Das Rätsel der Schamanin – Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen

https://c95871.ssl.cf3.rackcdn.com/p62wAOZrQE_assets/images/p62wAOZrQE_Zoom.webpWie ein Traum der Nazis zu einem Alptraum wird – und zu einem wahr gewordenen Traum der Egalität

Wer verstehen will, woher wir kommen und was unser Erb- und Kulturgut alles für Überraschungen bereithält, der halte sich an die Archäologie und Geschichtsforschung – aber ohne den ideologischen, kolonialen, patriarchalen und sonstigen Ballast, der unkritisch auch in die Forschung gern mal miteinfließt und damit instrumentalisiert wird.

So geschehen bei der Schamanin von Bad Dürrenberg. Denn das große und das winzige Skelett, das die Nazis zum gelungenen Beispiel ihrer Rassenideologie machten, entpuppte sich als wahrer Alptraum eines jeden Ariers: Zum einen lag in dem wichtigsten europäischen Grab des Mesolithikums kein Mann wie vorschnell angenommen, sondern eine mächtige Frau, die mit allen Ehren bestattet und Jahrhunderte nach ihrem Tod weiterhin verehrt und um Rat gefragt wurde. Zum zweiten war diese Frau auch noch eine „People of Color“ – braune Hautfarbe mit blauen Augen, wie die genetische Analyse zeigt. Und zum dritten wurde Menschen mit Handicaps früher augenscheinlich eine besondere Wertschätzung zuteil, wie dieses Grab und mehrere andere sorgfältig ausgestattete Gräber und deren inne liegende Knochen zeigen.

 

Unheilige Allianz von Patriarchat, Ideologie und Kolonialismus

Harald Meller und Kai Michel weisen in ihrem spannenden und z.T. humorvoll geschriebenen Buch nach, wie das patriarchale, ideologische und koloniale Denken in der Archäologie und der Geschichtsforschung eine unheilige Allianz eingegangen sind, um den jeweiligen Zeitgeist zu bestärken. Das hat mit unvoreingenommener, neutraler Wissenschaft nichts zu tun. Geht man aber objektiv an die Historie, dann hat die „Archäologie das Potential, unsere Gewissheiten auf den Kopf zu stellen. Welcome to Wonderland!“, wie es so treffend auf S. 42 im Buch heißt. Denn: „Der Archäologie im Verbund mit evolutionärer Anthropologie, Primatologie, Archäogenetik und Ethnografie verdanken wir die immer noch viel zu unbekannte Einsicht, dass unsere angebliche Normalität alles andere als normal ist. Wir leben in einem Ausnahmezustand.“ (S. 42/43)

Und zwar in einem negativen Ausnahmezustand. Dieser Ausnahmezustand umfasst das gesamte Patriarchat, das nur ein einziges Prozent der Menschheitsgeschichte ausmacht. In den 99% davor gab es egalitäre Gesellschaften, in denen Frauen geachtet bis hoch geachtet wurden. Es war die Zeit der hochmobilen Jäger*innen und Sammler*innen. Die Zeit dagegen, in der die Menschheit sesshaft geworden ist, ist viel zu kurz, um sich nennenswert in die menschliche Biologie einzuschreiben. Die Welt, in der wir leben, ist völlig anders als jene, an die wir uns die allermeiste Zeit der Geschichte angepasst haben. Deswegen beschleicht uns nach Michel und Heller immer wieder das Gefühl, mit dem Leben könne es nicht mit rechten Dingen zugehen. Die immer neuen kulturellen Adaptionen, die nicht selten der biologischen Natur zuwiderlaufen, sollen religiös, philosophisch und gesetzlich sicherstellen, dass Menschen in einem Umfeld funktionieren, das ihnen eigentlich widerstrebt.

Wie es früher nach hoher Wahrscheinlichkeit und nach gründlicher Recherche war, will das Autorenduo am Beispiel der Schamanin aufzeigen. Dabei wird zum einen der Begriff „Schamane“ und „Schamanimus“ und dessen Bedeutung genau unter die Lupe genommen, um nicht wieder dem Zeitgeist aufzusitzen. Ebenso wird der Animismus untersucht, der sich aus der Natur heraus selbst erklärt. Dieses Sich-aus-der-Natur-heraus-Selbsterklären zeigt auch auf, warum Frauen tendenziell eine geschätzte Stellung hatten – sie waren diejenigen, die das Wunder vollbrachten, Leben zu schenken. Das machte sie zu besonderen Wesen und das ist auch ein Grund, warum sie Zugang zu einer anderen Welt hatten. Im Übrigen galten Transvestiten, also jene mit wandelndem Geschlecht, als besonders talentiert im Umgang mit anderen Sphären.

