Ludwigshöhe

Der Tod als Programmfehler

Seinem Roman «Ludwigshöhe» hat Hans Pleschinski ein an den ‹Zauberberg› erinnerndes Setting zugrunde gelegt, eine in die Jahre gekommene, einst pompöse Jugendstil-Villa, die aber hier von keinen Patienten, sondern von Lebensmüden bevölkert wird. Der Autor benutzt sie für seine originelle Versuchs-Anordnung, Suizid-Kandidaten einen letzten Zufluchtsort zu bieten, an dem sie ohne bürokratische Hürden völlig ungehindert aus dem Leben scheiden können. Das Ganze wird durch eine riesige Erbschaft ausgelöst, die nur unter der Bedingung wirksam wird, dass die drei Erben dieses Hospiz ein Jahr lang ausschließlich zu diesem sehr speziellen Zweck betreiben.

Der reiche Onkel aus Brasilien hat diese Hürde für drei Geschwister aufgebaut. Sie alle sind wenig zufrieden mit ihren persönlichen Lebensumständen und träumen von dem Luxusleben, das sie erwartet, wenn sie unter den strengen Augen des Notars die makabre Erbauflage erfüllen. Aber wie an die Kandidaten kommen? Jede öffentliche Werbung wäre ja sittenwidrig und würde die Behörden auf den Plan rufen! Also stecken sie im Wartebereich von Arztpraxen und Arbeitsagenturen in die dort ausliegenden Zeitschriften und Broschüren diskret schwarze Visitenkarten, auf denen Folgendes geschrieben steht: «Reicht es? Reicht es wirklich? Und nicht mehr weiter? Kein Weg mehr? Aber prüfen Sie sich. Alles in Ruhe. Wenn Sie verstehen, verstehen Sie», gefolgt von einer Telefonnummer. Und es melden sich auch tatsächlich Interessenten für diesen notgedrungen so verklausuliert angebotenen Service. Nach und nach füllt sich die Villa mit fast zwanzig «Finalisten», wie die Kranken, Verbitterten, Enttäuschten, Gescheiterten und Mutlosen hausintern genannt werden. Da ist zum Beispiel die von ihrem Lover verlassene Domina, ferner eine abgehalfterte, ehemals bekannte Schauspielerin, die nervlich an ihren Schülern gescheiterte Lehrerin, ein bankrotter Verleger, eine vom Alltagsstress ausgebrannte Verkäuferin, die medikamentensüchtige Witwe, der verzweifelte Bühnenbildner und ein medienmüder Radioredakteur. Wie zu erwarten folgen aber, von zwei Ausnahmen abgesehen, die im Keller tiefgekühlt gelagert sind, die Moribunden kaum noch ihrem ursprünglichen Ziel. Es entwickeln sich neue Beziehungen in diesem seltsamen Mikrokosmos, das Leben scheint weniger unerträglich zu sein als ursprünglich angenommen.

Die alte Villa dient als Bühne für menschliche Verrücktheiten und als Laboratorium für Wege aus dem ewigen Dilemma allen Lebens, seiner unabweisbaren Endlichkeit. Kann man dem denn wenigstens mit passiver Sterbehilfe beikommen, weil die aktive ja doch nur theoretisch möglich ist? Will man ein Fazit ziehen aus all den Gedanken, die in diesem lebensprallen Gesellschafts-Roman angesprochen und oft auch durchdekliniert werden, so kommt man letztendlich auf die einfache Formel: Unsterblichkeit wäre ein Fluch!

Humorvoll nutzt Hans Pleschinski seine Satire zu einem Feuerwerk an herber Gesellschafts-Kritik und zu verschmitzt vorgetragenen, philosophischen Diskursen über ein im Kern ja durchaus ernstes Thema. Aber wie eine Finalistin im Roman es sich wünscht, nämlich tot zu sein ohne sterben zu müssen, das funktioniert leider auch auf der «Ludwigshöhe» nicht. Es sind solche Verrücktheiten, die bei der Lektüre dieses makabren Plots immer wieder ein Schmunzeln erzeugen, den Leser aber öfter auch laut auflachen lassen. Sprachlich nutzt der fabulierlustige Autor mit seinem ironischen Plauderton alle Register seines Könnens. Er bleibt auch im Fiktionalen dem Realismus verhaftet, überzeugt zudem mit vielerlei intellektuellen Betrachtungen, aber auch mit fundiertem Alltagswissen. Dabei verzeiht man ihm dann, dass er seinen Stoff derart über Gebühr ausgewalzt hat, weniger wäre hier mehr gewesen. Das Wichtigste an dieser Moralsatire aber ist die beißende Kritik an einem Zeitgeist der intellektuellen Verflachung, in welchem der Tod, wie es im Roman heißt, «zum Programmfehler heruntergekommen ist».

