Die Blütezeit der Miss Jean Brodie

Zweimal jährlich

Der berühmteste Roman der als Knight Commander des Order of the British Empire hoch geehrten schottischen Schriftstellerin Muriel Spark trägt den Titel «Die Blütezeit der Miss Jean Brodie». Im Jahre 1961 erstmals erschienen, ist er als Klassiker der englischsprachigen Literatur einhellig in den Top-Hundert-Listen von BBC, ‹Guardian› und ‹Time› vertreten, natürlich auch erfolgreich verfilmt und fürs Theater und Fernsehen adaptiert. Nun ist eine deutsche Neuübersetzung erschienen, mit einem informativen Nachwort der Autorin Candia McWilliam, die darin bekennt: «Seit ich zehn geworden bin, lese ich dieses Buch jedes Jahr zweimal». Grund genug also, es auch zu lesen, – wenigstens einmal!

Jeder, der den Spielfilm «Der Club der toten Dichter» gesehen hat, wird schon nach wenigen Buchseiten eine Gemeinsamkeit feststellen: Für beide Lehrerfiguren ist gleichermaßen die Entwicklung ihrer Schüler zu einem selbständig denkenden und selbstbewusst handelnden Menschen oberstes Unterrichtsziel. Mit dieser unbotmäßigen Abweichung von einem stupiden Lehrplan sind die Konflikte schon vorgezeichnet. Wie John Keating im Film ist auch Jean Brodie im Roman eine charismatische Lehrerin, – «in der Blütezeit ihrer Jahre», wie sie immer wieder betont -, deren anfangs zehnjährige Schülerinnen sie einem Guru ähnlich verehren. Sechs von ihnen bilden als Brodie-Clique den eingeschworenen, elitären Kern ihrer Schülerinnen und genießen eine besonders intensive Förderung durch diese unkonventionelle, junge Lehrerin, die sie euphorisch als ‹Crème de la crème› der Schule bezeichnet. Der in Edinburgh angesiedelte Plot beschreibt, beginnend 1931, die unterschiedliche Entwicklung dieser sechs Mädchen und ihren weiteren Lebensweg nach der Schulzeit, der auch dann noch eng mit Miss Brodie verknüpft bleibt und sogar deren Liebesleben mit einbezieht. Zum Verhängnis wird der unkonventionellen Lehrerin schließlich ihre Bewunderung für den Faschismus, mit einem Führer, den sie auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch, total verharmlosend, lediglich als «ungezogen» bezeichnet. Denn auch sie fühlt sich als unumschränkte Führerin der Brodie-Clique, die sie selbstherrlich, allein nach ihren Vorstellungen, in ein ihren Fähigkeiten entsprechendes, erfülltes Leben hinaus zu führen gedenkt.

Natürlich ist der sprichwörtliche britische Humor ein tragendes Element dieses Romans, Muriel Spark zieht dabei alle Register, man kommt als Leser aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus und muss oft auch laut auflachen. Da erscheint den Mädels dann der Kölner Dom auf einem Foto als «Hochzeitstorte» im Vergleich mit den eher kargen heimischen Kirchenbauten. Ein köstliches Beispiel ist auch der Abschiedbrief von Jean Brodie an ihren Liebhaber, den Musiklehrer, der mit den Worten schließt: «Gestatte mir zum Abschluss, Dir von Herzen sowohl zu Deinem Geschlechtsverkehr als auch zu Deiner Sangeskunst zu gratulieren». Derart unverblümt direkt und trocken wird hier punktgenau und virtuos, in lapidar kurzen Sätzen, durchaus auch Tragisches beschrieben. Die Brodie-Clique ist dem Schicksal ebenso gnadenlos ausgeliefert wie ihre Lehrerin, der ihre faschistische Einstellung dann letztendlich zum Verhängnis wird. Als eines der Mädchen, die ins Kloster gegangen ist, am Ende gefragt wird, was sie in ihrer Schulzeit denn am meisten beeinflusst habe, lautet die Antwort im letzten Satz des Romans: «Es gab da eine Miss Jean Brodie in der Blüte ihrer Jahre».

