Helltal

von Mathias Scherer

Der schnodderige und etwas abgerissene Ex-Polizist und Ex-Junkie  Mark Andersen wird beauftragt, seinen besten Freund aus Jugendtagen vom Vorwurf des Mordes zu entlasten. Er muss aus Berlin zurück in das Kaff seiner Eltern mitten im Pfälzer Wald: Helltal. Sein Freund Stephan soll den Lebensgefährten seiner Ex-Frau brutal ermordet und verstümmelt haben. Widerwillig taucht Andersen ein in die spießbürgerliche kleingeistige Welt, die er vor über 25 Jahren verlassen hat. Und stößt genau auf das, was er erwartete: Sippschaften, Heimlichkeiten, Verbindungen und ein Sammelsurium aus Egoisten, Hinterwäldlern und berechnenden Figuren. Dass er emotional enger in diesen Mordfall verstrickt ist, bemerkt er erst, als es kein Zurück mehr gibt.

Als Andersen in Helltal ankommt, findet er es kaum verändert vor. Er trifft auf ehemalige Klassenkameraden und Einheimische, die sofort dicht machen, als bekannt wird, dass er den Mörder von Trautmann finden will. Trautmann war zu Lebzeiten ein “Star” in der Provinz. Fußballgott, Frauenheld und Widerling. Es gab viele Gründe, ihn aus dem Weg zu räumen. Je tiefer der trotz seiner lässigen Art exzellente Ermittler in die Verstrickungen der Personen untereinander eindringt, desto mehr erkennt er, dass die Ursachen für den Mord weit in der Vergangenheit liegen und einige seiner ehemaligen Kollegen durchaus ein Motiv gehabt hätten. Die Zusammenhänge werden klarer und er erkennt, dass er in diesem Fall nicht so handeln kann wie in anderen Fällen. Er muss eine Lösung finden, die der Gerechtigkeit dient, aber vor dem Recht verborgen bleibt.

Mathias Scherer schildert sehr detailreich die Personen und ihre Beziehungen untereinander. Je weiter er zurückgeht in die Vergangenheit, desto durchsichtiger werden für den Leser die Verschachtelungen, die unter den agierenden Personen entstanden sind und die bis heute noch Gültigkeit haben. Unter der Decke des Spießertums lauern Abgründe. Weil man diesen Schilderungen folgt und unbedingt wissen möchte, warum das Opfer ums Leben kam, glaubt man nach kurzer Zeit, dass es sich um das typische Klischee eines Dorfes handelt: Es gibt einen Mörder, den alle kennen und alle decken, weil das Opfer es verdient hatte zu sterben. Aber so einfach macht es der Autor seinen Lesern nicht.

Mathias Scherer führt den Leser zurück in die 70er und 80er Jahre, indem er die Geschehnisse aus dieser Zeit mit dem passenden Soundtrack unterlegt, weil er Titel und Interpreten gleich mitliefert. Während des Lesens ertappt man sich dabei, fröhlich mitzusummen, obwohl es um einen spannenden Krimi geht. Erst nach einigen Kapiteln erschließt sich dem Leser der Grund für diese Rückblicke und dann kommt man von den Protagonisten nicht mehr los. Dem einen möchte man eins auf die Nase geben, dem anderen erzählen, dass er dummes Zeug redet und die Frauen möchte man ohnehin durchschütteln und ihnen erklären, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind. Der Autor schält in Schichten die Charaktere heraus und schildert sie schonungslos in ihrem Wesen. Nachdem man sie alle kennengelernt hat, kommt ein leiser Verdacht, dass in dieser Geschichte ein Stück “Andersen” steckt und dass der Ermittler aufgrund seiner Beziehungen zu den Dorfbewohnern passiv mit in dem Mordfall steckt. So liest man Seite um Seite, auf die Uhr schielend, weil es schon spät ist, bleibt aber trotzdem dran. Stellenweise macht der Autor abrupte Sprünge in seinem Text, die zuerst verwirren, aber dann dafür sorgen, dass man wieder hellwach ist und weiterliest. Clever. Das Ende ist völlig überraschend und so perfekt konstruiert, dass auch der Leser Gande walten lässt und es so akzeptieren kann. Auf dem Weg zur Auflösung hat man reichlich Personen in Verdacht, aber Mathias Scherer hat es grandios verstanden, den Leser eines Besseren zu belehren.

Hervorragend.

 


Illustrated by neobooks Self Publishing