 

Der Beginn der negativen 1% der Menschheitsgeschichte

Die Schamanin aus Bad Dürrenberg ist die ideale Personifizierung der animistischen Weltsicht; sie entpuppt sich als Meisterin der Beziehungen der Menschen untereinander und zu Wesen nichtmenschlicher Gestalt. Allerdings beginnt mit den Schamanen, und damit der Spezialisierung, das Zeitalter der Expert*innen. Das wiederrum bedeutet Abhängigkeiten, ungleich verteilte Ressourcen und Macht über andere. Der Zugang zu höheren, lebensbestimmenden Mächten, den früher alle hatten, wird beschränkt. Damit haben die Menschen ihr Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand. Im Neolithikum, der nach dem Mesolithikum folgenden Welt der Ackerbauern, lösen sich die alten Gruppenbeziehungen auf. Die Menschen sind jetzt an den Boden gebunden, die Bevölkerung explodiert. Das führt zu Konkurrenz um Ressourcen bis hin zum Krieg. Eigentum sichert die Existenz und muss beschützt und ggf. verteidigt werden. Das ist jetzt Aufgabe der Männer, die vor Ort bleiben. Die Frauen dagegen müssen in fremde Familien einheiraten und verlieren so ihr altes soziales Netzwerk. Die Männer geben ihr Eigentum an die Söhne weiter. „Hier wird die Einbahnstraße Richtung Patriarchat eingeschlagen, das uralte Gleichgewicht der Geschlechter zerstört.“ (S. 323)

Das bedingt auch, dass der Ahnenkult zum Schutz der Ansprüche auf das Land und das Eigentum forciert wird. Auch die Ahnen werden wie die Menschen ungleicher. Erst wenn die Menschen mächtige Menschen kennen, können sie sich mächtige Gottheiten vorstellen. Ahnenkult und Götter sind also recht späte Erfindungen der Menschheit.

Wenn intensiv Landwirtschaft betrieben und Eigentum angehäuft wird, öffnet sich die soziale Schere immer weiter. Es entstehen neue Herrschaftsformen und erste Staaten, deren Herrscher sich auf die Macht der Götter berufen: Herrschaftsreligion. „Die Herrschaftsreligion setzt auf Überwältigung und Monumentalität, auf Heerscharen von Priestern und bombastische Tempel. In dieser polytheistischen Welt der vielen Götter bestehen aber auch noch die alten spirituellen Sphären fort, die Welt der Geister, der Magie, des Zaubers und einer Vielzahl schamanischer Techniken. Das ist bunt, alltagstauglich, nicht dogmatisch, es wird mit allem experimentiert, was hilft und heilt. Wir haben es mit einer Religion von oben und einer Religion von unten zu tun. Nur die von oben, die Herrschaftsreligion, schreibt den Menschen vor, was sie zu glauben haben, wie sie leben sollen und was gut und böse ist. Die von unten, die Alltagsreligion, ist einfach da und versteht sich von selbst.“ (S. 324)

Für den neuen Monotheismus dagegen sind alle anderen Götter nicht existent und ihre Verehrung Götzendienst. Damit wird die Religion von unten mit ihrer Alltagsreligion und ihren vielen mächtigen weiblichen Gottheiten bekämpft. Deren Repräsentant*innen sollen getötet werden. Die Menschen dürfen nur noch das glauben, was ihnen von oben vorgeschrieben wird. Alle anderen religiösen und spirituellen Praktiken werden verteufelt: Heiden, Hexen (Hek-se: Heckensitzerin; diejenige, die die Hecken, also die Grenzen [auch von Diesseits und Jenseits] bewacht und beschützt), manche Mystikerinnen werden brutal verfolgt. Der europäische Kolonialismus trägt die Religion von oben in die Welt und erklärt dem animistischen Denken, der Alltagsreligion, den Krieg.

