Paare, Passanten

strauss-1Kunst plus Haltung

Als Schriftsteller ist Botho Strauß hauptsächlich durch seine erfolgreichen Bühnenstücke bekannt, sein episches Werk besteht neben einigen wenigen Romanen aus schwer einzuordnender Prosa, zu der auch «Paare, Passanten» gehört. Wir haben es hier nicht mit einem Roman im klassischen Sinne zu tun, auch wenn dieses 1981 erstmals erschienene Prosawerk später in die Bibliothek «Große Romane des 20. Jahrhunderts» der Süddeutschen Zeitung aufgenommen wurde. Vielmehr handelt es sich um eine fragmentarische Textsammlung zu verschiedenen Themen, die dem 37jährigen Autor auf der Seele brannten, man merkt sein Engagement, aber auch seine Ungeduld angesichts ihm gegen den Strich gehender Erscheinungen, Befindlichkeiten, Fehlentwicklungen, und zwar solche des Menschen im Allgemeinen und der bundesrepublikanischen Gesellschaft jener Jahre im Besonderen. Insoweit verspricht dieser Prosaband aus der Feder eines Dramatikers, der hier wie dort gerne Tacheles redet, reichlich Material zur geistigen Auseinandersetzung zu liefern, und in der Tat, der Leser bekommt Impulse für das Training seiner grauen Zellen in überwältigender Fülle.

In sechs Abschnitte gegliedert und aus der Ich-Perspektive erzählt breitet der Autor seine Beobachtungen und Reflexionen in unterschiedlich umfangreichen, skizzenhaften Textfragmenten vor dem Leser aus. Es beginnt wie im Buchtitel mit «Paare», dem längsten Abschnitt, in welchem Beobachtungen aus dem unerschöpflichen Fundus der Beziehungen zwischen den Geschlechtern analysiert werden, allerdings aus einer unverkennbar männlichen Sicht, was denn auch prompt scharf kritisiert wurde. Verblüffend ist, wie genau Botho Strauß hinschaut, selbst aus den kleinsten Regungen seiner Probanden, – denn so kommen sie einem wirklich vor, seine Figuren aus der Gegenwart Anfang der Achtzigerjahre -, zieht er messerscharf seine Schlüsse, entlarvt er unterschwellig Vorhandenes als Ursache auffälliger menschlicher Verhaltensweisen. Nach, wie ich meine, weniger interessanten Betrachtungen im Abschnitt «Verkehrsfluss», die im Wesentlichen die Verhaltensphysiologie betreffen, wendet sich der Autor im dritten Abschnitt unter dem Titel «Schrieb» dem zu, was literarisch interessierte Leser nun sehr direkt berührt, der Schriftsteller als solcher nämlich, einerseits als Kunstschaffender, wenn er denn gut ist, und andererseits als Denker und Mahner. Seine Haltung erscheint dabei nicht weniger wichtig als seine Schreibkunst, Erstere setzt vielmehr, was seine Reputation anbelangt, langfristig die Maßstäbe. Dabei plädiert der Autor vehement für ein von jedweder Dialektik befreites Denken, auch wenn wir so «auf Anhieb dümmer» denken würden.

Nach zwei weiteren Abschnitten unter den Titeln «Dämmer» und «Einzelne» folgt im letzten, zweitlängsten Abschnitt «Der Gegenwartsnarr» eine Analyse des Autors zu Themen wie Angst, Atomkrieg, Nazi-Erbschaft, Identität, Glaube, Kunst, Ökologie, aber auch zu verschiedenen Aspekten der Tagespolitik jener Zeit, zum technischen Fortschritt und natürlich zu den Medien. All diese mehr oder weniger kurzen Skizzen fügen sich zu einem Gesamtbild, das uns eine überaus pessimistische Weltsicht eines deutschen Autors präsentiert, der sich fast schon wie ein Misanthrop gebärdet in seiner grenzenlos scheinenden Skepsis. Denn all die Übel dieser Welt sind selbstgemacht, von «Gegenwartsnarren», so sein Tenor.

Nun haben wir es leicht, mehr als dreißig Jahre später schlauer zu sein, die düsteren Vorhersagen sind mal wieder nicht eingetroffen, warum sollte es Botho da besser ergehen als Kassandra? Gleichwohl ist es lohnend, den von Neologismen (Saisonliteraten, Grauzonengeschlecht) nur so wimmelnden Reflexionen, Aphorismen und Kurzgeschichten dieses sprachlich hochklassigen Autors zu folgen. Den Leser erwartet eine nicht gerade leichte, völlig humorfreie, aber sehr bereichernde Lektüre eines kunstsinnigen Mahners, den außer seiner literarischen Kunst auch eine unduldsame Haltung kennzeichnet.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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