Ich bin ganz, ganz tot, in vier Wochen

»Dass mir und meinem Schaffen Unterstützung zuteil werde«, wünschte sich Robert Musil in einem Brief an den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg. Der Schöpfer von »Mann ohne Eigenschaften« stand mit diesem Gesuch durchaus nicht allein. In allen Epochen gab es Not leidende Schriftsteller, die »ihre Fingerköpfe wie Spargelspitzen« fraßen (Else Lasker-Schüler), »kaum noch die Kraft hatten, unter Brücken zu schlafen« (Wolfgang Koeppen) oder sich »in einer sehr armseligen Lage« sahen (Georg Trakl).

Bettel- und Brandbriefe berühmter Schriftsteller bestätigen literarisch das Spitzweg-Gemälde vom armen Poeten, wenn auch die Tonlage der Briefe, so die Herausgeberin, die Notlage der Verfasser nicht immer exakt abbilden. Auf der anderen Seite der um jeden Groschen kämpfenden Literaten finden sich der ständig auf Pump lebende Dichter Baron Detlef von Liliencron, der dem Suff verfallene Joseph Roth, der spielsüchtige Fjodor Dostojewski oder ein Wolfgang Koeppen, der sich Jahrzehnte lang von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld großzügig alimentieren ließ, ohne jemals die verabredeten Manuskripte zu liefern. Auch sie lebten teilweise von den klingenden Ergebnissen ihrer stürmischen Bittbriefe und Stundungsschreiben.

Ein knurrender Magen erwies sich für viele Autoren oftmals als Antrieb für die teilweise herrlichen Bettelbriefe, die Birgit Vanderbeke gesammelt und heraus gegeben hat. Da finden sich feinsinnig schöne Texte neben entwürdigenden und grausigen Selbstzeugnissen, ironisch-witzige Bittbriefe neben depressiv-peinlichen Jammerschreiben. Die Lektüre des Sammelbandes schenkt eine Menge literarisches Lesevergnügen und zeigt, dass Schriftstellerei unter allen gesellschaftlichen Bedingungen nur für wenige ein auskömmliches Geschäft ist. Der Auswahl förderlich wäre gewesen, jeden Brief konsequent in Kontext zu stellen, wie das in einigen Fällen sehr schön erfolgt ist. In diesem Punkt wäre der Herausgeberin durchgängiges Arbeiten oder die Unterstützung eines Lektors zu empfehlen gewesen. Oder knurrte ihr Magen, und das Buch musste schnell fertig werden?


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Autorenhaus Berlin

Unfreiwillige Wanderjahre

Egon Schwarz führt uns zunächst in die längst versunkene Welt des Wiener Judentums der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit großer Kenntnis, mit Humor und sprachlicher Präzision stellt er uns sein Leben vor. Ein Leben, das in jungen Jahren von der Flucht vor dem Faschismus und den langen Jahren des Exils gekennzeichnet war, von materiellen und kulturellen Entbehrungen, aber auch von menschlichen Entwicklungen bis hin zu den Erfüllungen seiner Lebenswünsche.

Diese Lebenserinnerungen sind für den heutigen Leser um so wichtiger, da es immer weniger Zeitzeugen und Chronisten jener barbarischen Zeit gibt. Dem Buch kann man nur viele Leser wünschen.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Verlag C.H. Beck

Jugendwahn und Altersstarrsinn

Ausgewählte Texte aus dem letzten Lebensjahr des 2003 verstorbenen Redakteurs der »Süddeutschen Zeitung« bilden gemeinsam mit einem Fragment über seine Sicht des Generationenkonflikts den Inhalt dieses Erinnerungsbuches. Der Verlag möchte damit die Brillanz der Schreibe dieses bedeutenden Publizisten noch einmal zum Leuchten bringen. Deutlich wird darin, wie schnell der Mensch altert und eines schönen Tages, ob er will oder nicht, auf der anderen Seite der Barrikade steht und sich von einer nachrückenden Jugend verfolgt fühlt, der er im Wege zu sein scheint.

Im Zuge der Bücherwelle über die überalterte Gesellschaft (Schirrmacher: »Der Methusalem-Komplex«) eine lesenswerte, ironisch distanzierte Sammlung journalistischer Texte.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Blessing München