Schall und Wahn

faulkner-3Read it four times

Nach eigenem Bekunden war «Schall und Wahn» für William Faulkner «das wichtigste, ihm liebste seiner Bücher», merkt Frank Heibert im lesenswerten Nachwort zu seiner jüngst erschienenen Neuübersetzung an. Als Südstaatler hat sich Faulkner in seinem Werk immer wieder der Tragik seiner Heimat gewidmet, eine «kraftvolle und künstlerisch selbstständige Leistung in Amerikas Romanliteratur», wie das Nobelkomitee 1949 befand.

Erzählt wird der Niedergang der Familie Compson, deren Wurzeln in der fiktiven Stadt Jefferson bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückreichen. Der Roman ist vierteilig aufgebaut und überrascht seine Leser gleich im ersten Teil, welcher aus einer wahrhaft ungewöhnlichen Perspektive erzählt ist, der des 33jährigen, schwachsinnigen Benjamin Compson. Geistig auf dem Niveau eines Kleinkindes, kann er nicht sprechen, gleichwohl lässt der Autor ihn als Ich-Erzähler fungieren, was stilistisch durch eine ebenso chaotische wie surreale Erzählweise realisiert ist, die dem Leser von Beginn an viel Geduld abverlangt. In einem Zeitsprung von 18 Jahren, zurück auf das Jahr 1910, erleben wir im zweiten Teil dessen Bruder Quentin als Ich-Erzähler an seinem Todestage in Harvard, am Ende seines Studiums. Er erträgt die Beherrschung nicht mehr, sich der inzestuösen Liebe zu seiner Schwester Caddy zu enthalten, und ertränkt sich.

Der jüngste Bruder Jason ist Protagonist des dritten Teils, in dem, jetzt wiederum aus einer weiteren Ich-Perspektive, seine Rolle als Familienvorstand erzählt wird, eine Aufgabe, an der er scheitern muss. Er hat sich an der Börse verspekuliert, und seine Nichte stielt ihm auch noch alle seine Ersparnisse und brennt mit einem Schausteller durch. Abgeschlossen wird dieser Roman vom Untergang einer einst stolzen Familie im vierten Teil mit der auktorial erzählten Lebenswelt der gutmütigen schwarzen Hausangestellten Dilsey, die mit Mann und Kindern im Nebenhaus wohnt und bemüht ist, das desaströse Familiengefüge der Compsons wenigstens einigermaßen intakt zu halten. Aus dieser Außenperspektive heraus wollte der Autor seine Geschichte, wie er selbst sagte, noch ein viertes Mal erzählen, jetzt jedoch aus einer gewissen Distanz.

Sieben Jahre nach dem «Ulysses» von Joyce benutzt auch Faulkner in längeren Passagen, insbesondere in der ersten Hälfte seines vierten Romans, den Bewusstseinsstrom als modernes Stilmittel. Vom Verlag auf dem Buchumschlag als «eines der sieben stilistischen Weltwunder des 20.Jahrhunderts» gefeiert, brennt er ein literarisches Feuerwerk ab, wie man es selten findet, und führt damit unbeirrt alle Lesegewohnheiten ad absurdum. Ihm zu folgen ist Schwerstarbeit in vielerlei Hinsicht, das beginnt schon bei seinen Figuren, die nicht nur unter verschiedenen Namen auftreten, sondern ihren Namen zuweilen mit anderen Figuren teilen. Quentin ist einmal er, der Sohn, im gleichen Satz aber auch sie, die uneheliche Tochter der Schwester nämlich, und Faulkner lässt uns im Ungewissen, wen von den beiden er denn meint. Mit rigoroser Negierung aller Regeln von Satzbau und Grammatik, einem besonders in den ersten beiden Teilen häufigen Stilmittel, das sich gleitend bis hin zum interpunktionslosen Text in Kleinschreibung entwickelt, der seitenlange Passagen einnimmt, wird dem arglosen Leser viel Geduld abgefordert, detektivische Scharfsicht sowieso. Ganz abgesehen davon, dass dem Allen erwartungsgemäß keine stringente Handlung zugrunde liegt und auch kein hilfreicher roter Faden das Verständnis fördert, sind die vielen undurchschaubaren Zeitsprünge ebenfalls kontraproduktiv für den Leser. Darauf angesprochen, dass manche Leser selbst nach dreimaligem Lesen noch immer Verständnisprobleme hätten, war Faulkners lapidare Empfehlung: »Read it four times». Allerdings, das sei noch angemerkt, erleichtern sowohl Faulkners später hinzugefügter Appendix (sic!) sowie das ausführliche Nachwort des Übersetzers das Verständnis ungemein. Ich empfehle dringend, Beides vorab zu lesen.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Die Freistatt

faulkner-2Ein sperriges Prosawerk

Im Werk von William Faulkner nimmt «Die Freistatt» eine Sonderrolle ein, gedacht als Garant für hohe Auflagen durch Sex and Crime, darf man vermuten, denn 1931, als der Roman erschien, wurde allein schon seine Thematik als anrüchig betrachtet im prüden Amerika. Mit feiner Ironie schildert der spätere Nobelpreisträger im Pulp-Fiction-Stil eine wilde Geschichte, in der die damals in den USA verhängte Prohibition Auslöser ist für Schwarzbrennerei und für das daraus entstehende kriminelle Umfeld. Wie üblich bei Faulkner ist sein Roman in den Südstaaten angesiedelt, im Bundesstaat Mississippi, genauer im Yoknapatawpha County, einem von seinen anderen Romanen her wohlbekannten, fiktionalen Verwaltungsbezirk. Mit Gewaltexzessen wie Mord, Vergewaltigung, Lynchmob und mit Unmoral in Form von Nymphomanie, Voyeurismus und Prostitution enthält der Roman typische Zutaten von Schundliteratur, er wurde bei seinem Erscheinen denn auch dementsprechend behandelt. Mit Recht?

