Zerfall von Gegenständen, die er auf gleiche Weise erfasst und dann mit den Pflanzenvideos zusammenmischt. «Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon» lautet sein resignatives Motto.

Seine zwei sozial verkümmerten Protagonisten schildert Houellebecq als harmlose Egozentriker. Mit einer Fülle von Motiven und durch allerlei zeitkritische Reflexionen angereichert, beschreibt er nüchtern und beiläufig so unterschiedliche Gegenstände wie den von der Geldschwemme befeuerten Kunstmarkt, die Technik von professionellen Fotoapparaten oder die Tücken einer akustisch virilen Heizung. Er beschäftigt sich aber auch mit Hunden, Insektensammlern, Silikonbrüsten, dem Schweizer Sterbetourismus und anderem mehr. Sprachlich souverän und anspielungsreich vereint der Autor diese disparaten Motive in einem wagemutig konstruierten Plot, stellt die Persiflage auf seine Person neben den Horror-Thriller, fügt Beziehungs-Geschichten und Vater-Sohn-Probleme ein. Am Ende ist Frankreich dann zum reinen Tourismusland geworden, eine postkapitalistische Dystopie. Genau deshalb hat Wirtschafts-Minister Montebourg diesen Roman zum Lesen empfohlen, – dem schließe ich mich rein literarisch gerne an!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Unterwerfung

houellebecq-1Skandalöser Nonsens

Am 7. Januar 2015, dem Tag des Charlie Ebdo Anschlags in Paris, erschien «Unterwerfung», sechster Roman des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq, eine geradezu unheimliche Koinzidenz. Denn die futuristische Thematik des Romans von der Islamisierung Frankreichs nach der Wahl eines Moslems zum Präsidenten löste natürlich eine kontroverse Diskussion aus. Dem Enfant terrible der französischen Literatur wurde vor allem Islamophobie vorgeworfen, das Buch sei eine Provokation. Sein Statement, der Islam sei die dümmste aller Religionen, hat der streitbare Agnostiker später, nach der Lektüre des Korans, allerdings relativiert.

Ich-Erzähler François, Dozent für Literatur an einer Pariser Universität, egozentrischer Single Mitte vierzig, ein Macho mit wechselnden Beziehungen zu halb so alten Studentinnen, beobachtet als politisch wenig Interessierter den Wahlkampf 2022. Der steht ganz im Zeichen des drohenden Wahlsiegs von Marine Le Pen, den die anderen Parteien unbedingt verhindern wollen. Durch clevere Wahlbündnisse gelangt ein muslimischer Politiker an die Macht und krempelt, – darin Hitler vergleichbar -, innerhalb kürzester Zeit den Staat völlig um. Der islamische Staatspräsident führt eine theokratische Verfassung ein und etabliert die Scharia, fortan gilt also das Patriarchat, die Polygamie ist damit erlaubt, überaus freudig begrüßt natürlich von dem sexistischen Helden des Romans. Viele Juden verlassen das Land fluchtartig, die Franzosen aber konvertieren in Scharen zum Islam, am Ende auch François.

Dieser Plot ist derart abstrus, dass beim Lesen ganz schnell deutlich wird, hier handelt es sich um eine Farce, eine ironisch überzeichnete Falle für die konservative Leserschaft, in die denn auch prompt reichlich hineingetappt wurde, wie die öffentlichen Reaktionen belegen. Seine zweifellos satirisch aufzufassende Handlung unterlegt der Autor mit einer provokanten Gesellschaftskritik, wobei seine Skepsis auch die Sexualität mit einschließt, die er aus einer abstoßenden Macho-Perspektive pornoartig in seinen Text integriert. In einer Danksagung bekennt Houellebecq seine Unkenntnis der universitären Interna, die er ebenso wie diverse Erörterungen politischer, sozialer, historischer und literaturwissenschaftlicher Art in die Erzählung einfügt, oft in Form ausufernder Monologe. Sehr ausführlich wird dabei immer wieder der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans erwähnt und zitiert, der Thema für die Dissertation seines auch später ziemlich einseitig interessierten Protagonisten war. Diese üppige Intertextualität bezieht auch viele andere Autoren aus dem literarischen Kanon Frankreichs mit ein.

Ob man unter Freiheit leiden könne, wie es hier quasi der Titel schon postuliert, gehört zu den verstörenden Ungereimtheiten einer wegen ihrer klaren, unverschnörkelten Sprache leicht lesbaren Geschichte, die geradezu cool erzählt wird. Als Beleg für den Drang nach «Unterwerfung», was das arabische Wort «Islām» ja wörtlich bedeutet, führt Houellebecq ausgerechnet «Die Geschichte der O» von Pauline Réage an, da fällt mir dann wirklich nichts mehr zu ein! Und dass innerhalb weniger Wochen halb Frankreich zum Islam konvertiert, attraktive Französinnen plötzlich in Sack und Asche herumlaufen, Saudi Arabien die Pariser Universitäten als Privatinstitute übernimmt und die Bezüge der Lehrkräfte verdreifacht, Europa sich atemberaubend schnell auf den Spuren des Römischen Reiches nach Nordafrika und dem Nahen Osten hin ausdehnt, all das gehört zum skandalösen Nonsens, den Houellebecq da unbeirrt von sich gibt, – auch seine enge Beziehung zum Raelismus spricht übrigens Bände! Gerade der Skandal aber, hat er den Kritikern entgegengehalten, sei ein wichtiger Bestandteil seiner Strategie auf dem Buchmarkt, -und die ist denn wohl auch aufgegangen, wie die hohen Auflagen beweisen. Wer hingegen einen wirklich guten Roman über den Islam lesen will, dem sei «Kompass» von Mathias Enard empfohlen, dem Anti-Houellebecq.

Fazit: miserabel

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dumont Köln

Karte und Gebiet

Houellebecq zählt zu den umstrittensten Literaten unserer Zeit. Für sein jüngstes Werk »Karte und Gebiet« erhielt er den Prix Goncourt, den bekanntesten französischen Literaturpreis. Der flüssig geschriebene Gesellschaftsroman über den Kunstbetrieb ist bizarr, verstörend und verfügt über eine unwiderstehliche Sogwirkung. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by dumont Köln