„Doch das ist ein Kampf gegen die menschliche Natur. Denn die setzt bei übernatürlichen Dingen auf viele Akteure. Darum musste schon das Christentum mit Engeln und Teufel, mit Dämonen und Legionen von Heiligen nachbessern. Unsere Natur verlangt zu allen Zeiten nach ihrem Recht. Deshalb bricht diese verdrängte und unterdrückte Seite heute wieder hervor, kaum haben die Kirchen ihre Macht verloren. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt verschwindet das spirituelle Bedürfnis der Menschen beileibe nicht vollständig. Wie auch, meldet sich hier doch unsere alte, animistische Natur.“ (S. 325)

Allerdings hat die Geschichte immer wieder mit Geschichtsfälschungen zu kämpfen, denn die angeblich großen Denker und Forscher waren allesamt männlich und damit patriarchal, ideologisch und kolonial kontaminiert. Heller und Michel müssen sich also erst einmal durch allerlei Altlasten diesbezüglich wühlen, um der realen Frau von Bad Dürrenberg näher zu kommen. Das tun sie mit Beharrlichkeit und immer neuer Motivation, denn diese Frau birgt die ein oder andere Überraschung. Dabei beleuchten die beiden Autoren ausführlich die damaligen Umweltbedingungen, Lebensumstände und das vermutlich animistische Denken; dies alles wird auch im Kontext heutiger Schaman*innen und der weiteren Geschichtsschreibung gesehen.

 

Fazit

Die Schamanin von Bad Dürrenberg erwacht wieder zum Leben und hat uns auch heute noch etwas Wichtiges zu sagen – nämlich, woher wir kommen und wie die Vergangenheit in uns bis heute nachwirkt. Und das nicht zu unseren Ungunsten, ganz im Gegenteil. Sie holt das zutiefst Menschliche wieder ans Tageslicht, das uns immer wieder die Richtung zeigt im Umgang mit anderen Menschen, mit Tieren, mit Pflanzen, mit spirituellen Sphären. Deshalb ist die Vergangenheit gerade heute so aktuell wie nie zuvor, denn sie weist Richtungen auf, die zu Lösungen der aktuellen Katastrophen führen können. Auf all das weist das Buch hin und erweckt gleichzeitig die Vergangenheit, die bis in die Genetik reicht, auf faszinierende Weise wieder zum Leben. Heller und Michel ist damit ein wichtiges Buch gelungen, das gut vernetzt werden kann mit heutigen Erkenntnissen über den Schutz und der Achtung der Umwelt, mit dem spirituellen Grundbedürfnis der Menschen und mit einem guten sozialen Miteinander.

 


Genre: Anfänge der Menschheit, Animismus, Anthropologie, Archäogenetik, Archäologie, Egalität, Ethnografie, Ideologie, Kolonialismus, mächtige Frauen, Menschheitsgeschichte, Patriarchat, Primatologie, Religiosität, Spiritualität
Illustrated by Rowohlt

Licht am Ende des Lebens – Bericht einer außergewöhnlichen Nahtoderfahrung

Licht am Ende des Lebens - Bericht einer außergewöhnlichen Nahtoderfahrung

Eine der ersten dokumentierten Nahtoderfahrungen

Autorin Betty J. Eadie war 31 Jahre alt, als sie nach einer Routine-Operation an der Gebärmutter starb und eine Nahtoderfahrung machte. Das ist nicht die erste in ihrem jungen Leben: Als kleines halb-indianisches Kind in einem katholischen Internat schenkten ihr die Schwestern keinen Glauben, als sie hochfiebrig war. Zu spät bei einem Arzt vorgestellt, diagnostizierte er Keuchhusten und eine schwere Lungenentzündung. Der Arzt verlor sie, aber Betty kam zurück. Voller unguter Vorahnungen trotz ärztlicher Beruhigungsversuche erinnerte sich Betty an dieses Erlebnis. Tatsächlich bewahrheiteten sich diese Vorahnungen und Betty starb zum zweiten Mal.

Dieses Erlebnis hatte nur am Anfang etwas Erschreckendes an sich, als der Körper wegen seines Zustandes Alarm schlug. Als sich Bettys Seele schließlich außerhalb ihres Körpers befand, bemerkte sie eine Reihe guter Dinge: Sie war völlig beschwerdefrei, extrem beweglich und konnte schweben. Auch von einem Ort zum anderen zu gelangen stellte kein Problem mehr da. So besuchte sie als Seele z.B. ihre Familie und bekam beruhigende Einblicke. Hilfe erhielt sie von Seelenfreunden, die sie schon von Anfang der Zeit an begleitet hatten. Durch einen heilenden Tunnel gelangte sie zu einem Licht, in dem sie Jesus erkannte. Die Liebe, die von ihm und anderen geistigen Wesen ausgeht, ist allumfassend und verurteilt nicht. Betty bekam in weiteren Verlauf Einblicke in das jenseitige Leben und Antworten auf alle ihre Fragen. Sie fühlte sich so wohl in diesem Seinszustand, dass sie nicht wieder zurückkehren wollte. Erst als ihr die Erinnerung an ihre Aufgabe auf Erden gewährt wurde, entschloss sie sich zurückzugehen.

