Das Attentat

mulisch-1Parabel vom Tyrannenmord

Es war ein Spielfilm, der mir den Schriftsteller Harry Mulisch nahegebracht hat und den ich damals so gut fand, dass ich den zugrunde liegenden, gleichnamigen Roman später dann auch noch gelesen habe, «Die Entdeckung des Himmels». Dieser Roman und der vorliegende, zehn Jahre früher 1982 erschienene mit dem Titel «Das Attentat», fanden im umfangreichen Werk dieses hochangesehenen holländischen Autors am meisten Beachtung. Was genau den Charme seiner Erzählungen ausmacht, wurde mir in «Siegfried» am deutlichsten, dem Roman über den Sohn Adolf Hitlers. Es sind seine genial konstruierten, phantasievollen Plots, kühn und kreativ erdacht und ohne schmückendes Beiwerk zielgerichtet erzählt. Ein erzählerisch logischer Ablauf, der frei bleibt von Ungereimtheiten und gleichermaßen faszinierend, unterhaltend und zuweilen sogar noch bereichernd wirkt. Derart unterschiedliche Sujets findet man eher selten bei zeitgenössischen Romanciers, die doch oft ein ganz spezifisches Herzensthema haben und es mehr oder weniger gekonnt variieren.

Während in den genannten anderen beiden Romanen religiös mystische und politisch historische Fiktionen thematisiert werden, handelt «Das Attentat» eher realitätsnah von den Hintergründen und Auswirkungen des Tyrannenmordes. Hier am Beispiel eines gegen Ende des Zweiten Weltkrieges im Januar 1945 in den besetzten Niederlanden durch Widerstandskämpfer erschossenen holländischen Polizisten, einer Tat, die vielfältige Folgen hat. In fünf mit Jahreszahlen versehenen Episoden von 1945 bis zur Gegenwart 1981 (der Roman wurde im ersten Halbjahr 1982 geschrieben) und mit einem Prolog über den Tatort schildert der auktoriale Erzähler das Attentat auf den verhassten Kollaborateur aus der Perspektive von Anton, einem zwölfjährigen Jungen. Die Handlung ist ebenso spannend wie komplex, sie hier detailliert zu erzählen würde den Spaß am Lesen deutlich mindern, denn sie ist literarisch das alles dominierende Kernelement des Romans, ich beschränke mich deshalb auf einige Eckpunkte.

Die Vergeltungsaktion der Nazis ist dramatisch und macht Anton zum Waisen. Er kommt bei Verwandten unter und wird Anästhesist. Obwohl er glaubt, das traumatische Geschehen vergessen zu können, die Schrecken seiner Jugend überwunden zu haben, holt ihn die Vergangenheit immer wieder ein. Ungewollt führen Ereignisse und zufällige Begegnungen für ihn zu neuen, weiteren Erkenntnissen, die sich puzzleartig ergänzen und den Widerstrebenden dann doch zur Auseinandersetzung zwingen, auch wenn dies bei ihm sogar psychosomatische Wirkungen hervorruft. Mulisch verarbeitet geschickt die Themen Schuld, Rache, Verantwortung, Moral, indem er These und Antithese gegenüberstellt, speziell die Wechselwirkungen zwischen Täter und Opfer beleuchtet, und indem er Gewalt und Gegengewalt zu begründen sucht in einem komplizierten Prozess der Vergangenheitsbewältigung, dessen Argumentationen durchweg plausibel erscheinen.

Erzählt wird diese Geschichte in einer klaren, leicht lesbaren Sprache, wobei der überkonstruiert wirkende Plot mit seinem Zuviel an Zufällen zum großen Teil mit realistischen, ungekünstelten Dialogen vorangetrieben wird. Die Figuren, allen voran der Protagonist Anton, erscheinen merkwürdig blutleer, und ganz ähnlich verhält es sich auch in ihren Beziehungen zueinander. Liebe und Freundschaft werden kaum überzeugend dargestellt, Persönliches bleibt weitgehend ausgeblendet, den Ehefrauen und Kindern des Helden sind bemerkenswerter Weise nur ein paar spärliche Zeilen gewidmet, emotionale Nähe fehlt weitgehend. So was wie Empathie kommt da nicht wirklich auf beim Lesen. Handlungsorientierte Leser jedoch dürften jubeln über eine spannende Story zu einem wichtigen Thema, die zum Nachdenken zwingt über eine nicht allzu ferne Vergangenheit. Die wird hier zwar literarisch nüchtern, aber recht intelligent in einer Parabel aufgearbeitet, die für ein uraltes philosophisches Schlüsselproblem steht, das des Tyrannenmordes.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt