Armand

Haarsträubendes Verhängnis

Seinem zweiten, 1925 erschienenen Roman «Armand» hat der französische Schriftsteller Emmanuel Bove die Widmung «Für Madame Colette» vorangestellt. Sidonie-Gabrielle Colette, Grande Dame der französischen Literatur, hatte ihm geholfen, seinen Debütroman «Mes amis» herauszubringen, – der dann auf Anhieb erfolgreich war und mit dem damals höchsten Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Zu seinen Bewunderern gehörten Sacha Guitry, Klaus Mann und Rainer Maria Rilke, Samuel Beckett empfahl ihn mit den Worten «wie niemand sonst verfügt er über das treffende Detail». Max Jacob schrieb, «Emmanuel Bove müsste zum Schutzpatron der (reinen) Schriftsteller erkoren werden, noch mehr als Kafka und genau so wie Anton Tschechow und Francis Scott Fitzgerald». Gleichwohl geriet sein umfangreiches Œuvre nach seinem frühen Tode im Jahre 1945 schnell in Vergessenheit. Der spätere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing beklagte 1972 in einem Brief, Boves Bücher seien «vollkommen verschwunden» und nicht einmal mehr «in den hinteren Räumen der Buchhandlung» zu finden. Erst Ende der siebziger Jahre begann in Frankreich die Wiederentdeckung dieses literarischen Klassikers des Zwanzigsten Jahrhunderts. Als bekennender Sympathisant des Verkannten machte Peter Handke ihn dann durch seine Übersetzungen auch einem anspruchsvolleren Lesepublikum in Deutschland bekannt.

Der Kurzroman «Armand» ist die Geschichte eines haarsträubenden Verhängnisses. Der dreißigjährige Ich-Erzähler Armand, von dem nicht mehr bekannt wird, als dass er ein armer Teufel war, hat in Jeanne eine zehn Jahre ältere, wohlhabende Freundin gefunden, die ihn aushält. Er wohnt seit einem Jahr bei ihr und ist ihr absolut ergeben, sie sind sehr glücklich miteinander. Bei einem Spaziergang trifft er zufällig seinen alten Kumpel Julien, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat und der nach wie vor in den ärmlichen Verhältnissen lebt, aus denen auch Armand kam. Trotz anfänglicher Bedenken, Jeanne den ziemlich verwahrlosten Freund zu präsentieren, lädt er ihn doch spontan zum Essen in ihre Wohnung ein. Als er später Julien besucht, trifft er dort dessen jüngere Schwester Marguerite, die von Julien sehr schlecht behandelt wird. Er besucht sie am nächsten Tag in ihrer Wohnung, um ihr sein Mitgefühl auszudrücken. Einer unbedachten Regung folgend drückt er ihr einen Kuss auf den Mund und flüchtet verwirrt aus ihrem Zimmer. Am nächsten Tag ist Jeanne sehr abweisend zu ihm. Es stellt sich heraus, dass Marguerite offensichtlich ihren Bruder informiert hat, und der war inzwischen schon bei Jeanne, um von dem Vorfall zu berichten. Jeanne weist Armand brüsk aus dem Haus, er ist also wieder auf der Strasse, wo er hergekommen ist.

«Ich nahm dann die Strasse, die abwärts führte. Kinder spielten da Ball, die kleineren weiter oben, die größeren weiter unten, damit beide die gleichen Chancen hätten» lautet der letzte Satz. In vielen von Emmanuel Boves Werken hat er gesellschaftskritisch solche traurigen Heldenfiguren geschaffen, den Typus des gehemmten, erfolglosen Außenseiters, der zum Daseinskampf unfähig ist, der den Aufstieg niemals schaffen wird. Seine eigenen, zeitweise prekären Lebensumstände spiegeln sich darin deutlich wider.

Mit genauem Gespür für Atmosphäre erzählt der Autor in einer kristallklaren Sprache seine auffallend dialogarme Geschichte mit ihren vielen grotesken Szenen. Seine Aufmerksam richtet sich dabei aber weniger auf seinen glücklosen Helden als auf das scheinbar Insignifikante des Geschehens. Mit scharfem Blick spürt er jedem noch so kleinen Detail nach, registriert akribisch jede Geste und Regung seiner vier Figuren, sinniert über seine schnappschussartigen Eindrücke. Emmanuel Bove ist damit zum Vorreiter des Nouveau Roman geworden, er hat sich mit seiner Beschreibungskunst, die alles Sichtbare in den Fokus nimmt und Gefühle in den Hintergrund verbannt, in den Olymp französischer Romanciers eingereiht.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
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