Die wichtigste Botschaft dieser Erfahrung lautete: Liebt einander. “Die Einzelheiten meiner Erfahrung sind nur insoweit von Belang, als sie uns helfen zu lieben. Alles andere ist nebensächlich”, resümiert sie.

Embraced by the light

… der Originaltitel des Buches und ihrer Internetseite gibt viel besser wieder, worum es wirklich geht: alles umfassende, nicht wertende Liebe.

Schaut man sich die Nahtoderfahrungen der Patienten von Elisabeth Kübler-Ross und Raymond Moody und diese Nahtoderfahrung an, lässt sich sagen, dass sie sich in grundlegenden Dingen wie dem Tunnel, dem Licht, der Liebe, der außerkörperlichen Erfahrung,  und dessen, was die Seelen dann sehen, dem Hinweis, zu früh gestorben zu sein usw. ähneln. Natürlich gibt es Unterschiede in den Einzelheiten, z.B. in der Länge des Todes und der jeweiligen Intensität und Detailliertheit der Erlebnisse, aber die Grunderfahrungen gleichen sich trotzdem.

Außerdem fällt auf, dass die Nahtoderfahrungen (auch diese) am Beginn der Erfahrung dessen ähneln, was die Reinkarnationsforschung herausgefunden hat. Dort, wo die Toten nicht den kompletten Übergang vollziehen, macht die Reinkarnationsforschung (z.B. Beratungspsychologe und Hypnotherapeut Michael Newton, Psychiater Ian Stevenson und dessen Nachfolger Jim B. Tucker) weiter und gibt tiefere Einblicke in die jenseitige Welt. Die religiöse Ausrichtung spielt dabei keine Rolle. Eadie schreibt dazu: “Jede Glaubensrichtung erfüllt spirituelle Bedürfnisse, denen andere Kirchen womöglich nicht gerecht werden. Keine Kirche kann jedermanns Bedürfnisse auf allen Ebenen erfüllen.” Alles dreht sich um Erfahrungen und Wachstumschancen, auch in Hinsicht auf Religionen und evtl. den Wechsel von einer Religion zur anderen. Wenn man genauer hinschaut, dann glauben nicht nur klassische große Religionen wie der Hinduismus und der Buddhismus an Reinkarnation, sondern auch die Seitenlinien und mystischen Richtungen der monotheitischen, die oft als ketzerisch im Laufe der Zeit verurteilt wurden (s. z.B. die jüdische Kabbala, die christliche Gnosis und u.a. Kirchenlehrer Origenes von Alexandria, Druze und Alawi).

Eadie allerdings lehnt den Reinkarnationsgedanken ab. Man existiere zwar schon von Anbeginn an, aber es gebe nur eine Inkarnation, nach der man zu Gott zurückkehre. (Sie ist gläubige Katholikin, was kein Widerspruch zur Reinkarnationstherorie oder den Nahtoderfahrungen ist, denn die Erfahrungen werden anscheinend im Jenseits so angepasst, dass die Seelen sich nach ihrem Tod wohlfühlen. So sieht sie Jesus Christus, andere sehen Buddha usw. ) Allerdings gibt es viele Aspekte in ihrem Buch, die auch in der Reinkarantionstherorie auftauchen: die Wahl eines geeigneten Körpers, die Wahl der Umstände, in die man hineingeboren wird, die Begleitung der Lebenden eine Weile nach dem Tod und die Beobachtung der eigenen Beerdigung, wenn gewünscht, das Empfangskomitee nach dem Tod, die jenseitige Bibliothek, die Gedanken, die Realität erschaffen, die entgangenen Chancen bei einem Selbstmord, verschiedene spirituelle Entwicklungsstufen, Auswahl der Lebensaufgabe, Wahl der Begleiter auf der Erde, der Rat usw.

