Back to Blood

Back to Blood von Tom Wolfe

Die Religion stirbt, aber an irgendetwas muss der Mensch glauben, der sich als Atom in einem Superteilchenbeschleuniger namens Universum erkennt. Darum gibt es nur eins: Zurück zum Blut, zurück zum Glauben an die Blutlinien, die durch unsere Körper strömen, meint Tom Wolfe in seinem letzten großen Roman, der den nahezu programmatischen Titel »Back to Blood – Zurück zum Blut« trägt.

Wolfe beweist seine These am Beispiel der Stadt Miami: Die Metropole in Florida besteht zu mehr als 50 Prozent aus Neueinwanderern, von denen angeblich jeder jeden hasst. Hier reiben sich die White-Anglo-Saxon-Protestants (WASP), Mitglieder eines schrumpfenden und bedrohten Stammes, der aber immer noch die wirtschaftlichen Fäden der Macht in Händen hält, mit eingewanderten Latinos – vor allem Kubanern, die gut aussehen, viel Geld haben, die Mehrheit der Bevölkerung stellen und die Stadt politisch kontrollieren.

Den Konflikt zwischen den weißen americanos und den anderen Bewohnern der Stadt illustriert der Autor in dem ihm typisch spitzzüngigen und eloquenten Stil am Beispiel des aus Kuba stammenden Polizeibeamten Nestor Camacho. Dieser »Gibraltar aus Trapez- und Deltamuskeln« ist bei der Harbour Patrol tätig und rettet einem kubanischen Flüchtling in Ausübung seines Dienstes mit einem halsbrecherischen Einsatz das Leben. Er klettert auf einen 20 Meter hohen Vormast eines Freizeitseglers, auf den sich der Asylant kurz vor Erreichen des rettenden Ufers geflüchtet hat, seilt den Mann unter Lebensgefahr ab, um ihn dann festzunehmen und »durch seine Abschiebung ins Verderben zu stürzen«, wie viele seiner Landsleute später sagen.

Durch seinen Einsatz zieht Camacho sich den Zorn seiner Familie und Landsleute zu, die ihn künftig ignorieren, und auch seine heiße Freundin Magdalena verlässt ihn. Lediglich der junge Reporter einer »weißen« Tageszeitung stellt seine mutige Tat objektiv heraus, und so wundert es nicht, dass sich zwischen dem von allen verlassenen Officer und dem WASP eine Freundschaft entwickelt. Gemeinsam gehen sie auf die Jagd nach einem Kunstfälscher, der möglicherweise in Beziehung zu einem russischen Oligarchien steht, in dessen Seidenbett eines Morgens auch die schöne Magdalena erwacht.

Nun ist bei einem Roman von Tom Wolfe eigentlich weniger die Handlung interessant als der Einsatz seiner stilistischen Mittel und die Zeichnung der Figuren. Wer »Fegefeuer der Eitelkeiten« oder andere Bestseller des 1931 geborenen Autors kennt, der weiß, dass der Autor gern in die Haut seiner unterschiedlichen Figuren schlüpft und aus ihrer Perspektive denkt, spricht und erzählt. Dies gelingt dem Mitbegründer des »New Journalism« mit dem vorliegenden Werk großartig. Wolf schildert dabei nicht nur die Gedanken und die materielle Welt seines Personals; er brilliert auch mit der Darstellung des unterschiedlichen, oft unterschwelligen Rassismus der unterschiedlichen Kulturen, die im täglichen Miteinander deutlich werden und sich auch sprachlich ausformen. Besonders reizvoll wird dies, wenn er die (oft schlüpfrigen) Gedanken seiner Akteure in Paranthese mit einblendet, um diese darauf meist wesentlich abgemildert oder diplomatischer aussprechen zu lassen.

Schon der kurze Prolog »Wir sind jetzt in Mii-ah-mii« des mit 765 Seiten durchaus umfangreichen Werkes macht die Meisterschaft des Autors deutlich. Am Beispiel einer dramatischen Parkplatzsuche vor Miamis Jahrhundertnachtclub des Monats schildert er so ziemlich alle Konflikte, die sich zwischen den unterschiedlichen Blutlinien auftürmen, und ich kann nur jedem empfehlen, wenigstens dieses Kapitel des Buches zu lesen, um einen Eindruck von der Sprachgewalt des Ausnahmeautors zu gewinnen.