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
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Am Götterbaum

Blitzlicht auf einen vergessenen Poeten

In seinem neuesten Roman «Am Götterbaum» widmet sich Hans Pleschinski zum dritten Mal einem deutschen Nobelpreisträger für Literatur. Nach Thomas Mann in «Königsallee» und Gerhart Hauptmann in «Wiesenstein» wird hier Paul Heyse in den Blick genommen. Der literarisch der Postmoderne zugerechnete Autor erzählt mit Lust am Fabulieren von der Initiative dreier engagierter Damen, die verwahrloste Villa des heute völlig vergessenen, einstigen ‹Großschriftstellers› aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und in ein modernes Literatur-Zentrum umzuwandeln.

München brauche so etwas, um kulturell zu Berlin aufschließen zu können, da ist sich die toughe Stadtbaurätin völlig sicher. Auch den Kämmerer hat sie von ihrer Idee überzeugen können. Als sachkundige Mitstreiterinnen hat sie eine Schriftstellerin und eine Bibliothekarin gewonnen, mit denen sie sich 2019 an einem Frühlingsabend vor dem Rathaus trifft, um von dort aus zu einer ersten Ortsbegehung aufzubrechen. Da sie früh dran sind, beschließen die Damen, gemütlich zu Fuß zur Luisenstraße 22 im Kunstareal Münchens zu laufen. Auf dem Weg dorthin unterhalten sie sich sehr angeregt über Paul Heyse und das geplante Kulturprojekt, debattieren kontrovers über dessen Sinn und Machbarkeit. Pleschinski nutzt die Szenerie am Rande auch zu allerlei kritischen Betrachtungen des täglichen Wahnsinns. So wenn beispielsweise zwei smartphone-süchtige junge Männer mit ihrer Daddel vor der Nase auf dem Bürgersteig kollidieren und eines dieser elektronischen Kulturtöter auf Nimmerwiedersehen in den Gully gleitet. Oder die Damen erleben den Streit einer Tauben fütternden Alten mit einem erbosten Herrn, der von Flugratten spricht und die Polizei herbeirufen will, weil das Füttern aus guten Gründen ja verboten sei.

Die sich an einem einzigen Abend abspielende Geschichte dieses literarischen Spaziergangs durch München wird nur einmal kurz durch einen Rückblick auf einen Besuch von Adolf von Kröner am Gardasee unterbrochen. Der Besucher des Ehepaars Heyse zählte damals zu den führenden Verlegern in Deutschland, ihm verdankt der Buchhandel die seit 1888 geltende, kulturell begründete Preisbindung für Bücher. Ansonsten ist dieser Roman, neben seinen beiläufigen Alltags-Beobachtungen, überreich gespickt mit Zitaten von Heyse. Gedichte zumeist, die erkennen lassen, warum dieser Literat heute zu Recht vergessen ist. Ihm fehlt, was Pleschinski im Roman als Ingenium bezeichnet, seine literarischen Hervorbringungen sind allenfalls mittelmäßig, was auch für seine 180 Novellen, 68 Dramen und acht Romane gilt, soweit man das durch die eingefügten Zitate beurteilen kann.

Oft am Rande der Kolportage entlang schliddernd mit seinem banalen Münchner Alltags-Kolorit, enttäuscht dieser Roman durch das kulturbeflissene Dauer-Geschwafel des Damentrios, von dem man als Leser oft nicht weiß, wer denn da überhaupt spricht. Ihnen gesellt sich zu allem Überfluss auch noch ein als Heyse-Spezialist ausgewiesener Professor aus Erlangen hinzu, samt jungem, chinesischem Ehemann (sic!). Sehr zum Verdruss des geplagten Lesers trägt nun dieser Heyse-Experte immer weitere Zitate vor. Völlig absurd aber wird das Ganze, wenn zuletzt nach mehreren Pannen überraschend doch noch eine Begehung der vermieteten Villa möglich wird. Die zunächst abweisenden Mieter outen sich plötzlich als Heyse-Fans und tragen spontan im Treppenhaus der Villa ein Stück des verehrten Meisters vor. Spätestens an diesem Punkt stellt sich dann die Frage, ob diese Hommage womöglich als Satire gedacht ist. Es gibt allerdings keine Hinweise, die solche Deutung untermauern könnten, es fehlt jedwede Komik. Im Interview hat der Autor erklärt, er hoffe, «dass der Roman für Leser in diesen Zeiten eine Art Antidepressivum sein kann». Das mag für einige zutreffen, und außerdem hat er einen vergessenen Poeten blitzlichtartig ins Leser-Bewusstsein zurückgerufen, auch darin liegt ein gewisser Verdienst, aber das ist dann auch schon alles!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by C.H. Beck München

Königsallee

pleschinski-1Nobelpreisträger als Protagonist

Ein Jahr vor seinem Tode besuchte der 79jährige Thomas Mann im Rahmen einer Lesereise für den «Felix Krull» Düsseldorf. Hans Pleschinski hat in seinem Roman «Königsallee» diesen Aufenthalt zu einer amüsanten Geschichte verarbeitet, mit der er dem Nobelpreisträger einerseits ein weiteres Denkmal setzt, ihn andererseits aber im Kreise seiner Entourage als kauzigen, verwöhnten und unselbständigen alten Mann beschreibt, womit er sich zweifellos sehr nahe an die Wirklichkeit hält. Fiktion hingegen ist das Zusammentreffen mit Klaus Heuser, den er tatsächlich 1927 auf Sylt kennengelernt hatte und mit dem ihn einst eine homosexuelle Beziehung verband. Vorbild für diesen Plot ist Manns «Lotte in Weimar», in dem sich Goethe und seine einstige Liebe Charlotte Buff wieder begegnen, die ihrerseits für die Lotte in «Die Leiden des jungen Werthers» Vorlage war. Klaus Heuser nun stand Pate für den Joseph in Manns großer Tetralogie, aber auch für den Felix Krull. Die Bezüge gehen so weit, dass als Analogie zu «Lotte in Weimar» in einer als «Das siebente Kapitel» betitelten Passage hier wie dort die Träume und Phantasien beider alten Männer beim Aufwachen am frühen Morgen thematisiert werden. Kenntnisse der Werke beider Schriftsteller sind zwar hilfreich, um all diese Anspielungen und Verweise auch verstehen und hinreichend würdigen zu können, aber Pleschinskis geistreicher Roman bietet neben dem köstlichen Lesespaß zusätzlich den in klassischer deutscher Literatur weniger sattelfesten Lesern eine Fülle von nützlichen Informationen zu diesen Lichtgestalten, wirkt insoweit also auch bereichernd.

Man könnte den Roman als bitterböse Komödie auffassen, denn neben den teilweise fast slapstickartigen Auftritten der vielen schrulligen Akteure wirkt der gefeierte Schriftsteller im Düsseldorf der Nachkriegszeit wie ein Erlöser, ein Heilsbringer geradezu für das in tiefe Schuld verstrickte Deutschland. Dessen Nazi-Vergangenheit ist allenthalben zu spüren, personifiziert hier durch den als Kriegsverbrecher verurteilen, aber schon wieder entlassenen Generalfeldmarschall Kesselring, der nun ausgerechnet am selben Tage im gleichen Hotel wie Thomas Mann Quartier nimmt , was die Direktion des vornehmen «Breidenbacher Hofs» einen Eklat befürchten lässt. Und auch der einstige Liebe Klaus Heuser wohnt hier mit seinem jungen asiatischen Lebensgefährten, was weitere Verwicklungen bedeuten könnte, wie Erika Mann mutmaßt, die den Vater begleitet. Die Tragik Thomas Manns, dessen sexuelle Orientierung zur damaligen Zeit nicht in Einklang zu bringen war mit seiner öffentlichen Bedeutung, wobei jene nicht zuletzt auch eine Folge seiner genüsslich und kunstvoll zelebrierten Selbstdarstellung, um nicht zu sagen Selbstüberhöhung war, diese Tragik also wird hier sehr gekonnt und faktenreich thematisiert.

Die originelle Idee für das in siebzehn Kapitel aufgeteilte, zweitägige Geschehen mit etlichen Rückblenden setzt Pleschinski mit Hilfe eines furiosen, vielköpfigen Figurenensembles in Szene, angefangen vom Mann-Clan mit Thomas, Katia, Erika und Golo bis hin zum wunderlichen Liftboy im Hotel oder der sturmerprobten Kellnerin in der «Neusser Stube», allesamt humorvoll geschildert. Deren weit ausholende Dialoge sind ebenso amüsant wiedergegeben wie die stimmig beschriebene Atmosphäre in jenen großbürgerlichen Kreisen der frühen Nachkriegszeit, jedenfalls soweit wir das im Abstand von sechzig Jahren heute noch nachvollziehen können. Wobei Pleschinski sich sprachlich eng an seinen Protagonisten anlehnt, damit aber zuweilen auch karikaturhaft überzeichnet, so geistreich und druckreif nämlich spricht niemand auf der Welt, auch ein Thomas Mann nicht, selbst wenn es da einmal von ihm heißt: «Der hat noch Bildung geschlürft wie die Germanen Met». Einer strengen Analyse sollte man dieses Buch also nicht unterziehen, es ist ein heiterer Roman, kein Sachbuch, auch wenn viel Authentisches darin verarbeitet ist bis hin zum persönlichen Nachlass des 1994 verstorbenen Klaus Heuser. Ein rundum gelungener Roman insoweit, und damit ein herzerfrischendes Lesevergnügen, das gutgelaunte Leser produzieren dürfte.

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
Illustrated by C.H. Beck München