Fazit

Alles in allem ein lesenswertes Buch für Menschen, die offen mit dem Tod und dem, was danach kommt, umgehen können, und vielleicht auch ein Trost für diejenigen, die einen geliebten Menschen verloren haben.


Genre: Religion, Spiritualität
Illustrated by Weltbild

Auf dem Jakobsweg

Paulo Coelho machte sich 1986 – also vor mehr als einem Vierteljahrhundert – selbst auf die Roata Compostela, den Jakobsweg, und schrieb danach darüber sein erstes Buch, das in einer neuen Taschenbuch deluxe Ausgabe beim Diogenes Verlag mit eigenem Notizbuch erschienen ist. Das Notizbuch ist ebenfalls mit Coelhos beliebten Kalendersprüchen versehen und lässt dennoch noch viel Platz für eigene Eintragungen, sollte man sich tatsächlich auch einmal auf den Weg machen wollen.

Das Schwert und die Zeit

Die insgesamt elf Exerzitien oder Rituale, die dem Ich-Erzähler in vorliegendem Buch von seinem geistigen Führer Petrus auf dem Jakobsweg empfohlen werden, lassen sich aber auch schon jetzt – zuhause – in die Tat umsetzen. Es sind einfache spirituelle Übungen, die sich leicht umsetzen lassen und so den Jakobsweg Coelhos auch in den eigenen vier Wänden nachvollziehbar machen. Aber es geht natürlich auch die Geschichte, die der brasilianische Autor von seiner ersten großen Reise – getrennt von Frau und Kind – erzählt. Sein sehr persönliches Tagebuch seiner Pilgerreise nach Santiago de Compostela beginnt mit Selbstzweifeln und Aufschüben. Über ein halbes Jahr braucht Paulo, um sich endlich auf den Wege zu machen, sein Schwert zu finden. Das Schwert steht in seiner Mythologie für den Weg zu sich selbst, für die Macht sein Leben selbst zu bestimmen. „Wir sind es, die den Rhythmus der Zeit bestimmen.“

Pilgern für Christen

Der Leser erfährt aber auch von dem Gemeinsamkeiten aller Weltreligionen. So verlangt etwa nicht nur muslimische Tradition eine Pilgerreise nach Mekka, sondern auch das Christentum kennt davon drei: Der erste führt zum Grabe Petr in Rom, der zweite zum Heiligen Grab Christi in Jerusalem und der dritte zu den Reliquien des Apostels Jakobus. Der Weg erhielt den Weg „Compostela“, was nichts anderes bedeutet als Sternenfeld und die Reisenden erkennen sich an dem Symbol der (Jakobs-)Muschel. Die 700 Kilometer zwischen Jean Pied de Port nach Santiago wurden schon im 14. Jahrhundert von einer Million Menschen erwandert. Seither sind es bedeutend mehr geworden und einer davon war auch Paulo Coelho. „Jede Reise ist ein Akt der Wiedergeburt“, schreibt er, und doch ist das Entscheidende der Weg, denn wie beim Sex entscheide auch das Vorspiel über die Intensität des Vorspiels, so Coelhos Führer Petrus. „Nur wer das Geräusch der Gegenwart wahrnimmt, kann die richtige Entscheidung treffen.“ Die beste Zeit in sich zu gehen ist ohnehin das Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr. Ein wichtiges Buch, über das man sich selbst eine Meinung bilden sollte indem man es endlich liest. Auch erschienen als Hardcover Pappband mit 288 Seiten um € (D) 14.90 / sFr 19.90* / € (A) 15.40.

Paulo Coelho
Auf dem Jakobsweg
Inklusive Notizbuch mit Zitaten
Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann. Mit einem Vorwort des Autors
2018, Taschenbuch deluxe, 368 Seiten
ISBN: 978-3-257-26141-7
€ (D) 15.00 / sFr 20.00* / € (A) 15.50
Diogenes Verlag


Genre: Esoterik und Grenzwissenschaften, Ratgeber, Spiritualität
Illustrated by Diogenes