Tom Wolfe schreibt milieudicht. Er schreckt auch vor drastischen Formulierungen und möglicherweise sexuell anstößig wirkenden Beschreibungen nicht zurück, wenn er den Sex auf goldenen Plexiglasstelzen durch Miami stöckeln lässt. Sein Roman ist eine opulente Gesellschaftssatire, die den so genannten amerikanischen Traum genüsslich seziert. Dabei schreibt der Kultautor derart spritzig, dass man den fast ein Kilo schweren Wälzer (ich beziehe mich auf die Hardcover-Ausgabe), der allein mit dem allerletzten kurzen Aussagesatz der Entwicklung der Geschichte einen unerwarteten und vollkommen neuen Kurs verleiht, keine Minute lang aus der Hand legen mag.

»Back to Blood« ist das sprachliche und stilistische Vermächtnis des am 14. Mai 2018 verstorbenen Wortartisten Tom Wolfe.

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Genre: Romane
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Der Ritter

In einem Brief an seinen Bruder berichtet ein Junge, den es in die Welt von Mythgarthr verschlug, über seinen Werdegang zum Ritter. Sir Able of The High Heart nennt sich der junge Held, der langsam erwachsen wird und viele Abenteuer in unterschiedlichen Sphären wie Alfarin und Muspel erlebt. Sein Ziel ist, das magische Schwert Eterne zu finden, um damit ein richtiger Ritter zu werden. Mit einem riesenhaften Wolfshund und einer magischen Katze sowie weiteren geheimnisvollen Gefährten besteht er Abenteuer, die ihn schließlich in das Reich der Frostriesen führen. Dort führt er gegen den Drachen Grengarm einen Kampf auf Leben und Tod …

In seltsam subtilem Stil erzählt der in seinem Sprachraum hoch gelobte Autor die Geschichte seines jungen Helden. Der Leser zieht an Sir Ables Seite durch die Ereignisse, um immer wieder festzustellen, dass viel geschieht, ohne dass es explizit beschrieben wird. Mit der lapidaren Art, mit der Schlachten und Kämpfe als selbstverständlich angesehen, aber eben nicht geschildert werden, soll der Leser angeregt werden, sein Phantasie zu benutzen. Das unterscheidet den Autor klar von den gängigen Fantasy-Schreibern, denen das Blut literweise aus der Feder tropft. Die ersten zweihundert Seiten des Bandes wirken leider wenig zusammenhängend, erst allmählich kristallisieren sich Handlungsstränge heraus, denen es zu folgen lohnt. Natürlich gibt es jede Menge Ungeheuer, Zauberschwerter, Drachen, Riesen, Questen, es geht auch um Liebe, Ehre und Edelmut — all die vertrauten Elemente des Genres werden berücksichtigt und eingewoben

Der Briefroman ist leserfreundlich in viele kleine Kapitel geteilt. Ausgesprochen billig wirkt allerdings, dass lediglich vier Vignetten geschaffen wurden, die sich endlos wiederholen … wobei diese Unsitte zu allem Überfluss auch noch im zweiten Band der Geschichte fortgesetzt wird …


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Der Zauberer

Im Kampf gegen den Drachen Grengarm ist Sir Able of The High Heart gefallen und wird in den Götterhimmel Skai aufgenommen, wo er lange Zeit verbringt. Doch er sehnt sich nach seiner geliebten Prinzessin Disiri, deren Ritter er ist. Auf seine Bitten entlässt ihn der Walvater noch einmal nach Mythgarthr. Ihm wird allerdings das Gelübde abgenommen, von den zauberischen Fähigkeiten, die er inzwischen erlangt hat, keinen Gebrauch zu machen.

Sir Able trifft auf eine Welt, die in Auflösung begriffen ist. Die Frostriesen greifen an, und ein Drache aus Muspel will das Land unter seine Kontrolle bringen. Der inzwischen zum Mann gereifte Junge tritt wieder als einfacher Kämpfer den Gefahren entgegen, allerdings hat er jetzt eine Erfahrung und einen Hintergrund, der ihm zum Vorteil gereicht. Außerdem hat er Freunde und Getreue, deren Schicksalsfäden bereits im ersten Band gesponnen und nun wieder aufgenommen werden.

