Wiedersehen in Howards End

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Fünf Jahre nach seinem ersten Roman erschien 1910 schon Edward Morgan Forsters «Wiedersehen in Howards End», das fünfte seiner in schneller Folge herausgegebenen epischen Werke. Der vorliegende Roman wurde dann 39 Jahre später auch auf Deutsch veröffentlicht, einem breiteren Publikum aber wurde der Autor erst nach Verfilmung einiger seiner Romane Ende der achtziger Jahre bekannt. Als Altphilologe und Historiker gilt das Augenmerk dieses weitgereisten Schriftstellers den Konflikten, wie sie zwischen unterschiedlichen Ethnien ebenso entstehen wie zwischen den sozialen Gruppen eines Volkes, den Geschlechtern oder den Generationen. Hier im Roman sind konservativ englisches und idealistisch deutsches Wesen gegenübergestellt, erbbegünstigt Reiche und unverschuldet Arme, quirlige Städter und schwerfällige Landbewohner, andächtig Kulturbeflissene und geldgierige Geschäftsleute.

Eingebettet sind diese Konflikte in einen Plot, bei dem zwei Schwestern mit hälftig deutschen Wurzeln im Mittelpunkt stehen, Margaret Schlegel und ihre um einiges jüngere und attraktivere Schwester Helen. Sie sind früh verwaist, inzwischen beide schon etwas altjüngferlich, sorgenfrei wohlhabend, geistig rege, debattierfreudig, kulturell interessiert. Ihre Wege kreuzen sich mit der archetypisch englischen Familie Wilcox, der Mann erfolgreicher Unternehmer mit einer sehr naturverbundenen Frau, ihnen gehört der schöne Landsitz Howards End nahe London. Dort findet dann auch Helens ebenso harmlose wie kurze Liebelei mit einem der Wilcox-Söhne statt und setzt ein schicksalhaftes Räderwerk an Geschehnissen in Gang, welches, man ahnt es ja schon vom Romantitel her, am Ende alle in eben dieses Landhaus zurückführt. Margaret als Ehefrau des verwitweten Wilcox-Patriarchen, Helen als Mutter eines unehelichen Kindes mit einem so gar nicht standesgemäßen, verheirateten Erzeuger, den dort überraschend auch noch der Tod ereilt.

Der Weg dorthin geleitet den Leser in einer betulich erzählten Geschichte nicht nur durch eine längst vergangene, spätviktorianische Epoche kurz vor dem ersten Weltkrieg, er beleuchtet zudem eindrucksvoll den Kampf zwischen stockkonservativ Denkenden und liberalen Freigeistern. Gleichberechtigung ist noch ein fernes Traumziel, obwohl die emanzipierten Schwestern ihren männlichen Kontrahenten häufig geistig überlegen scheinen, deutlich wendiger sind, zudem auch einfühlsamer, selbst in den schwierigsten Disputen. Und schließlich gibt es ja immer wieder jene segensreiche Zeremonie, die in England geradezu sakrosankte Teestunde, die dann oft auch dazu beiträgt, dass sich alles wieder einrenkt. Forster reichert seinen Plot mit vielen Betrachtungen über Kunst und Natur an, geht philosophischen Fragen nach, hinterfragt skeptisch den technologischen Fortschritt und weist auf dessen negative Folgen hin. All dies bewirkt im Kontext mit einer flüssig lesbaren, anschaulich erzählenden Sprache ein kontemplatives Leseerlebnis, bei dem einige überraschende Wendungen im Geschehen über etliche durchaus vorhandene Längen hinwegtrösten.

Die Seele geht als Sieger hervor im Kampf mit Konvention und Standesdünkel, das ist die Botschaft dieses Romans, und Frauen mit ihrem Idealismus sind dabei die besten Vollstrecker, ihr Gefühl siegt über den nüchternen Verstand. Alle Figuren sind stimmig beschrieben und erwecken durchaus Empathie beim Leser, die Handlung wird zum Ende hin sogar fast spannend und erscheint weitgehend plausibel. Allerdings kam mir Forsters Prosa wie mit Patina bedeckt vor, glanzlos jedenfalls, ohne Esprit, und humorfrei außerdem, was man bei einem der doch für ihren trockenen Humor bekannten englischen Autoren besonders schmerzlich vermisst. Dieser Roman ist das Portrait einer längst vergangenen Zeit, wie man es schon zu kennen glaubt aus etlichen anderen Romanen, es fügt dem Bild seiner Epoche nichts nennenswert Neues hinzu. Das Lesen lohnt sich trotzdem, am besten gemütlich und entspannt bei einer Tasse guten Tees!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main