Weltgift

ROSEGGER_Weltgift_300_CMYKWie gern verachtet man gegenwärtig Peter Rosegger. Wie emsig wird ihm das Mäntelchen des Naturpoeten ohne Tiefgang umgeworfen, oder er gar zum verdächtigen Blut- und Boden- jedenfalls Heimatdichter herabgewürdigt. Und das ohne dem Begriff Heimat nur ansatzweise neutral gegenübertreten zu wollen. Meist kennen die Rosegger-Verhöhner kein einziges seiner Bücher. Vom Überblick seiner Werke ganz zu schweigen. Was dann nämlich an Weltfreundschaft, an Natur- und Tierliebe und an Menschenglaube zum Vorschein käme würde all die heutigen Propheten des Negativen (die Modernedichter) durch Charme und Wohlklang foltern. Den potenziellen Rosegger-Lesern aber erschlösse sich eine stimmungsvolle Welt, in der Sinn und Schönheit zugegen sind. Und alles trotz der unmittelbaren Nähe zu gesellschaftskritischen Aussagen über menschliche Not und karger bäuerlicher Realität. Dem verkitschten Rosegger Bild – dessen Rahmen wohl die Nazis vorgeätzt hatten – würde schnell eine Aufnahme in die Ahnengalerie des Weltschriftstellertums folgen. Und Leser und Autorenschaft könnten sich an diesen Romanen erfreuen und aus ihnen lernen. Ein Einstieg dazu ist Weltgift, bewusst vom couragierten Wiener Septime Verlag ausgewählt, um das Bild zurechtzurücken …
Ein von wohl narzisstischem Hass und Depression angekränkelter Unternehmersohn will nicht mehr in der Firma des Vaters arbeiten … er verschmäht die Konventionen, das falsche, diplomatische Getue seines Vaters mit den Kunden… Hadrian möchte etwas erleben, sehnt sich nach intensivem Lebensgefühl. Und er möchte Bedeutendes leisten. Die Gelegenheit bietet sich, als der Vater nach einem bissigen Streit ihn enterbt, Hadrian aber mit dem Pflichtanteil sich leicht das heruntergekommene Schloss Finkenstein kaufen kann, wo er im großen und modernen Stile Landwirtschaft zu betreiben beabsichtigt. Er stellt einen sich geschickt anpreisenden Gutsverwalter ein, teilt Hoffnungen und Sorgen mit Sabin, dem Kutscher, der schon in der Stadt der Familie gedient hatte.
Der Junge wächst dem Gutsbesitzer zunehmend ans Herz, er scheint die einzige Person, auf die sich Hadrian tiefer einlassen kann; Sabin will aber nicht Kammerherr spielen, sondern lieber im Stall bei seinen Pferden weilen.
Der Gutsverwalter entpuppt sich als Betrüger, nach einem schweren Unwetter mit reißenden Fluten liegt Finkenstein darnieder; die Versicherungsprämien für solche Schäden wurden allerdings nicht abgeführt, und auch Zulieferer aus dem Umland nie bezahlt … also muss Hadrian sein Schlossherrenabenteuer sausen lassen.
Er und Sabin, den er mittlerweile adoptiert hat, kaufen ein kümmerliches Gebäude abseits des Lindwurmhofs. Der Lindwurmbauer benötigt Geld, zwei seiner Söhne schickte er in die Stadt zum Studieren. Der eine Philosoph, der andere Arzt – beide ohne „passende“ Posten – tauchen in kurzem Abstand wieder am heruntergekommenen elterlichen Hof auf; dramatische Diskussionen stören den Frieden der Abgeschiedenheit.
„Barmherzigkeit“, rief der erregte Doktor (der Philosophie) und schlug die Hände zusammen. Barmherzigkeit sei ein Krebsschaden. Sie päppele die Kranken und Krüppel auf, wodurch das Menschengeschlecht immer mehr herabkomme. Die Geduld sei ein Unding, weil sie der Unzulänglichkeit Vorschub leiste. Alle sogenannten Wohltätigkeitsorganisationen seien von Übel, weil sie den Menschen beugen nach etwas das nicht der Mühe wert ist. Das sogenannte allgemeine Menschenrecht sei eine Torheit, weil nur der ein Recht habe, der etwas leistet. Der Starke sei im Recht, und der allein, und sein Recht und seine Pflicht sei, die Schwachen auszurotten und sich nur mit Starken zu verbinden. So sei es, und er hätte da was gesagt, das jeder Gebildete längst wisse. – Bei dieser Preisrede auf die Kraft hatte er sich in so eine nervöse Aufregung hineingeredet, dass seine Hände zitterten. Wie ein Gifthauch schauerte es durch den ganzen jungen Menschen.
Weitere Streitgespräche folgen. Der Religionsfeind Nietzsche und der große Versöhner Tolstoi stehen in ihren Ideen auf dem Bauernhof einander schroff gegenüber. Rosegger fasst die menschenverachtende Ideologie Nietzsches, der auch heute von Linken wie Rechten geschätzt wird, erschreckend klar zusammen. Was auf Nietzsches Größenphantasien folgte, darf als bekannt, wenn auch nicht aufgearbeitet, vorausgesetzt werden. Doch es ist Rosegger, der als Naivling verspottet wird, als Waldbauernbub und Romantiker – gar als reaktionärer Ideologe. Dabei lugen in seinen Büchern stets fruchtbare Erde und das Grün des Lebens aus den Schutthaufen und dem Grau der Städte, die gerade zu seiner Zeit das Land und die Bauern gierig verschlingen. Die Industrie frisst die Bauernhöfe, die Wälder, verdaut die Knechte und spuckt Proletariat und Heimatlose aus. Und naiv ist Rosegger nie: Er bekennt sich allerdings selbst in den schlimmsten Zeiten zu einer Literatur, die erbaut, die nicht Mistkübel des Schriftstellers ist, der dem Leser hochtrabend übergestülpt wird, sondern zu Wachstum und moralischer Anleitung der Leute dient. Die Schichten aus Staub, Ziegeln und Asphalt, die dazumal schon die Seelen der Menschen erstickten, klopft er ab, lässt sie im frischen Wind in den Hochtälern erschauern, in der Sonne über den Smognebeln leuchten. In „Erdsegen“, wo ein Journalist aufgrund einer Wette die Schreibstube mit der Einschicht tauscht, unterweist er den Leser in ehrliche bäuerliche Arbeit, berichtet von Anstrengung, Mut, Zuversicht, Aufrichtigkeit, Anstand und Liebe. Und das in derart liebevoll humorvollem Ton – der aber edler Würde und Schönheit weicht, wo Witz nur der Distanz zum Leben diente –, dass der moderne Leser nur so ins Staunen und Schwärmen gerät (wenn er denn dazu überhaupt fähig ist).
Auch in Weltgift gibt Rosegger nicht billig-eitler Verachtung der Protagonisten nach. Wenn auch so etwas wie Hoffnungslosigkeit und Bitterkeit mit dem entwurzelten Stadtmenschen durchscheint, was in der Bemerkung gipfelt, „dass ein Mensch, dessen Seele von Weltgift zerfressen ist, nicht in die ländliche Natur zurückkehren kann und soll.“
Auch im vielgescholtenen Buch „Waldheimat“ findet der offenherzige Leser keine verkitschte Sicht auf Natur und Landleben. Der Tod ist steter Begleiter der ärmlichen aber doch meist zufriedenen Landbevölkerung. Was Rosegger vollbringt, ist, den Bauern und andern Landbewohnern, die heute eher aus dem Heimatmuseum bekannt sind – Pecher, Ameiser, Kohlenbrenner, Kräuterer – eine Stimme zu verleihen, Identität und Persönlichkeit. Die Menschen aus den abgelegenen Provinzen holt er somit ins Blickfeld, ins Bewusstsein der Stadtmenschen: eine vornehme Aufgabe, würde ich meinen. Dass später andere Schriftsteller, Franz Innerhofer beispielweise, eine weitere Schicht der Landbevölkerung literarisch erschließen, nämlich die Knechte und Mägde, deren Leben sich sicherlich extrem mühevoll gestaltete, (was aber ist zu den Knechten oder verarmten Bauern zu sagen, die jeweils zu Dutzenden in Kellerlöchern in der Stadt hausten, wo sie als Industrieproletariat bis aufs Blut ausgebeutet wurden – was Rosegger in Weltgift ja ebenfalls thematisiert) stellt die logische Fortsetzung in der Literaturgeschichte dar: Keine der Sichtweisen ist die richtigere.
Allerdings haben bei Innerhofer Depression, Trübsinn, Kälte und Distanz die Oberhand gewonnen – vielleicht zurecht – aber die modernistische Sicht der Dinge ist aus ganzheitlicher Haltung zumindest hinterfragbar. Was Rosegger vermag, gelingt modernen Dichtern nimmermehr. Das sage ich voller Überzeugung eingedenk einer Stelle aus „Erdsegen“, in der er die allgewaltige Natur dem Protagonisten das Numinose unendlich mal eindringlicher predigen und vor allem begreifen lässt, als jemals von einer Kanzel gehört.
Weltgift nun als Einstieg in die reiche und wundervolle Welt Peter Roseggers zu empfehlen, die Wurzeln der urbanisierten Welt aufzugreifen, um Fehlentwicklungen besser abschätzen zu können, scheint mir gerade heutzutage höchst angebracht.

Peter Rosegger: „Weltgift“, Septime Verlag Wien, 2016, geb. 334 S. ISBN: 978-3-902711-59-5


Genre: Heimatliteratur, Romane
Illustrated by Septime Verlag Wien

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