Diese auktorial erzählte Geschichte entwickelt mit ihren gekonnt platzierten Zeitsprüngen einen Lesesog, dem man sich kaum entziehen kann. Besonders die immer wieder eingebauten Vorausblenden auf das Schicksal der einzelnen Figuren baut Spannung auf, man will wissen, wie es dahin gekommen ist, und vor allen Dingen, warum. Mit seiner hoch verdichteten, lässigen und amüsanten Erzählweise ist dieser Roman ein Klassiker, den zu lesen sich wirklich lohnt, – für Anglophile vielleicht sogar zweimal jährlich.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Diogenes

Memento Mori

spark-1Ein Denkanstoß

Der deskriptive Titel «Memento Mori» weist lateinkundige Leser sogleich unverkennbar auf die ziemlich spezielle Thematik von Muriel Sparks 1960 erschienen Roman hin: «Denke daran, dass du sterben musst». Die in Schottland geborene Schriftstellerin löste mit diesem frühen Werk einst eine Kontroverse innerhalb des Feuilletons aus. Kann man, darf man, wurde da gefragt, Alter, Sterben und Tod, diese Zumutung für eine vernunftbegabte Menschheit, so locker und ironisch als Groteske darstellen? Man darf! Und seither wurde Muriel Spark als wichtige Autorin von Rang angesehen, nicht nur im englischsprachigen Raum. 1993 wurde ihr der Titel «Dame» des Order of the British Empire verliehen, die Liste aller ihrer Preise und Ehrungen ist imposant.

«Alter schützt vor Torheit nicht» könnte man dem Roman als Motto voranstellen, und vor Bosheit erst recht nicht, muss man hinzufügen. Drei alte Sünder sind die Protagonisten, Godfrey, seine Frau Charmian und seine Schwester Lettie, alle jenseits der siebzig, um sie herum ein illustres Völkchen der gleichen Altersklasse, die sich an Kuriosität gegenseitig zu übertreffen scheinen. Äußerer Rahmen für die Handlung sind mysteriöse Telefonanrufe, bei denen ein anonymer Anrufer immer wieder «Denken Sie daran, dass sie sterben müssen» sagt und dann auflegt. Die Frage, wer dahintersteckt, wird übermächtig, als neben Lettie, die als erste damit belästigt wurde, immer mehr der Senioren solche Anrufe erhalten, aber weder die Polizei noch ein zusätzlich engagierter Privatdetektiv können den Fall klären. Kunstvoll ineinander verwoben erzählt die Autorin von Testamentsänderungen, Erbschleicherei, Erpressungen, Heimtücke, Rachegelüsten, Bosheiten, Schrulligkeiten und Lebenslügen der Greise, die auch im hohen Alter alles andere als altersweise sind, die im Gegenteil hartnäckig ihre egoistischen Pläne verfolgen, gierig ihren finanziellen Vorteil suchen, ihre schuldbeladene Vergangenheit vertuschen wollen.

Einen breiten Raum nimmt dabei auch die körperliche Hinfälligkeit der Hochbetagten ein, ihr täglicher Kampf gegen ihre diversen Gebrechen, ihre Vergesslichkeit. Die Bühne dafür ist bis ins Altersheim und die geriatrische Klinik erweitert, wo Bettlägerige und Senile von Ärzten und Schwestern betreut werden, die nicht zu beneiden sind angesichts der Kampfeslust der Patienten. Mit schwarzem Humor schildert die Autorin ironisch die Aussetzer und mentalen Fehlleistungen ihres skurrilen Personals, eine zuweilen maliziöse Satire, die nicht selten ins Makabre abgleitet. Todesfälle und Beerdigungen sind dabei nicht ausgenommen, und so etwas wie Trauer kommt einfach nicht vor in dieser rabenschwarzen Geschichte. Wobei der englische Humor mich hier etwas enttäuscht hat, viel mehr als dass der wohlhabende Godfrey aus Geiz seine Streichhölzer aufspaltet habe ich nicht gefunden, stattdessen tea time bis zum Abwinken, very british eben. Die Story ist in der gesellschaftlichen Mittelschicht der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt, man lebt recht auskömmlich ohne wirkliche Geldsorgen.

Der dialogreiche Text ist in einem leicht lesbaren Stil verfasst, bei der Fülle von Figuren ist allerdings erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich, Lesern mit ausgesprochen schlechtem Namensgedächtnis sei ein Spickzettel angeraten. Nicht jeder wird mit der unverblümt sarkastischen Perspektive der Autorin einverstanden sein, Gott, Jenseits und Anderes aus der religiösen Wundertüte fehlt hier völlig, der Tod ist etwas so Normales, dass man kein Aufhebens davon macht, unbeeindruckt wieder zur Tagesordnung übergeht. Und so gibt es auch für die kriminalistische Frage eine einfache Antwort: «Ich bin davon überzeugt, dass der Urheber der anonymen Anrufe der Tod selbst ist, wenn man das sagen darf. Ich weiß nicht, was Sie dagegen unternehmen könnten, Dame Lettie. Wenn Sie sich nicht an den Tod erinnern, erinnert der Tod Sie an sich». Kann man das alles als Denkanstoß im Umgang mit dem Tod auffassen? Aber sicher doch!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich