Content

Content. “Ich schaue aus dem Fenster. Menschen schwimmen auf Schlauchbooten vorbei.” Der sechste Roman des Jungautors, Poetry Slammers und Musikers Elias Hirschl und sein zweiter beim Zsolnay Verlag. Der Vorgänger, “Salonfähig”, machte ihn über Nacht “weltberühmt in Wien“, da er so ca. haargenau das Leben und Milieu eines österreichischen Spitzenpolitikers beschrieb noch bevor dieser wirklich öffentlich bekannt war. Ob Hirschl mit Content eine ebenso prophetische Gabe an den Tag legt, wird wohl die Zukunft weisen, denn bei Content handelt es sich um eine Dystopie: “Kein Gas mehr, kein Strom mehr. Kein Internet mehr. Kein Leben mehr. Das ist niemand mehr. Keine Menschen. Kein Boden. Keine Luft.” Zumindest eine Dystopie für die ChatGPT-Generation…

Content-Farm Smile Smile Inc.

In dieser Zukunft, der Zukunft des Romans, geht nichts weniger als die Welt unter. Aber es ist nicht weiter tragisch, weil die handelnden Personen ohnehin ihr Second Life als Avatare im WWW haben. So auch die namenlose Protagonistin des Romans, die für die Content-Farm Smile Smile Inc. arbeitet und sinn­befreite Listen-Artikel, die Clicks generieren sollen (“Nummer 7 wird Sie zum Weinen bringen!”), schreibt. Vielleicht hat Hirschl sogar schon seine Prophetengabe auch mit diesem Roman bewiesen, denn tatsächlich geht es schon um die Generation ChatGPT noch bevor sich diese wirklich generiert hat oder existiert oder formiert. “Politisch, prophetisch und zumindest so lange lustig, bis einem das Lachen im Hals stecken bleibt“, ist wohl die treffendste Beschreibung eines Verlagstextes zur Bewerbung eines Buches, die ich je las.

Form follows function

Denn die Listicles, YouTube-Videos, ChatGPTs, die Hirschl verfasst, entbehren – natürlich absichtlich – genau jenen Contents, nach dem der Roman benannt ist. Wer allerdings nach einer klassischen Handlung in diesem Roman sucht, sucht vergeblich, denn Hirschl springt in seinen Beschreibungen beinahe so auf dem Bildschirm herum, wie wir user, wenn wir durch das WWW surfen. Insofern kann man hier schon sagen: form follows function. Dass die namenlose Protagonistin den ganzen Text hindurch nur eine Zeile aus Robert Musils “Mann ohne Eigenschaften” zu lesen bekommt, ist vielleicht ein Synonym. Denn ebenso unverständlich wie diese Zeile für sie ist, wäre für Musil wohl ein Text von ChatGPT gewesen. Ihm hätte wohl einfach die Seele gefehlt.

Bot ohne Eigenschaften

Hirschl ist aber so eine Seele, denn er hat einen Roman für seine Generation geschrieben ohne ein Teil dieser Generation sein zu wollen. Das hat auch schon mal ein gewisser Bob Dylan abgelehnt. Aber unweigerlich wird Hirschl zum Sprachrohr seiner Generation, die mit gerade mal dreißig Jahren schon mehr in der Welt rumgekommen ist, als andere in der Pension. Mit dem Finger auf der Landkarte: das World Wide Web ist weit und die Geduld endenwollend. Der Cursor springt weiter, die Maus wird geknautscht (RSI-Syndrom). Das Lokalkolorit für seinen Roman fand der Autor übrigens in der Kohle- und Bergbauregion NRWs, er war dort Dortmund-Stadtschreiber. Bei einem Erdbeben (!) fährt die Protagonistin mit einem Lift so tief in die Grubenschächte, dass man es tatsächlich als Tiefgang bezeichnen kann: den Dingen auf den Grund gehen. Dazwischen zitiert Hirschl natürlich immer wieder die Listen seiner Protagonistin und kommt mit ihr am Ende zu einer buddhistischen Fazit-Liste (Nummer 7 wird Sie zum Weinen bringen!).

Kurzum: Hirschl hat sich einen Spaß gemacht und nimmt uns alle auf den Arm oder ist es vielmehr der Alias seiner Protagonistin im Internet, die sogar heiratet und schließlich stirbt? Ein Gastauftritt Ryan Goslings und die langerwartete Erklärung, was ein(e) IKM- Schreiber(in) so macht, sollte man schließlich ebensowenig verpassen, wie die Einträge seines eigenen Bot auf insta. Aber Achtung: das Captcha-Lösen dürfte ziemlich knifflig werden. “Die Aufgabe, ob sie ein Bot war oder nicht, wurde selbst von einem Bot angefertigt.

Elias Hirschl
Content. Roman
2024, Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-552-07386-9
Zsolnay
D: 23,00 € Ö: 23,70 €


Genre: Generation, Roman, Science-fiction, Zukunftsvision
Illustrated by Zsolnay Wien

Disney 100: Lustiges Taschenbuch (LTB Sonderausgabe)

Cover Jubiläums-Produkte 100 Jahre Disney

Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Zur Feier von 100 Jahren Disney hat Ehapa letztes Jahr viele verschiedene Extras rausgegeben, u.a. dieses LTB. Es widmet sich 8 der ältesten bekannten Disney-Filme rund um Micky, Goofy und Donald Duck. Wo sich später die Wege von Micky und Donald eher trennen – Micky erlebt mehr Abenteuer mit Goofy, Donald mit seinen Neffen, Daisy und Onkel Dagobert – sind die 3 Hauptcharaktere in den frühen Episoden noch beisammen. Das vorliegende LTB ist so aufgebaut, dass zunächst Infos (Inhalt und Entstehungsgeschichte) sowie Bilder aus einem der bekannten frühen Filme den Leser*innen verständlich und prägnant nahegebracht werden und dann eine Hommage an den jeweiligen Film kommt, die je 100 Jahre in der Zukunft liegt. So werden mit ähnlichen Geschichten und sichtbar an die frühen Zeichnungen angelehnten Charakteren Vergangenheit und Zukunft verbunden. Die Gegenwart ist die Leser*innenschaft, die diese Abenteuer verfolgt.

Inhalt

Der Band beginnt mit einer Hommage an den Film „Lonesome Ghosts“ von 1937. Im Original rufen die Geister ihre Geisterjäger selbst und erlauben sich den ein oder anderen Spaß mit Micky, Goofy und Donald. Die Hommage „Gute Geister“ spielt neben diesem Film auch auf die „Ghostbusters“ aus den 80ern an: Micky, Goofy und Donald sind passionierte Geisterjäger, allerdings leider meist ohne Auftrag. Als sie schon fast aufgeben wollen, erhalten sie einen Auftrag des Verwalters der Villa Rabenstein, der eine Präsenz in der Villa spürt. Als die 3 Freunde nachschauen, finden sie nicht nur Geister, sondern auch Kater Karlo.

In „Trailer Horn“ von 1950 ärgern A- und Behörnchen Donald bei einem Campingausflug. In der Hommage „Außerirdischer Ausflug“ will Donald mit seinem schmalen Budget auf einem abgelegenen Planeten Urlaub machen und trifft dabei auf Y- und Z-Hörnchen. Die beiden wollen ihm nichts Böses, verursachen aber Chaos, weil sie Situationen gänzlich anders interpretieren als Donald.

„Mr. Mouse takes a trip“ von 1938 begleitet Micky und Pluto bei einer Eisenbahnfahrt nach Pomona. Schaffner Kater Karlo erlaubt aber keine Tiere im Zug, sodass sich eine wilde Verfolgungsjagd entwickelt. In der Hommage „Micky Maus macht einen Alltrip“ trifft Micky zwar auch auf Kater Karlo, diesmal aber ist der Kater der blinde Passagier, der Micky seine Fahrkarte klaut, und Pluto der gestrenge Schaffner.

In „Mickey’s Fire Brigarde“ von 1935 kämpfen die 3 Freunde nicht nur mit dem Feuer, sondern auch mit wild gewordenen Geräten. Die Hommage „Feuerkämpfer von morgen“ zeigt die 3 als Neulinge bei der Feuerwehr, die anstatt eines modernen, fliegenden Fahrzeugs ein altertümliches, klappriges Auto zugeteilt bekommen. Nur Mickys unerschütterlicher Optimismus rettet die 3 vor der vollständigen Blamage im Kampf mit einem wild gewordenen feurigen Außerirdischen, den Kater Karlo gefangen hat.

Noch tollpatschiger stellen sich alle 3 in „Boat Builders“ von 1938 an. Ohne jegliche Fachkenntnisse, aber mit viel Enthusiasmus versuchen sie ein Boot zu bauen. Mit ebenso wenig Fachkenntnissen gehen die 3 in der Hommage „Die Raumschiffbauer“ ans Werk. Nur dass hier die ausgebildeten Gärtner einem Meteoriten gegenüberstehen, der Kurs auf ihre Raumstation nimmt – der Raumschiffbau ist also überlebenswichtig und muss gelingen!

„Mickey’s Trailer“ von 1940 begleitet die 3 Freunde auf einem Campingtrip, der aus dem Ruder läuft – im wahrsten Sinn des Wortes. In der Hommage „Mickys Mars-Mission“ leben die 3 auf einer Station auf dem Mars und wollen das wilde Leben des Marses außerhalb der Station mit einem Campingwagen erkunden. Dabei werden sie begleitet von einem alten, kleinen Roboter, der den vollautomatischen Campingwagen als seine „Mama“ betrachtet – und dabei die Abenteurer ins Chaos stürzt.

1937 kam „Clock Cleaners“ heraus. Auch da passieren den 3 Freunden immer wieder Missgeschicke und Unfälle, als sie eine riesige Glockenuhr reinigen wollen. In der Hommage „Roboter-Reiniger“ müssen Micky, Goofy und Donald einen alten Riesen-Roboter säubern – den ersten seiner Art, der auf einer Parade mitmarschieren soll. Allerdings entwickelt das Getriebe nicht nur ein Eigenleben, sondern der Robo wird vom Phantom für seine eigenen Zwecke missbraucht.

In „Thru the mirror“ von 1936 schläft Micky nach dem Lesen von „Alice hinter den Spiegeln“ ein und träumt ein ähnlich surreales Abenteuer mit skurrilen Objekten. Die Hommage „Durch das Betaversum“ zeigt den Programmierer Micky, wie er versucht, das verrückt gewordene Spiel „Wonderversum“ wieder in den Griff zu bekommen.

Was alles in den Geschichten steckt

Die Hommage der einzelnen Filme orientiert sich in der Gestaltung vom Micky, Goofy und Donald sehr an den Originalfilmen, während das übrige Setting futuristisch ist (Science Fiction). Die Zeichenstile sind in der jeweiligen Hommage sehr unterschiedlich – sie reichen von sehr eckig und in Grundfarben bis hin zu detaillierter ausgemalten Panels, die z.T. an Buntstiftzeichnungen erinnern. Alle Comics greifen die Originalstory auf, bauen aber neue Elemente ein, die die Story z.T. in eine ganz andere Richtung lenken.

In „Gute Geister“ bekommt Kater Karlo, der als Gegenspieler im Original zwar angedacht, dann aber verworfen wurde, doch noch seinen Auftritt. Und die Geister machen sich keinen Scherz mit den Geisterjägern, sondern brauchen im Gegenteil deren Hilfe. In „Mr. Mouse takes a trip“ findet sich übrigens ein Detail, dass Harry Potter-Fans kennen dürften: Micky fährt von Gleis 16 ¾ ab. Ein wenig erinnert der alte Robo aus „Mickys Mars-Mission“ an den Film „Wall-E – der Letzte räumt die Erde auf“.

„Durch das Betaversum“ ist wie der Original-Film eine Anlehnung an Lewis Carolls Bücher „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“. Walt Disney war viele Jahre lang fasziniert von den Geschichten Carolls und hat sie in diversen Filmen verarbeitet. In der Hommage wird deutlich, dass zu optimistische Technikgläubigkeit zu Problemen führen kann. Die Furcht, dass sich KIs selbstständig machen können, wird hier aufgezeigt und in einer konstruktiven Weise verarbeitet: Micky nimmt sich des Problems an, versucht zu ergründen, warum sich das Programm gegen Menschen wehrt, und behandelt die KI letztlich wie einen Menschen und kommuniziert mit ihm, um für alle eine gute Lösung zu finden. Das Wonderversum ist mit einzelnen seiner Charaktere angelehnt an das Wunderland.

Ansonsten zeigen die Geschichten, das eine ausgewogene Mischung aus Freundlichkeit (Goofy), Pessimismus (Donald) und Optimismus (Micky) letztlich einen guten Sinn für die Realität ergeben. Schade, dass dieses tolle Dreiergespann heutzutage kaum noch zum Einsatz kommt.

„Feuerkämpfer von morgen“ enthält den amerikanischen Traum: Micky, Donald und Goofy arbeiten sich von unten nach oben, bleiben dabei aber auf dem Boden der Realität und schätzen auch Altes wie das alte Feuerwehrauto (Liebe zum Oldtimer), denn auch Altes hat seinen Wert und seinen Sinn, u.a. als Blick in die Vergangenheit und Entwicklung der Geschichte. Die Geschichte ist immer eine Lehrmeisterin für das Jetzt und die Zukunft.

„Die Raumschiffbauer“ betonen immer mal wieder nebenbei, wie wichtig die Natur für den Menschen ist – als Basis für sein Leben, denn ohne sie kann er nicht leben. Wer denkt da nicht an die gar nicht so aktuelle Klimakatastrophe, die schon voll im Gang ist? Deshalb retten die 3 zuerst die Pflanzen und nicht sich selbst: Pflanzen als Grundstock für jedes Leben, weil sie Sauerstoff produzieren und als Nahrung dienen.

Donald macht u.a. in „Außerirdischer Ausflug“ deutlich, dass der Mensch nicht immer nur im Arbeitsmodus laufen kann, ohne sich irgendwann zu erschöpfen. Er braucht Pausen, ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung. Das Chillen wird zwar von den anderen immer wieder als „Nichtstun“, „Nichtsnutz“ und „Faulpelz“ verschrien, ist aber lebenswichtig, um kein Burnout zu bekommen. Donald macht es vor, auch wenn er da manchmal übertreibt.

Micky steht für Durchhaltewillen und bodenständigen Optimismus, der immer wieder Lösungen für schwierige Situationen findet. Und Goofy ist mit seiner allumfassenden Freundlichkeit ein soziales Vorbild gerade für Männer, deren Rollenklischee leider die positiven Gefühle und das soziale Verhalten als „Schwäche“ bezeichnet und stattdessen destruktive Gefühle und Aggressionen bevorzugt – der Mann soll letztlich als Kanonenfutter, als aggressive Kriegsmaschine für den Krieg dienen oder besser gesagt missbraucht werden; da sind Verletzlichkeit, Freundlichkeit, positive Gefühle und überhaupt Menschlichkeit fehl am Platz. Dabei sind gerade diese Eigenschaften das Fundament der Gesellschaft und müssen von Männern dringend wieder gelernt und zugelassen werden.

Frauen? Fehlanzeige!

Auf dem Cover sind sie noch zu sehen, in den Geschichten spielen sie allerfings, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle: Frauen in Entenhausen. Dabei tritt Minnie Maus schon 1928 in Erscheinung, Daisy Duck als Donna Duck 1937, Klarabella als Kuh ohne Namen 1928, als Kuh mit offiziellem Namen 1930. Es hätte also durchaus einige Möglichkeiten gegeben, auch die Frauen mit ins Boot zu nehmen und eine Hommage an sie zu verfassen. Warum das nicht getan wurde, darauf kann sich jede*r selbst einen Reim machen… Jedenfalls ist das nicht nur eine vertane Chance für die Gleichberechtigung, sondern auch eine Schande, dass wieder einmal im – nett formuliert – konservativen Disney-Universum Frauen ignoriert/ an den Rand gedrängt oder klassisch im Rollenklischee gefangen gehalten werden!

Fazit

Das Buch ist eine schöne Hommage an die Disney-Figuren und durchaus mit (in)direkten konstruktiven Botschaften versehen. Allerdings fehlen auch hier wieder einmal die Frauen, obwohl es durchaus einige Möglichkeiten gegeben hätte, die weiblichen Figuren zu feiern – sie waren schließlich früh genug mit an Bord!


Genre: Comic, Hommage, Humor, Jubiläum, Menschlichkeit, Science-fiction, Umwelt
Illustrated by Egmont Ehapa

Sing a bit of Harmony

Sing a bit of Harmony

Die KI Shion soll im Feldversuch beweisen, dass KIs im täglichen Leben nicht auffallen. Deshalb soll sie auf Anordnung der Forscherin Mitsuko, die sie entwickelt hat, in eine Highschool gehen. Was Mitsuko nicht weiß: Ihre Tochter Satomi, Streberin und Außenseiterin der Klasse, kennt das Projekt ihrer Mutter und weiß sofort, dass es sich bei Shion um eine KI handelt. Shion, die offen und authentisch ist, sorgt mit ihrem extrovertierten und seltsamen Verhalten für Aufsehen in der Klasse Satomis und schon bald kommen noch mehr Schüler hinter das Geheimnis Shions: Frauenliebling Gocchan, dessen Freundin Aya, Technik-Nerd Toma und Judoka Thunder finden ebenfalls heraus, dass Shion eine KI ist. Aber Satomi beschwört ihre Klassenkameraden, den anderen nichts zu erzählen – ihre alleinerziehende Mutter würde sonst ihren Job verlieren. Allerdings hat sie in Aya eine engstirnige und unberechenbare Klassenkameradin, der es eine Freude wäre, Satomi eins auszuwischen. Um Haaresbreite entgeht Shion einer Entdeckung, als sie der angeschlagenen Beziehung zwischen Aya und Gocchan auf die Sprünge hilft und Aya Satomi und Shion deshalb danken will. Auch Satomi selbst hilft Shion, indem sie die Freundschaft zwischen ihr und Toma wieder kittet. Und für Thunder ist sie eine gute Trainingspartnerin. Allerdings hat das Grüppchen um Shion nicht mit Mitsukos missgünstigem Vorgesetzten Saijo und ihrem Untergebenen Nomiyama gerechnet: In der männerdominierten Welt der Technik sind Frauen nicht gern gesehen und so versuchen sie alles, um Mitsuko zu diskreditieren.

Segen und Fluch der Technik, ethische Fragen zur intelligenten Technik

Die KI wird in diesem Anime sehr technikfreundlich dargestellt. Japan ist ein Land, das Technik generell sehr aufgeschlossen und optimistisch gegenübersteht. Die Animes spiegeln das wider, z.B. auch im Manga und Anime „Astro Boy“, der Kultstatus genießt. KIs werden meist menschlich dargestellt, als Lebewesen, wobei direkt oder indirekt die Frage gestellt wird, ob sie dann auch menschliche Rechte genießen sollen bzw. ob sie als menschlich anzusehen sind. Dieser Anime bejaht die Frage, denn das Grüppchen um Satomi hat gute Erfahrungen mit der KI gemacht, die anderen helfen will. Die KI zeigt eigenen Willen, verhält sich sozial und erfüllt damit für die Teenager menschliche Kriterien. Ausgereift ist sie allerdings noch nicht, denn sie verhält sich nicht unauffällig menschlich. Die KI wird nur von den Männern um Forscherin Mitsuko als bedrohlich angesehen.

Im Anime wird aber auch deutlich, wie abhängig Technik machen kann. Der SF-Anime zeigt deutlich einen Alltag, für den Roboter und intelligente Technik selbstverständlich sind und den man im Umkehrschluss ohne diese Technik so ohne Weiteres nicht mehr bewältigen kann. Was, wenn diese Technik ausfällt? Oder sich gar gegen einen wendet?

