Sturz der Titanen, Winter der Welt, Kinder der Freiheit

Wenn man eins Ken Follett nicht vorwerden kann, sind es mangelnde Ambitionen. Immer schön, wenn auch vom Erfolg Verwöhnte noch Ziele haben. Nicht mehr und nicht weniger als die Chronik des letzten Jahrhunderts wollte er schreiben. Im September erschien nun weltweit mit “Kinder der Freiheit” Teil drei seiner großangelegten Familiensaga. Zeit, das Gesamtkunstwerk zu beleuchten und die Frage zu stellen , ob dies ambitionierte Unterfangen gelungen ist. Die Antwort vorweg: Mit Abstrichen ja, im Großen und Ganzen kann sich das über 3000 Seiten starke Werk sehen lassen.

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Fünf Familien aus Amerika, Deutschland, Russland, England und Wales geleitet der Schriftsteller durch die weltbewegenden politischen Wirrnisse des letzten Jahrhunderts. Fünf Familien, die sich im Laufe der Saga auf die ein oder andere Weise miteinander verbinden oder zumindest begegnen. Teil eins, “Sturz der Titanen” beginnt 1914 mit dem Aufstand der Bergarbeiter in Wales und führt den Leser bis kurz vor den Ausbruch des zweiten Weltkriegs. Teil zwei “Winter der Welt” beginnt mit Hitlers Machtergreifung und thematisiert hauptsächlich die dunklen Jahre des zweiten Weltkriegs. Teil drei “Kinder der Freiheit” schließlich beginnt mit dem Bau der Berliner Mauer und endet mit ihrem Fall.

Aufstieg und Fall des Kommunismus, Bürgerkriege allerorten, Spionage, Diktaturen, Freiheitskämpfe, Bürgerrechtsbewegungen – alles ist eingewoben in diese Trilogie, kein Kampf wird vergessen, kein Aufstand bleibt ungewürdigt. Dazwischen wird geliebt, gelitten, gefreut, geboren, gestorben in bekannter Folletscher Manier. Damit man als Autor wirklich die ganze Geschichte des letzten Jahrhunderts in Romanform unterkriegt, ist der Griff zum bewährten Forrest-Gump-Kniff das Mittel der Wahl und so bleibt es nicht aus, dass mancher Handlungsstrang sehr weit hergeholt und bemüht wirkt. Aber dessen ungeachtet bieten das epische Werk eine historische Grundlagen-Aufarbeitung und geschmeidige Lektüre.

Sorgfältig recherchiert, aber auch von Neugier getrieben, verbindet Ken Follett belegte Historie mit fiktionalen Geschichten. Seine strikte Regel “Immer herausfinden, was passiert sein könnte, aber niemals etwas Unmögliches geschehen zu lassen” befolgt er dabei akribisch genau, hinterfragt auch kleinste Kleinigkeiten. Das führt einerseits zu unterhaltsamen Handlungssträngen, etwa bei Jack Kennedys amourösen Betätigungen, andererseits gehen etliche Details viel zu sehr in die Breite. Braucht es wirklich diverse Seiten, um die Kleidungsgewohnheiten der Upper class zu beschreiben oder hätten es nicht ein paar Nebensätze auch getan?

Gleiches gilt für die von Ken Follett anscheinend sehr geliebten Sex-Szenen, denen er nicht widerstehen kann. Gerade in Teil zwei finden sich eklatant viele, mancherorts wurden seine Romane gar schon augenzwinkernd als Männerromane bezeichnet. Dazu sei einmal mehr gesagt: Ja, natürlich, man kann auch über Vergewaltigungen schreiben, gerade im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg geht es wohl auch nicht ohne. Aber – muss es wirklich so offensichtlich als gewollt antörnende Vorlage dienen? Was sämtliche Sexszenen nebenbei bemerkt, auch nicht tun. So hölzern und technisch, wie es letzten Endes rüberkommt, ist vielleicht doch sogar die Lektüre einer Gebauchsanweisung für Waschmaschinen erotischer.

Ganz grundsätzlich ist auch die große Literatur Ken Folletts Sache nicht, da mag man es noch so gerne als “Literarisches Denkmal des Jahrhunderts” bewerben. Oft ist seine Sprache holprig, in der Übersetzung finden sich zudem immer wieder kleinere Logikfehler, so etwa, wenn die Namen der Protagonisten durcheinandergewürfelt werden. Das ändert aber nichts daran, dass dem Leser durch die Romanhandlung die Möglichkeit gegeben wird, diese erst so kurz hinter uns liegende Epoche noch einmal mit anderen Augen zu sehen, sie dadurch greifbar und von der Abstraktheit des Geschichtsunterrichts befreit vor sich zu sehen. Dass man sich jederzeit denken kann, wie die jeweilige Storyline ausgeht, wenn man die Historie so halbwegs kennt, stört dabei eher weniger und nimmt der Spannung erstaunlich wenig.

Eher irritiert da schon die sehr unterschiedliche Gewichtung der politischen Ereignisse. Wenn in Teil drei beispielsweise gut fünf Jahrzehnte abgehandelt werden sollen, wundert man sich nach der Hälfte des Buches schon, warum Martin Luther King immer noch für seine Bürgerrechtsbewegung kämpft. Entsprechend wird manch anderes Nachfolgende hektisch abgehandelt und auch nicht jede handelnde Person bekommt ein auserzähltes Ende. Was aber auch nicht allzu schlimm ist, denn die Charaktere sind zwar alle nachvollziehbar, oft genug aber auch sehr eindimensional. Aber wenn jede Figur immer dem Zwang des Übergeordneten folgend in eine bestimmte Ideologie eingebunden werden muss, bleibt das wohl nicht aus. Dennoch verliert Follett nie den Faden, der Leser seinerseits greift zwischendurch sicher dankbar zu den sorgfältig gezeichneten Stammbäumen der einzelnen Familien.

Ungeachtet der Mängel sind die drei Romane (auch einzeln) gut lesbar und den beseelten Geschichtenerzähler nimmt man dem Autor jederzeit unberufen ab. Grundsätzlich muss man natürlich auch berücksichtigen, dass bei weitem nicht jeder Leser über ein ausreichendes geschichtliches Grundverständnis verfügt und es sicher dringend not tut, auch weniger versierten Lesern Zusammenhänge, die bis heute nachwirken, nahe zu bringen. Alleine diese Ambition ist zweifelsohne aller Ehren wert. Irgendwer muss es ja machen und wenn es Ken Follett ist. Wenn man sein Wissen aus Unterhaltungsromanen bezieht – auch gut. Hauptsache, man bezieht es überhaupt irgendwoher. Darüberhinaus macht es auch einfach Spaß, nachzulesen, wie komplett anders der Alltag der Menschen im Laufe der Jahrzehnte war, wie sich alles entwickelt hat – von den Anfängen der Motorisierung bis zu unserer heutigen nahezu unbegrenzten Reisefreiheit oder die Kommunikation von der ersten Depesche bis zu den Anfängen des Computerzeitalters.

Alles in allem ist diese Trilogie eine angemessene Würdigung des Wirkens der Menschen des letzten Jahrhunderts. Follett selbst sagt, dass ihm erst während des Schreibens klar wurde, dass der Leitgedanke des letzten Jahrhunderts der Kampf für die Freiheit war. Es war die gewalttätigste Epoche in dre Geschichte der Menschheit und erst durch die Rückschau erschließt sich, wieviel erreicht wurde von dem, was heutzutage für uns selbstverständlich ist. Die Trilogie zeigt unterm Strich eindringlich, wie schwer der Kampf für die Freiheit war, wie schwer erreichbar sie war und ist von daher sicher auch ein Mahnmal dafür, Errungenschaften wie Demokratie und Freiheit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Interessanterweise ist der Epilog des dritten Teils genau dafür ein beredtes Beispiel. In diesem Epilog springt Follett in unsere Gegenwart und thematisiert die Vereidigung Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten der USA. Zeigen wollte Follett damit wohl eher den erfolgreichen Schlusspunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der er ja in der Gesamtgewichtung extrem viel Raum gegeben hat. Der europäische Leser hingegen wird wohl eher nicht umhin können, daran zu denken, dass gerdae dieser Präsident, in den so viele Menschen soviele Hoffnungen gesetzt haben, in mehr als einer Hinsicht enttäuscht hat, auch und gerade, was die Verteidigung der Freiheitsrechte angeht.

Ken Follett
Sturz der Titanen, 1038 Seiten, ISBN 978-3-404-16660-2
Winter der Welt, 1024 Seiten, ISBN: 978-3-8387-0907-9
Kinder der Freiheit, 1036 Seiten, ISBN: 978-3-8387-5778-0
Verlag Bastei Lübbe
Band 1 und 2 bereits als Taschenbuch verfügbar,
alle 3 Teile als E-Books und Hörbücher verfügbar.

Diskussion dieser Rezension gerne im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Bastei Lübbe

Die Tore der Welt

Erstveröffentlichung dieser Rezension am 09.April 2008 im Blog der Literaturzeitschrift.de. Mittlerweile hat sich der Kurs nicht nur der Telekom-Aktie dramatisch geändert, Schweinefleisch kostet so ungefähr noch dasselbe, die Tore sind als Taschenbuch erschienen und ganz neu auch als Filmbuchausgabe.(s. verwendeter Cover-Download) Die Säulen der Erde wurden mit großem Erfolg verfilmt und in der Adventszeit 2012 geht auch die Verfilmung der Tore als Vierteiler an den Start. Zur Einstimmung auf dieses Ereignis hat sich die Rezensentin für einer erneuten Veröffentlichung der Buchbesprechung entschieden.

Tore der Welt - FilmbuchausgabeDie Tore der Welt.Die mit grossen Getöse angekündigte Fortsetzung von “Die Säulen der Erde”, dem grossen Historienroman des letzten Jahrhunderts.  Fortsetzung der Säulen? Geht das überhaupt? Waren nicht fast alle gestorben in den Säulen? Ich lerne schnell: Nein, geht eigentlich nicht.

Der Kunstgriff: Der selbe Ort, andere Zeit. Kingsbridge, England im Jahre 1327. Wir begleiten vier junge Menschen. Den Baumeister Merthin, einen Nachfahren des unvergessenen Jack, schwankend zwischen Genie und Rebellion. Seinen in den Ritterstand aufstrebenden Bruder Ralph. Das Mädchen Caris, die dem Traum folgt, Ärztin zu werden. Und die jüngste, Gwenda. Kind eines Tagelöhners, die den Traum der Freiheit und der Liebe träumt. Zu Beginn des Romans werden die Vier Zeugen eines Kampfes – und eines tödlichen Geheimnisses.

Ist das jetzt eine Fortsetzung? In meinen Augen ein klares Nein. Es sei denn, man definiert eine Fortsetzung dadurch, dass sie am selben Ort spielt , einer der Helden den gleichen Beruf hat und gelegentlich pflichtschuldigst erwähnt wird, das in den ein oder anderen Adern das gleiche Blut fliesst wie in den Adern von Jack und Aliena selig.Die Tore der Welt handeln vom Leben der Nachfahren der SäulenHauptcharaktere. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich vermisse den roten Faden. In den Säulen geht es vom ersten bis zum letzten Satz um den Bau einer Kathedrale. Eine klare Linie. Die Tore erzählen Lebensgeschichten. Ein durchgehender Handlungfaden, ein Ziel fehlt. Es werden Brücken, Krankenhäuser, Paläste gebaut, die Pest bricht mehrfach aus – gesichts- und leidenschaftslos geschildert wie selten. Die nächste Katastrophe wartet bereits an der nächsten Ecke. 1300 Seiten sind da noch knapp bemessen. Lange Reflexionen über das, was die Menschen so vor sich hindenken, im Wechsel mit bautechnischen Details brauchen schliesslich viel Platz. Die Charaktere wirken wie mit der Schablone des Baumeisters gezeichnet. Gut und Böse allzeit definiert, die Schicksale so vorhersehbar wie der Lauf des Flusses um Kingsbridge.

Im Grunde werden die immer gleichen Intrigen immer wieder durchgespielt. Ralph arbeitet sich gefühlte hundert Mal an seinem Rivalen Wulfric ab, der unwürdige Prior Godwyn kann keinen strategischen Schritt ohne seine Mama machen. Caris wäre es ohnehin lieber gewesen, in einem Roman des 21. Jahrhunderts beschrieben zu werden . Merthin baut mal hier, mal da, macht gefühlte 200 Heiratsanträge und hat immer eine tolle Idee. (Ich hörte schon von Lesern, die sich unwillkürlich an “Wickie” erinnert fühlten)

All die Geschichten wirken wie bereits erzählt. Die nur durch einen Eintritt ins Kloster auflösbare Abhängigkeit der Frauen, die Unbarmherzigkeit des Adels und der Kirche, die Knechtschaft der Lehrlinge unter den Gildemeistern, der Leibeigenen unter den Grundherren. Die Geschichten von Hexen- und Dämonenglauben, die von den Auswirkungen der Pest – alle schon mehrmals gelesen. Oft besser, spannender, authentischer, glaubwürdiger als hier. Auch die Idee, den Roman mit einem Geheimniss zu beginnen, welches sich erst am Ende löst- nicht wirklich neu. Zumal das im Klappentext groß angekündigte Geheimnis die Geschichten an sich nicht tangiert und im Rest des Romans kaum mehr zum Tragen kommt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, der Autor greift es nur aus Pflichtbewusstsein wieder auf.

Die Ankündigung der Buchclubs Sex, Sex und noch mehr Sex in den Toren? Echte Sex-Szenen, noch dazu gute, muss man mit der Lupe suchen. Es sei den Verantwortlichen ins Stammbuch geschrieben, dass Vergewaltigungsszenen auch dann keine Sex-Szenen sind, wenn Ken Follett sie verfasst. Im Original titelt der Roman im Übrigen World without an end. (Ich hoffe ja mal nicht).Woher dann der deutsche Titel? Um Tore an sich geht es eher selten bis gar nicht.  

Und noch was. Mir persönlich wichtig. Für 25 Euro krieg ich 2 kg gutes Schweinefilet, von mir aus auch 3 1/4 Telekom Aktien oder eben einen Ken Follett im Hardcover. Der geneigte Leser, soviel Geld anlegend, erwartet nicht nur einen Roman – der ihm gefallen mag oder eben auch nicht, das Risiko geht er ein – er erwartet zum Mindesten ein korrekt gesetztes Buch. Was er nicht erwartet, sind Druck-und Grammatikfehler, auch nicht des öfteren verwechselte Eigennamen. Und schon gar nicht eine nicht ganz korrekte Inhaltsangabe im Klappentext. Zur Übersetzung: Selten ist mir so deutlich wie hier aufgefallen, dass zwei Übersetzer am Werk waren. Miteinander haben die nicht gearbeitet, zu deutlich sind die “Schichtwechsel” zu merken.

Die Tore der Welt sind wieder ein Bestseller. War klar. Die Fortsetzung der Säulen? Einfach zu verlockend. Nur – mit den Säulen machte Follet damals den historischen Roman erst richtig bekannt. Dass er nicht der größte aller Autoren ist, fiel deshalb weiter nicht auf. Inzwischen hat er Hunderte von Nachahmern gefunden, und unter denen sind – sein Pech -, eben auch Spitzenkönner , deren Bücher zwar auch keine Literatur bieten, aber zumindest bessere Unterhaltung. Ich weiss,es gehört mit zum Schlimmsten, was man über ein Buch sagen kann, dennoch: Ich fand es langweilig, schlicht und ergreifend langweilig. Meine Meinung , mein Fazit : Wer es lesen will, übe sich in Geduld , warte auf das Paper-Back und investiere die Differenz in Schokolade oder eine Telekom Aktie. Vielleicht dämpft sich bis dahin ja auch die eigene Erwartungshaltung und man ist begeistert. Möglich. Warum auch nicht? Wer ein Werk von fast 1300 Seiten konstruiert und schreibt, hat gerne Anerkennung und ein Fleißkärtchen verdient.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Bastei Lübbe