Der zweite und letzte Band der Geschichte aus Mythgarthr ist ebenfalls als Brief des Helden an seinen Bruder Ben verfasst. Er knüpft nahtlos an die Geschehnisse des ersten Buches an und rundet die Geschichte zu einem Fantasy-Werk der besonderen Art.


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Ich bin Charlotte Simmons

Ich bin Charlotte Simmons von Tom Wolfe

Aus dem »Lexikon der Nobelpreisträger« zitiert Wolfe zu Beginn seines dritten großen Romans die Entdeckung »kultureller Parastimuli« durch den amerikanischen Dupont-Lehrer Viktor Ransome Starling.

Der Forscher hatte Laborkatzen die Amygdala entfernt, das ist der Teil des Großhirns, der bei höheren Säugetieren Gefühle steuert. Darauf gerieten die von dem Eingriff betroffenen Tiere in extreme sexuelle Erregung und begannen, ohne Unterbrechung ekstatisch zu kopulieren. Als nach einigen Wochen Käfige mit im selben Raum isoliert gehaltenen, unbehandelten Katzen geöffnet wurden, stürzten sich die normalen Tiere ebenfalls aufeinander. Sie waren durch die wochenlange Beobachtung ihrer entfesselten Artgenossen derart stimuliert, dass sie jedes normale, gesunde Verhalten ablegten und sich ebenso verhielten.

Im seinem auf diesen kurzen Wissenschaftsbericht folgenden Prolog lässt Wolfe zwei betrunkene Stundenten der Dupont-Elite-Universität von Pennsylvania durch den Park der Hochschule torkeln und dabei versehentlich den Gouverneur von Kalifornien beobachten, der sich von einer Studentin im Mondlicht des Campus befriedigen lässt. An dieser Uni geht es offenbar zu wie bei den amygdalektomierten Katzen.

Charlotte Simmons, ein blasses Landei aus bescheidenen Verhältnissen, wird aufgrund ihrer ausgezeichneten Leistungen ausgewählt, die Dupont-Uni zu besuchen und erhält ein Stipendium. Die Hochschule präsentiert sich als Kaderschmiede reicher und schöner Teen und Twens, für die Sex zur Atemluft gehört wie Stickstoff und Sauerstoff.

Charlotte prallt vollkommen unvorbereitet auf eine Umgebung, in der Gorillatestosteron in der Luft liegt. Sie spürt zum ersten Mal in ihrem Leben etwas von der Macht, die eine Frau über die monomanischste, triebhafteste aller Kreaturen haben kann — den Mann. Fühlt sie sich ihren Kommilitonen aufgrund ihres Fleißes und ihrer Intelligenz, denn »Ich bin Charlotte Simmons«, haushoch überlegen, scheitert sie im zwischenmenschlichen Bereich und erlebt herbe persönliche Niederlagen.

Wolfe, der Begründer des »New Journalism«, zeichnet in seinem voluminösen Meisterwerk eine schüchterne und unerfahrene junge Frau, die schon im Umgang mit gemischten Toiletten und Waschräumen Schweißausbrüche bekommt. Wie mit einem Skalpell deckt Wolfe dabei Schicht für Schicht der amerikanischen Gesellschaft auf und zerlegt sie mit seinem bislang unerreichten Reportagestil. Treffsicher setzt er sich mit Jugendmoden und Campussprache auseinander und beschreibt den psychologischen Krieg zwischen den Vertretern des neokonservativen und des liberalen Amerika.

»Ich bin Charlotte Simmons« ist ein Meisterwerk amerikanischer Gegenwartsliteratur, das in sprachlicher und stilistischer Hinsicht ebenso wie in der Farbigkeit der Schilderung der Charaktere und ihrer Hoffnungen, Träume und Empfindungen wie ein leuchtender Stern am Literaturhimmel strahlt. Absolut lesenswert!

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Genre: Romane
Illustrated by Heyne München