Frauen- und Männerbild

Die Frauen in diesem Anime sind unterschiedlich, ähnlich wie in der Realität. Mitsuko sticht hervor, weil sie alleinerziehende Mutter ist und trotzdem Karriere macht. Synchronsprecherin Sayaka Ohara bringt es auf den Punkt: „ […]die Karrierefrau, die in der von Männern domminierten Gesellschaft herumgeschubst wird und dennoch aus Überzeugung alles gibt.“ Dass Ohara sagt, es sei „sehr leicht“ für sie, sich in Mitsukos Situation hineinzuversetzen, spricht Bände. Der Anime spiegelt hier die unschöne Realität wider, dass Frauen immer noch mehr leisten müssen als Männer und trotzdem nicht anerkannt werden. Sie werden jeden Tag diskriminiert und müssen mehr kämpfen, mehr arbeiten, mehr stemmen und mehr aushalten als Männer – was sie im Umkehrschluss extrem stark macht. Und sich deshalb automatisch die Frage stellt, ob Männer unter solchen Bedingungen überhaupt noch bestehen würden, denn sie sind solche permanenten Härten im Leben nicht gewohnt. Schön, dass im Anime nicht die missgünstigen, intriganten, diskriminierenden Männer gewinnen, sondern die Frau und insgesamt die Menschlichkeit.

Mitsukos Tochter Satomi muss ebenfalls sehr stark sein: Sie stemmt den Alltag weitgehend ohne die Mutter und sorgt haushaltstechnisch sogar für sie mit, ist vernünftig, strengt sich für gute Noten in der Schule an und ist deswegen und wegen ihres introvertierten Charakters Außenseiterin. Sie muss also wie ihre Mutter viel aushalten und generiert daraus ebenfalls große Stärke, die sie für den Alltag aber auch für ihre Überzeugungen und im Kampf gegen den Großkonzern nutzt. Ihr Äußeres ist nicht klischeehaft weiblich, sondern androgyn bis männlich. Das unterstreicht noch ihre Andersartigkeit, die sie positiv einsetzt.

Aya kommt anfangs mit ihrer Eifersucht und ihrer ablehnenden Haltung Satomis und Shions gegenüber unsympathisch daher, aber sie hat für ihr Verhalten ihre Gründe. An ihr sieht man, dass man nicht nur die Maske oder Fassade eines Menschen beurteilen soll.

Saijo und Nomiyama sind typische Vertreter eines patriarchalen Männerbildes: destruktiv, skrupellos, machtgierig im Fall Saijos, dessen schwaches Ego eine starke, kompetente Frau nicht ertragen kann. Lieber sieht er einen unfähigen Mann wie Nomiyama anstelle einer fähigen Frau auf einer zentralen Position, damit seine eigene nicht gefährdet wird. Nomiyama kann es nicht verkraften, dass er von einer Frau übertrumpft worden ist und will sich mithilfe Saijos an ihr rächen, indem er sie in Misskredit bringt und stürzt. Die beiden sind das Paradebeispiel für asoziales, machismohaftes Verhalten.

Gocchan ist ein Frauenschwarm, weil er gut aussieht. Aber er selbst findet das nicht so gut, denn er möchte nicht aufgrund seines Äußeren beurteilt werden, sondern aufgrund dessen, was er ist. Er befürchtet, dass seine Freundin Aya aber genau das tut: „Ich komme mir vor wie ihr Designertäschchen!“ Nachdem er erkannt hat, dass Aya ihn nicht so oberflächlich betrachtet, wie er befürchtet, ist er ihr ein liebevoller Freund. Er erleidet eigentlich genau das, was Frauen alltäglich passiert: Sie werden nur nach ihrem Äußeren beurteilt und nicht nach dem, was sie innerlich sind. Frauen werden auch darauf getrimmt, sich für ihr Äußeres zu interessieren: Mode, Schminke, Figur. Die Reduktion auf das Äußere schadet Menschen, und Gocchan ist zurecht nicht gewillt, das mitzutragen.

Toma als Technik-Nerd hat ebenfalls eine Außenseiterposition: Er entspricht nicht dem gutaussehenden Sportler und ist damit nicht männlich genug für eine patriarchale Gesellschaft. Dafür ist sehr sozial und lösungsorientiert, was seiner Umgebung und v.a. Satomi zugutekommt. Er hat sich seine eigene soziale Bubble gesucht und gefunden, also seine Nische in einer Welt, in der er nicht viel zählt. Er steht für die Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft ebenfalls unter einem destruktiven Männerbild leiden.

Thunder ist gutmütig. Er entspricht dem Sportlertyp, wenn er auch nicht gutaussehend ist, und ist nicht so intelligent. Insgesamt hat er aber ein gutes Herz, was letztlich zählt.

Musik als Ausdruck der Gefühle und als Heilung

Der Anime ist ein wenig wie ein Musical konzipiert. Es kommen viele vom Text und von der Melodie her herzerwärmende Songs vor, die die Situation und die innere Gefühlslage der Figuren treffen. Dadurch werden sie sich selbst mehr bewusst und dessen, was sie wirklich wollen. So geschieht mit ihnen Veränderung und Heilung. Musik und Kunst allgemein wird im realen Leben gern als Therapie für psychisch kranke Menschen eingesetzt.

Wer Disneyfilme mag, wird wohl auch diesen Anime mögen, wobei trotz der Musik immer noch die Handlung im Vordergrund steht.

Weiterentwicklung der Charaktere und soziale Beziehungen

Alle Charas entwickeln sich im Laufe der Story positiv weiter, weil sie ihre Stärken und ihr authentisches Ich entdecken, ebenso das Ich der anderen. Sie lernen sich und die anderen zu schätzen, kritisch und menschlich zu sein und ihre eigene Haltung zu entwickeln und durchzusetzen, auch gegen Widerstände von außen und gegen Selbstzweifel. Damit sind sie Vorbild für sich entwickelnde Teenager. Auch die Romantik kommt nicht zu kurz, ebenso die Probleme, die man vor und während einer Beziehung haben kann. Ebenso werden Freundschaften geknüpft und vertieft. Harmonie, Fürsorge, Einstehen für andere, Empathie sind große Themen.

Technisches und Extras

Sprachen: Deutsch, Japanisch, Untertitel Deutsch

Laufzeit: 110 Minuten

Blue Ray

Extras: 16-seitiges Booklet (u.a. Infos zum Film, Interview mit Yasuhiro Yoshiura, Vorstellung der Charas), 1 Poster, 2 Artcards

FSK: ab 6 Jahren

Fazit

Spannender SF-Anime inklusive Romantik, ethischen Fragen und einem starken Frauenbild.


Genre: Romantik, Science-fiction
Illustrated by Crunchyroll, Yasuhiro Yoshiura

Die Maschine steht still

Eine der frühesten Visionen der Macht des Internets liefert E. M. Forster mit der kurzen Erzählung »Die Maschine steht still«. Vashti und ihr Sohn Kuno leben an entgegengesetzten Enden einer fiktionalen unterirdischen Welt. Ihre Kommunikation erfolgt über interaktive Maschinen. Kuno ist ein Rebell und überredet die zögernde Vashti, ihn zu besuchen, obwohl die Menschen eigentlich keine persönlichen Beziehungen mehr zueinander aufnehmen. Er erzählt ihr von seiner Ernüchterung mit der mechanisierten, keimfreien Welt, die er bereits für kurze Zeit verlassen hat, indem er an die Erdoberfläche gelangte, wo er andere Aussteiger traf. Weiterlesen


Genre: Novelle, Science-fiction
Illustrated by Hoffmann und Campe

Blowing Across

In dem Zukunftsroman »Blowing across« beschreibt Christine Keller eine von Umweltverschmutzung und Klimawandel zerstörte Erde, auf der sich zwei parallele Existenzen entwickelt haben. Da gibt es im Einklang mit der Natur lebende spirituelle Baummenschen und von Droiden kontrollierte Menschen in einer künstlichen Welt, die alle Reserven für das nackte Überleben aufspart. Weiterlesen


Genre: Science-fiction
Illustrated by Franzius

Wilde Saat

Quellbild anzeigenZucht und Ordnung

Der Unsterbliche Doro züchtet schon seit Jahrtausenden Menschen mit außergewöhnlichen Merkmalen. Deshalb ist er ständig auf der Suche nach vermeintlichen Hexen oder Hexern („wilde Saat“), die frisches Blut in seine Zuchtdörfer bringen. Eines Tages folgt er der Spur einer ganz besonderen Frau: Sie ist wie er unsterblich, besitzt darüber hinaus aber noch die Fähigkeiten einer Gestaltwandlerin und einer außergewöhnlichen Heilerin. Anyanwu ist zunächst von der Aussicht begeistert, endlich nicht mehr von ihren Nachfahren mit dem Tod bedroht zu werden und unter ihresgleichen leben zu können. Deshalb folgt sie Doro in eines seiner Zuchtdörfer. Aber sie muss schnell feststellen, dass auch dieses vermeintliche Paradies seine Schattenseiten hat. Doro herrscht wie ein Gott über seine Nachfahren. Er hat despotische Züge, duldet keine Widerrede und verlangt, dass man klaglos seinen Zucht- und sonstigen Wünschen nachkommt. Das bedeutet auch, dass sich die Menschen von ihm töten lassen müssen, wenn Doro einen neuen Körper braucht. Seine Seele kann nicht ins Jenseits eingehen, sondern wechselt automatisch den Körper, wenn der alte verbraucht ist. Und das passiert spätestens nach zwei bis drei Jahren. Das Töten ist ihm zur Gewohnheit geworden, was Anyanwu als Heilerin entsetzlich findet. Sie selbst ist aus anderem Holz geschnitzt als Doro: Ihre Nachfahren dürfen sich ihre Partner*innen selbst wählen, erhalten Hilfe, Heilung, Schutz und Rat von ihrer Ahnin, und Anyanwu zieht all ihre zahlreichen Kinder eigenhändig und liebevoll auf. Überhaupt herrscht bei ihr Liebe und soziales Verhalten, wenn sie ein Dorf gründet. Nach ihren Möglichkeiten versucht sie Doro zum Positiven hin zu beeinflussen, aber dieser erweist sich als resistent gegen ihre Versuche, seine Praktiken sozialverträglicher zu machen. Da sie selbst vom Tod bedroht ist, wenn sie Doro nicht gehorcht – er würde schlicht und einfach ihren Körper übernehmen, was ihren Tod nach sich ziehen würde – verzweifelt sie allmählich an ihrer Machtlosigkeit Doro gegenüber. Schließlich entzieht sie sich ihm durch Flucht. Aber da Anyanwu für Doro gefährlich werden könnte, nimmt er die Verfolgung auf.

Patriarchat versus Matriarchat

Dieser von einer Frau geschriebene Science-Fiction-Roman ist in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich. Zum einen sind die Hauptpersonen schwarzhäutig, auch wenn Doro immer mal wieder weiße Körper benutzt. Schwarzhäutige Menschen, v.a. als Hautpersonen, kommen leider viel zu wenig in Romanen vor, weshalb schon dieser Umstand eine positive Hervorhebung wert ist. Dementsprechend spielt ein Teil der Geschichte in Afrika, und zwar vor und während der Kolonialzeit und der Versklavung der Schwarzafrikaner*innen. Hier wird die grausame Geschichte der Schwarzafrikaner*innen aufgezeigt, auch wie die Menschen darunter leiden. Und Doro wird als Mittäter dargestellt, da er aufgrund seiner eigenen Sichtweise kaum noch Menschlichkeit an den Tag legt. Er will zwar, dass es seinen Zuchtobjekten gut geht, sortiert aber auch gnadenlos aus, wenn sie ihm nicht mehr von Nutzen erscheinen. Nur Anyanwu macht all dies etwas aus. Sie möchte Menschlichkeit und positives soziales Verhalten um sich herum. Sie stellt damit einen Gegenentwurf zu Doro dar, dem seine Menschlichkeit immer mehr abhanden kommt.

Afrika ist die Wiege der Menschheit, und irgendwie schwingt das in dieser Geschichte mit. Dabei wird aber auch nicht verschwiegen, dass auch Schwarzafrikaner*innen ihren Anteil an der Versklavung hatten, wenn sie andere Stämme unterwarfen und verkauften oder ihresgleichen als Hexen brandmarkten und sogar zu töten versuchten. Das wird zwar eher nebenbei erwähnt, aber es hat Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Butler wollte wohl möglichst realistisch und nicht in im wahrsten Sinne des Wortes schwarz-weiß denken, sondern eine facettenreiche Story entwerfen, was ihr auch gelungen ist. Ihre Charaktere sind plausibel und nicht eindimensional, egal ob schwarz- oder weißhäutig.

Insgesamt entwirft Butler eine Geschichte des Patriarchats versus des Matriarchats. Sie zeigt das anhand ihrer beiden Hauptpersonen Doro und Anyanwu. Wenn man sich die Story genauer betrachtet, erinnert sie an die Theorie von Marija Gambutas: Vertreter des Patriarchats fallen in Gebiete ein, in denen das deutlich sozialere Matriarchat vertreten ist, und löschen diese Kultur trotz erbitterter Gegenwehr durch Frauen und Männer mit brutaler Gewalt aus. Doro vertritt in seinem gesamten Gehabe das Patriarchat. Seine Position als Familienoberhaupt ist unanfechtbar, sein Wort Gesetz. Wer sich an seine Vorschriften hält, führt ein einigermaßen gutes Leben, gibt dafür aber alle Freiheiten auf. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft bis hin zum Tod. Es ist letztlich eine Gewaltherrschaft, die darauf beruht, dass Doro weiß, dass er den anderen überlegen ist. Die Menschen bleiben nicht freiwillig und gern bei ihm, sondern weil sie Angst vor ihm haben.

Anyanwu als Gegenentwurf zu Doro ist auch sehr mächtig, aber sie setzt ihre Macht nicht gegen, sondern für die Menschen ein, auch wenn diese sie als Bedrohung sehen. Sie setzt nicht auf Angriff, sondern auf Verteidigung, wenn es nicht mehr anders geht. Sie bevorzugt weder Gewalt noch Tod, sondern Heilung in allen Facetten. Sie denkt nicht wie Doro destruktiv, sondern konstruktiv. Sie agiert positiv sozial, indem ihr etwas an ihren Mitmenschen liegt, und sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie lebt mit ihnen und nicht über ihnen. Sie liebt ihre Nachkommen und alle, die in ihrem Dorf Zuflucht gefunden haben. Sie vernetzt sich mit den Menschen und sie vernetzt die Menschen untereinander. Sie verhält sich wie eine gute Mutter zu ihren Kindern, hegt und pflegt die Gemeinschaft. Sie agiert mit der Natur und nicht gegen die Natur. Sie fügt sich in das Große Ganze ein und lebt nicht als herrschaftlicher, despotischer Parasit wie Doro. Doros Sohn trägt ihr auf, Doro zum Positiven zu beeinflussen, damit er seine Menschlichkeit nicht ganz verliert – was sich zu einer Mammutaufgabe auswächst, die aber aufgrund der Rettung der Welt notwendig ist.

Das erinnert sehr an Mythen und deren Kämpfe, die die realen Kämpfe des Patriarchats gegen das Matriarchat abbilden. Man sehe sich z.B. nur einmal die griechischen Mythen an, von der zunächst von einer weiblichen, großen Urgottheit die Rede ist, bis hin zur Entwicklung zum männerdominierten göttlichen Olymp, auf dem die Göttinnen eine den Göttern untergeordnete Rolle spielen. Doros Übernahme erfolgt zwar vergleichsweise sanft, aber die Drohung ist latent bis deutlich immer vorhanden. Die einst eigenständige Anyanwu wird regelrecht unterjocht, hört aber nie auf sich zu wehren, bis sie von Doro ernst genommen wird. Das wird sie allerdings erst, als sie den Tod nicht mehr fürchtet, denn erst durch diese Entscheidung wird sie wieder unabhängig.

Doro regiert seine Zuchtdörfer mit strenger Hand. Er fordert Unterwerfung. In seinen Dörfern ist es zwar egal, welcher „Rasse“ die Menschen angehören, trotzdem existiert eine Hierarchie. Die Hierarchie beruht auf geeigneten und ungeeigneten Zuchtobjekten. Je mehr „Hexen“-Potential seine Zuchtmenschen haben, desto wertvoller sind sie für ihn. Eine echte Bindung zu seinen Kindern besteht nicht, nur ein Sohn darf ihm wirklich nahekommen. Dem gegenüber steht die Gleichrangigkeit der Menschen bei Anyanwu. Sie behandelt die Menschen mit Menschlichkeit und der einzelne Mensch ist ihr wertvoll. Wenn sie urteilt, dann nach dem Charakter. Ein Mensch, der ihrer Gemeinschaft Schaden zufügt, wird ausgeschlossen. Sie handelt damit nach matriarchalischen und Jäger-Sammler-Mustern.

Science-Fiction ist hier wörtlich zu verstehen: Nach Art der Alternative History wird gezeigt, was genetische Versuche positiv und negativ bewirken, auch und gerade in ethischer Hinsicht.

Fazit

Der Science-Fiction-Roman handelt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit. Er nimmt die Wissenschaftsfiktion wörtlich, indem er beleuchtet, wie genetische Zuchtversuche am Menschen in körperlicher und ethischer Hinsicht aussehen und ausgehen können. Dabei beleuchtet er zwei Systeme: das des Patriarchats und das des Matriarchats. Der Roman behandelt in Kombination dazu Andersartigkeit und wie damit umgegangen wird. Außerdem stellt er afrikanische und afroamerikanische Menschen in den Vordergrund, was leider immer noch viel zu selten vorkommt. Ein in vielerlei Hinsicht vielschichtiger und wertvoller SF-Roman.


Genre: Science-fiction
Illustrated by Heyne München

Yokohama Station Fable 1

Außer Kontrolle geratene Technik

Weil der Umbau der Yokohama Eisenbahn-Station nie endete, begann die mit mittlerweile künstlicher Intelligenz versehene Station vor 200 Jahren sich selbstständig immer weiter um- und auszubauen. Das führte dazu, dass 99% der Präfektur Honshu von der Yokohama Station übernommen wurde. Die Menschen erinnern sich nicht mehr an den ursprünglichen Zweck der Station als Fortbewegungsmittel. Sie wurden eingeteilt in diejenigen, die priviligiert in der Station leben dürfen und diejenigen, die die Station ausgesondert hat und nun am Rande der Station mithilfe von Abfällen ihr Leben fristen müssen. Natur gibt es so gut wie keine mehr. Eines Tages gelangt ein sterbender Rebell auf eine der Randbereiche und gibt dem Jugendlichen Hiroto eine Bahnstationskarte, die in 5 Tagen auslaufen wird. Er soll den Anführer der Rebellen suchen. Hiroto nimmt die Chance wahr, in die Bahnstation zu gelangen. Aber statt des gelobten Landes erwartet ihn eine willkürliche Herrschaft einer Maschine mit ihren menschlichen Dienern.

Dystopie

Das Thema Mensch und (intelligente) Maschine ist eines der Hauptthemen japanischer Science Fiction, auch im Manga- und Animebereich. Meist wird es in Form einer Dystopie beleuchtet, so auch hier. Der Manga beruht auf der erfolgreichen Romanvorlage von Yuba Isukari. Der Manga ähnelt in seiner Grundanlage ein wenig dem Film “Elysium” von 2013, in dem es ebenfalls zwei Bereiche – priviligiert und nicht priviligiert –  gibt, in denen die Menschen leben und ein Mensch aus der nicht-priviligierten Zone als Retter avanciert. So auch hier. Im ersten Band ahnt man schon, dass Hiroto eine Art Retter sein wird. Er dringt mit dem Ticket in die Bahnststion ein und stellt fest, dass auch dort nicht alles zum Besten steht. Hilfe erhält er von einer KI, die als Spion einer anderen Bahnstation eingeschleust wurde.

Die Dystopie baut auf einen ruhigen, aber sehr genau beobachtenden Helden, der kritisch das ihm Gebotene unter die Lupe nimmt und seine eigenen Schlüsse zieht. Sie zeigt auch die Kritik an einem zu optimistischen Technikglauben, der sich schnell in sein Gegenteil verkehren kann. Die außer Kontrolle geratene Maschine unterwirft die Menschen ihrem Willen und diese lassen das mit sich geschehen. Nicht nur das: Um sich selbst Vorteile zu schaffen, erschaffen sie eine Hierarchie unter der Diktatur der Maschine. Nur die Menschen, die außerhalb der Station leben, bewahren sich eigenständiges Denken. Außerdem sind sie gegen Krankheiten und andere Widrigkeiten abgehärteter als die verweichlichten Menschen innerhalb der Station. Der Manga baut also kein Schwarz-Weiß-Schema aus, sondern blickt differenziert auf die verschiedenen Lebensbereiche der Menschen. Beide haben Vor- aber auch Nachteile für ihre Bewohner*innen, und das Paradies entpuppt sich nicht als solches. Kritisiert wird der Zug der Menscheit, sich diktatorischen Regimes zu unterwerfen. Dabei wird aber auch deutlich, dass es in solchen Regimen immer Widerstandsgruppen gibt und geben wird.

Auf dem Cover gut zu sehen ist die Anspielung auf das Genre “Science Fiction”: “Station Fable” hat wie “Science Fiction” die Initialien SF.

Die Zeichnungen unterstützen die Situationen und die Stimmungen gekonnt. Insgesamt ein rundes Paket.


Genre: Manga, Science-fiction
Illustrated by Carlsen Manga!

Die Ballade von Halo Jones

Die Ballade von Halo Jones: Alan Moore braucht man nicht extra vorzustellen. Wie kaum ein anderer hat er das Comic-Genre revolutioniert. Auch mit diesem 2020 erstmals auf Deutsch erschienenen Science-Fiction Abenteuer aus dem Jahre 1984 nahm der gutgelaunte Engländer vieles vorweg. Halo Jones lässt grüßen, und das beinahe in Breitbandformat!

Halo Jones: Reich des Müßiggangs

Im 50. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung gibt es nicht nur Müllströme durchs Weltall, sondern auch „Zenaten“, eine Mischung aus Zen und „Granate“, die zur Beruhigung mit Alphawellen auch von Halo Jones‘ Freundin Rodice eingesetzt wird. „…und dann, wenn du eins bist mit dem Jetzt, kannst du deinen Kopf völlig leeren“, schwärmt sie über die Segnungen der Zenate. „Manche habe dabei weniger zu tun als andere“, fügt ihre Kollegin lakonisch hinzu und steuert das Raumschiff in eine andere Richtung. Was hier so munter beginnt und voller eigener Idiome versucht, eine neue Welt zu erschaffen, ist nichts anderes als ein knallbuntes Science-Fiction-Abenteuer in den unendlichen Weiten des Weltalls, das mit flotten Sprüchen auch mal Gesellschaftskritik übt. „Lasst uns in Ruhe, Ihr Discountertussis“, droht die eine, mit ihrem „Kotzstik“ in der Linken. Cybertollwut grassiert allerorten und manche Mitbewohner des Planeten sind bereits lobotomisiert worden. Und der Planet selbst ist von einem „Ring“ umgeben, in dem sich das Reich des Müßiggangs befindet. Alle Einkunftslosen der Zukunftsgesellschaft befinden sich hier und können in Zenate-Gelassenheit ihren Hobbies nachgeben.

Der Ring: eine riesige Müllkippe

Mit anderen Worten: der Ring ist „eine riesige Müllkippe, auf der Amerika seine Arbeitslosen ablud“. Und wer den hellsten Stern am Himmel genießen will, muss bald wie Helo Jones feststellen, dass dies „unser Abfallentsorgungsanhänger“ ist. Aber es gibt da einen Millionär, Lux Roth Chop, der den Krieg gegen Freie Kolonialweltn in Tarantulanebel finanziell unterstützt. Mit dem Schiff Clara Pandy macht sich Halo Jones als Freiwillige in Begleitung des Blechhundes und einer Glyphe auf in die unendlichen Weiten des Weltraums und ein neues Abenteuer beginnt, das insgesamt auf neun Teile ausgedehnt werden sollte. Das laut Moore „großartigste Comic der Galaxis ist ein knallbuntes Sci-Fi-Abenteuer voller skurriler Einfälle und einem ganz eigenen Jargon, den man natürlich erst erlernen muss, um in den vollen Genuss zu kommen. „Oh, ja. Spiel’s nochmal, Yortelbuzzgubbly.“

Alan Moore

Die Ballade von Halo Jones 1

Zeichner: Ian Gibson

Autor: Alan Moore

2020, Hardcover, 72 Seiten

ISBN: 9783741620690

Panini

17,00 €

Alan Moore

“Die Ballade von Halo Jones 2”

Originaltitel: The Ballad of Halo Jones 2

Zeichner:   Ian Gibson

Autor:       Alan Moore

2021, Hardcover, Science-Fiction, 64 Seiten

ISBN: 9783741621642

Panini


Genre: Comic, Futurismus, Humor, Science-fiction
Illustrated by Panini Comics

1984

George Orwell’s 1984 in Neuübersetzung

George Orwell’s 1984. Neuübersetzung. „Alle Kinder sind Schweine.“ Es ist ein heller, kalter Apriltag und die  Vorbereitungen für die allmonatliche Hasswoche laufen auf Hochtouren. Winston Smith, 39, ist nur ein kleiner, weiterer Mitarbeiter im „Ministerium für Wahrheit“ und er begeht eines der größten Verbrechen dieser totalitären Gesellschaft der Zukunft: er verliebt sich.

1984: Liebe in Zeiten des Krieges

Eigentlich ist es vielmehr Julia, die sich in ihn verliebt, steckt sie ihm doch insgeheim einen Zettel zu auf dem die drei so aufrührerischen, aber eigentlich harmlosen Worte stehen. Ich liebe dich. Aber im ENGSOZ der Zukunft gilt dies schon als gefährlich. Zudem wenn man auch noch Tagebuch führt und glaubt, man könne dies von der allgegenwärtigen Gedankenpolizei geheim halten. Eigentlich gibt es sogar vier Ministerien. Aber das beängstigendste ist das Ministerium der Liebe. Es hat keine Fenster. Die anderen Ministerien heißen Frieden und Fülle und alle vier haben sie ihre eigenen Abkürzungen im Neusprech des Engsoz. Es wird viel Gin getrunken und es darf auch geraucht werden. Der Markennamen lautet jeweils Victory. Denn das ist auch die Losung im Krieg gegen Eurasien: Sieg. Aber auch im Inneren tobt ein Krieg. Ein Krieg gegen die Bruderschaft, der ein gewisser Emmanuel Goldstein vorsteht. Äußerlich ähnelt er von der Beschreibung her Trotzki, was den Großen Bruder aber noch lange nicht zu einem Stalin macht. Alle die in Opposition sind werden verdampft. Vaporisiert, wie es im Original heißt. Und täglich rauchen die Kamine.