Die Nachfolge

Nachfolger Christi: Dietrich Bonhoeffer

Die Nachfolge Christi: Zu den wichtigsten Schriften des „Bergpredigt-Christen“ – wie Bonhoeffer gerne auch genannt wird – gehören neben „Widerstand und Ergebung“, den Briefen aus der Haft und dem „Gemeinsamen Leben“ auch die vorliegenden Texte der in „Nachfolge“ abgedruckten Texte.Dietrich Bonhoeffer, der für seine Überzeugungen von den Nazis ermordet wurde, bekam seine Emanation durch die Gottesdienst- und Gemeinschaftserfahrungen in einer schwarzen Gemeinde Harlems, der Abessinian Baptist Church, wo er auch mitarbeitete, wie Peter Zimmerling in seiner Einführung schreibt. Bonhoeffers Hinwendung zu einem persönlichen Christusglauben beruhte auf zwei Pfeilern: der neuen Sicht der Bibel als „Liebesbrief Gottes“ und der Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi. In „Nachfolge“ beschreibt er, wie das „glaubende Erleiden“, das „Halten des Gebotes“ gegenüber dem „Ausweichen“ aussehe, so Zimmerling weiter. Nach dem Ende des Sommerkurses 1936 begann Dietrich Bonhoeffer seine Finkenwalder Vorlesungen zum Thema Nachfolge zu einem Buchmanuskript umzuarbeiten. Inzwischen erscheint „Nachfolge“ in der 16. Auflage und wurde in alle Weltsprachen übersetzt.

Vergebung statt Rache

An Gott glauben kann man vielleicht für sich allein im stillen Kämmerlein. Nachfolge jedoch ist nur möglich in der Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern.“, interpretiert Zimmerling das Wirken Bonhoeffers.Dietrich Bonhoeffer selbst hat seinen Text in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird gezeigt, wie sich der irdische Jesus von Nazareth Nachfolge gedacht hat, im zweiten Teil entfaltet er wie Nachfolge heute, also nach Kreuzigung und Auferstehung Jesu, in der Gemeinschaft der Kirche aussieht, so der Herausgeber. Das Buch will zeigen, wie konsequente Nachfolge Jesu nach der Bergpredigt im Dritten Reich gelebt werden kann. Das „Außerordentliche des christlichen Lebens“ beschreibt Dietrich Bonhoeffer etwa im Kapitel „Die Bergpredigt“. Die Seligpreisungen aus der Bergpredigt haben sich ja weit verbreitet und jeder in unserem Kulturpreis kennt ein paar Sätze, die mit den Worten „Selig sind, …“ beginnen. Also etwa „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Dietrich Bonhoeffer interpretiert diesen Satz weiter zu: Sie wollen kein eigenen Recht. Sie wollen alles Recht Gott allein lassen; non cupidi vindictae“: Kein Verlangen nach Rache. Oder „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie sollen Gott schauen.“ Dietrich Bonhoeffer definiert „reines Herz“ mit „das einfältige Herz des Kindes, das nicht weiß um Gut und Böse, das Herz Adams vor dem Fall, das herz in dem nicht das Gewissen, sondern Jesu Wille herrsche.

Weg zum Bruder als Weg zu Gott

Wer seinem Bruder zürnt, wer ihm ein böses Wort gibt, wer ihn öffentlich schmäht oder verleumdet, hat als Mörder vor Gott keinen Raum mehr. Er hat sich mit dem Bruder auch von Gott getrennt.“, schreibt Bonhoeffer und so bleibe dem, der den wahren Gottesdienst in der Nachfolge Jesu tun will, nur ein Weg, der Weg zur Versöhnung mit dem Bruder. Auch für den „theologischen Laien“ ist diese Ausgabe der Texte von Dietrich Bonhoeffer gut geeignet. Bei griechischen Wörtern wurde die Umschrift ergänzt und griechische und lateinische Begriffe werden zudem in den Anmerkungen übersetzt sowie auch einige theologische Fachbegriffe ebenso in den Anmerkungen erklärt werden. Weitere Titel von Dietrich Bonhoeffer, die im Brunnen Verlag erschienen sind lauten etwa „Schöpfung und Fall“, „Theologische Auslegung von Genesis 1-3“ oder „Die Psalmen“.

Dietrich Bonhoeffer

Nachfolge. Mit einer Einführung von Dr. Peter Zimmerling

2016, 320 Seiten, gebunden, 14 x 21 cm

ISBN: 978-3-7655-0948-3


Genre: Religion, Spiritualität
Illustrated by Brunnen Verlag

Die innere Stimme

Christian FelberChristian Felber legt mit diesem Buch ein überzeugendes Dokument seiner Verwurzelung in der lebendigen Erde vor. Er outet sich sehr bedacht als spirituell inspirierter Mensch, dessen Wurzeln Inspiration aus der tiefenökologischen Betrachtungsweise der Erde ziehen. Eine Haltung, die Erde und alle Wesen auf ihr als lebendig, mit Seele versehen erkennt und daher ein tiefes Verständnis von Ökologie, von den Zusammenhängen des Lebens auf der Erde erweckt.
Der Verfasser der „Gemeinwohlökonomie“ und Mit-Begründer von Attac Österreich, den der wirtschaftspolitisch Interessierte aus zahlreichen präzisen Diskussionsbeiträgen in den Medien kennt, überrascht mit „Die innere Stimme“ durch die Direktheit, mit der er sich zu spirituellen Erfahrungen bekennt und der Klarheit, mit der sie ihm auf seinem (politischen) Weg helfen. Damit liegt ein Werk vor, das höchst notwendig einen Zusammenhang von spirituellen Einsichten und ökonomisch-ökologische Konsequenzen im Denken und Handeln darlegt. Wobei der Autor nicht darauf hinzuweisen vergisst, dass alleine schon die ethische Haltung (ohne spirituelle Fundierung) ausreicht, ökologisch und verantwortlich zu handeln. Umso schöner, wie Felber seine Verbundenheit mit der Natur, mit Mutter Erde, mit den Wesen auf ihr streckenweise poetisch zum Ausdruck bringt. Ein Buch, das alle spirituell Interessierten lesen können, um wenn sie wollen, ökologische Verantwortung daraus abzuleiten.
Gerade an ein, zwei Stellen läuft der Text Gefahr, missverständlich interpretiert zu werden. Etwa wo es um die „permanente kreative individuelle Selbsterschaffung“ geht: Felber meint damit, dass wir uns weiterentwickeln können und sollen, der narzisstisch angehauchte Esoteriker könnte aber (wie der Zeitgeistbobo) an die permanente Selbsterfindung erinnert sein – ans ständige Neuerschaffen eines Images, eines Selbstbildes, das an Stelle eines wahren Selbst tritt. Wer Felbers Buch liest, begreift aber rasch, dass es dem Autor um echte Weiterentwicklung geht (und damit auch ökologisches Interesse), und nicht um Selbstdarstellung, also die Projektion beliebiger Bilder in die Welt, um sich selbst oder ein Produkt zu verkaufen. Felber kennt die Qualitäten der Stille, der Meditation in der Natur, die Kraft des Tanzes – das Hören nach Innen.
Diese Erfahrungen (die er nicht scheut mystisch zu nennen) lassen ihn so großartige Sätze formulieren wie, dass spirituelle Anbindung zu einer Hochzeit von Freiheit, Menschenwürde und Gemeinwohl führt. An anderer Stelle spricht er von TTIP als Handelsdiktatur. Geld ist nur ein Mittel, nicht der Zweck des Lebens: daraus resultiert seine fundierte Kapitalismuskritik, wie sie in der Gemeinwohlökonomie zu studieren ist. Spiritualität als Basis hilft, nicht fanatisch zu werden, sondern stets an die Anbindung ans Leben, die Erde, das Mitgefühl zu denken, und nicht zu Erstarren (weder in religiösen noch in ideologischen Vorschriften).
Vielleicht noch besteht die Gefahr, dass generell die „innere Stimme“ mit dem „inneren Zensor“ verwechselt wird – einer Stimme, die permanent von innen ins Ohr plärrt, was richtig und falsch ist (scheint) und wie man/frau sich am günstigsten selbst darstellt. Diese Stimme ist der Ausdruck narzisstischen Denkens, das streng kontrollierend und zensierend wirkt und mit der inneren Stimme Felbers gar nichts gemein hat, die mitfühlend und durchs Herzen spricht – oft auch durch die Stille. Die innere Stimme erschließt sich nicht durch das Denken, sondern durchs Spüren, teilt er uns mit und erklärt die innere Stimme als vom Denken weitgehend unabhängig – Felber formuliert erhellend: „Der kognitive Denkprozess sagt uns über unseren wahren Zustand, über unsere innere und innerste Befindlichkeit ungefähr so viel wie die Aktienkurse über das Gemeinwohl.“

Christian Felber: „Die innere Stimme – wie Spiritualität, Freiheit und Gemeinwohl zusammenhängen“, Publik-Forum, 2o15


Genre: Esoterik und Grenzwissenschaften, Spiritualität
Illustrated by Publik-Forum