Orwell’s Dystopie des homo hominis lupus

George Orwell hat 1948 einen Roman geschrieben, der heute noch als Klassiker der Dystopie gilt. Er nahm Anleihen beim Nationalsozialismus und beim Stalinismus, ohne direkt darauf Bezug zu nehmen. Denn was in 1984 passiert, könnte überall passieren, in jeder Gesellschaft, in jedem Jahrhundert. Auch das 21. Jahrhundert ist nicht gefeit davor, was Orwell in so treffenden Worten wie kein anderer beschrieben hat: homo hominis lupus. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Selbst die (unschuldigen) Kinder machen mit und werden zu gemeinen Denunzianten, jagen ihre Beute wie Hunde. Werden zu Schweinen. Auch Winston war ein solches. Er ließ seine Schwester und seine Mutter im Stich. Jetzt plagt ihn sein Gewissen. Er will rebellieren. Doch letztendlich besteht seine Revolte darin, ein verbotenes Buch zu lesen und Julia zu lieben. Der einzige Trost, der ihm bleibt, ist, sie nicht zu verraten: „Ein Geständnis ist kein Verrat. Was man sagt oder tut, ist nicht entscheidend, nur Gefühle zählen. Wenn sie mich dazu brächten, dich nicht mehr zu lieben – das wäre der wahre Verrat.“

Im Anhang befindet sich auch eine genaue Erklärung des Engsoz Neusprech, dessen wichtigste Vokabeln längst Eingang in unsere Alltagssprache gehalten haben. Man denke nur an Doppeldenk, Big Brother oder Thinkpol. 1984ist eine Offenbarung. Man kann es nicht oft genug lesen.

George Orwell

1984 – Roman

Neuübersetzung von Eike Schönfeld

2021, Gebunden, 382 Seiten

ISBN: 978-3-458-17876-7

Insel Verlag

D: 20,00 € / A: 20,60 € / CH: 28,90 sFr


Genre: Dystopie, Roman, Science-fiction
Illustrated by Insel Frankfurt am Main

Fahrenheit 451

Ray Bradbury: Fahrenheit 451

Ray Bradbury: Fahrenheit 451. 1953 entstanden zählt auch der hier vorliegende Roman zu den radikalsten dystopischen Zukunftsvisionen, gleich neben „1984“ von George Orwell oder „Brave New World“ von Aldous Huxley. In nur neun Tagen soll ihn der damals 33-jährige frischgebackene Vater, Ray Bradbury, geschrieben haben, wie Peter Torberg in seinen Anmerkungen am Ende des Romans schreibt.

Bradury’s feuerlegende Feuer(-wehr-)männer

In seiner editorischen Notiz erklärt er auch manche Widersprüche, Unklarheiten oder nicht ganz aufgelöste Stellen im Text durch die Übersetzung. Als Beispiel nennt er etwa auch das englische „fireman“, dem die Doppeldeutigkeit der deutschen Übersetzung mit „Feuerwehrmann“ gänzlich abgeht. Deswegen wählte Peter Torberg für Guy Montag, den Protagonisten des Romans auch „Feuermann“: „In der Welt die Ray Bradbury für seine Leserinnen erschaffen hat, in der Lesen geächtet und Wissen nicht erwünscht ist, in der auf Buchbesitz Strafe steht und die Menschen mit Entertainment und Dauerberieselung unmündig gehalten werden, dort ist die Bedeutung einer Feuerwehr durch das Umschreiben der Menschheitsgeschichte schlicht unbekannt.“ Die Feuermänner in „Fahrenheit 451“ löschen nämlich kein Brände, sondern sie legen sie, sie sind gleichsam dazu da, zu vernichten und zu strafen, Bücher zu verbrennen oder manchmal auch ganze Häuser, notfalls auch zusammen mit den Bewohnern.

Fahrenheit 451: Zeitalter des Papiertaschentuchs

Wie Parfüm wirkt das verwendete Kerosin der Feuerbrigade auf ihn, schwärmt Montag seiner Angebeteten Clarisse vor. Ebenso schwärmerisch antwortet sie ihm: „Ich rieche gerne an Dingen und schaue sie mir an, und manchmal bleibe ich die ganze Nacht auf, gehe spazieren und schaue zu, wie die Sonne aufgeht“. Die beiden leben nicht umsonst im „Zeitalter des Papiertaschentuchs“: „Man schneuzt sich mit einer Person, zerknüllt sie, spült sie hinunter, greift nach der nächsten, schneuzt sich, zerknüllt, spült hinunter“. Aber Clarisse ist jedenfalls anders als seine Frau Mildred. Diese bevorzugt es zu Fernsehen und das Bücherlesen ist ihr ein Grauen. Sie steht auch für die Mehrheit der Bevölkerung in Bradburys Roman die Bücherlesen per se ablehnen, da es sie in eine schlechte Stimmung bringe und zu nachdenklich mache. Ray Bradbury hat in späteren Interviews betont, dass der Roman in einer Zeit entstanden sei (50er Jahre) in der das Fernsehen die Schrift ablöste, als Bücher und Zeitungen immer weniger konsumiert wurden. Genau davor sollte sein Roman warnen.

Fahrenheit 451 und die korrekten Zahlen

Bei der Titelwahl hatte er allerdings schlicht Celsius mit Fahrenheit verwechselt, denn Papier entzündet sich erst bei 451 Grad Celsius, nicht Fahrenheit (451 Grad Fahrenheit wären nur 232,7 Grad Celsius), so Gary Dexter, der in seinem Blog  den alternativen Titel „Fahrenheit 843“ vorschlägt, der tatsächliche Temperatur Celsius also bei der sich Papier selbst entflammt. Dass das Internet-Zeitalter Ray Bradburys Schreckensvision von 1953 längst überflügelt hat, mag den Autor vielleicht noch erreicht haben. Er starb am 5. Juni 2012 in Los Angeles und meinte über Michael Moore, der einen seiner Filme Fahrenheit 9/11 (2004) nannte, einen „dämlichen Drecksack“, weiter zitiert ihn die deutsche FAZ: „So denke ich über ihn. Er hat meinen Titel geklaut und die Zahlen ausgewechselt, ohne mich jemals um Erlaubnis zu fragen.“ Gary Dexter hätte hier wohl das letzte Wort, wenn er Ray Bradbury einen „dämlichen Drecksack“ nennen würde. Tut er aber nicht.

Ray Bradbury

Fahrenheit 451

Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg

2020, Hardcover Leinen

272 Seiten

ISBN: 978-3-257-07140-5

€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70

Diogenes Verlag


Genre: Dystopie, Roman, Science-fiction, Zukunftsvision
Illustrated by Diogenes, Diogenes Zürich

Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten

Wer die schwedische Sci-Fi-Serie »Real Humans«gesehen hat, findet schnell Zugang zu Emma Braslavskys Roman »Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten«. Er weiß, dass »Hubots«für »Human Robots« steht und hat eine Vision davon, wie stark Künstliche Intelligenz in naher Zukunft das Zusammenleben der Menschen verändern wird. Weiterlesen


Genre: Frauenliteratur, Science-fiction
Illustrated by Suhrkamp Berlin

NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Was wäre geschehen, wenn die Nazis schon über die heutige Computertechnologie verfügt hätten, wenn sie ihre Bürger hätten total überwachen und aus den Datenbergen Bewegungsprofile erstellen können? – Andreas Eschbachs Ausgangsfrage in seinem Roman »NSA« ist ebenso klug wie spannend. Weiterlesen


Genre: Dystopie, Endzeitthriller, Roman, Science-fiction
Illustrated by Bastei Lübbe