Keineswegs, merkt man als Leser schon nach wenigen Zeilen, denn Faulkners Sprache ist anspruchsvoll und hochkomplex, alles andere als leicht zu lesen also, womit der Pulp-Fiction-Verdacht von vornherein ausgeräumt ist. André Malraux spricht bei diesem Roman vom «Einbruch der griechischen Tragödie in den Kriminalroman». Seine Figuren erinnern in ihrer Schicksalhaftigkeit in der Tat an die großen Dramen der Antike, ihre Determiniertheit ist bedingt durch ein unabänderlich scheinendes, schreckliches Geschehen, das kaum aufzuhalten ist. Erzählt wird auktorial in einem chronologischen Handlungsfluss, der durch viele Rückblenden angereichert ist, deren Zuordnung sich allerdings häufig als recht schwierig erweist, dem Leser also die volle Konzentration abverlangt. Die Dialoge werden oft in unvollständigen, wie abgehackt wirkenden Sätzen geführt und enden dann typischerweise mit — , womit recht treffend die Alltagssprache abgebildet wird in ihrer unkorrekten Syntax. Häufig bleibt unklar, wer da eigentlich spricht, die Dialoge sind durch lapidar verwendete Personalpronomina oder vage Bezeichnungen wie «die Frau» nur mühsam nachvollziehbar.

Ausgangspunkt der komplizierten, hier nur stichwortartig wiedergegebenen Handlung ist eine einsam gelegene Schwarzbrennerei. Ein junges Pärchen strandet dort wegen einer Autopanne und befindet sich nun in Gesellschaft finsterer Gestalten, die den jungen Mann mit Alkohol bewusstlos machen und begehrlich nach dem Mädchen schielen. Einer der Männer, der sie beschützen will, wird erschossen, sie wird mit einem Maiskolben defloriert, missbraucht und in ein Bordell nach Memphis verschleppt. Der des Mordes angeklagte Betreiber der Schwarzbrennerei wird wegen einer bewussten Falschaussage des inzwischen zum verwöhnten Gangsterliebchen verwandelten Mädchens schuldig gesprochen und von einem Lynchmob verbrannt, der wahre Täter, Entführer und impotente «Besitzer» des Mädchens wird, ohne sich verteidigt zu haben, wegen eines anderen Mordes gehängt, den er nicht begangen haben kann.

Faulkner deutet alles Brutale oder Anstößige nur verschämt an in seiner pathetischen Geschichte, er verlässt sich dabei voll auf die Phantasie seiner Leser. Der komplexe Plot handelt im Wesentlichen von menschlicher Schuldhaftigkeit, lässt aber auch ganz versteckt das Gute hervorschimmern aus seinen Figuren. Nicht leicht zu lesen das Alles, man erlebt ein an antike Vorbilder erinnerndes Südstaatendrama des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Feinheiten sich einem nur durch detektivische Mitwirkung erschließen. Das sperrige Prosawerk dürfte also nicht jedermanns Sache sein, für mich selbst war es weder eine bereichernde noch gar eine erfreuliche Lektüre.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Süddeutsche Zeitung München

Licht im August

faulkner-1Erzählkunst auf allerhöchstem Niveau

Von den Werken des Nobelpreisträgers William Faulkners gilt «Licht im August» als der in Deutschland meistgelesene Roman, er hat ihn 1931/32 in nur wenigen Monaten geschrieben. Etwa zur selben Zeit ereignet sich auch dessen Handlung, Ort des Geschehens ist die Kleinstadt Jefferson des Bundesstaates Mississippi in den USA. Ein Südstaaten-Roman mithin, dessen spezielle Problematik bei den meisten Romanen dieses dort geborenen Autors den erzählerischen Hintergrund bildet und auch die Thematik des Plots mit beeinflusst.

Der Handlungsrahmen des in 21 Kapitel aufgeteilten schwermütigen Romans ist die im Wesentlichen im ersten und letzten Kapitel erzählte Geschichte von Lena Grove. Sie dauert nur wenige Tage im August, einer Zeit, die dem Roman seinen Titel gab und von der Faulkner schreibt: «Das Licht ist anders als sonst, es hat auf einmal eine seltsam leuchtende Eigenschaft». Lena ist von dem Taugenichts Lucas Burch geschwängert und sitzengelassen worden, kurz vor ihrer Niederkunft macht sie sich naiv zuversichtlich auf die Suche nach ihm, findet ihn schließlich und muss erleben, wie er sich wieder aus dem Staube macht. Von diesem Rahmen ausgehend schildert Faulkner in vielen Rückblenden die Vorgeschichten seiner diversen, von ihm nach und nach eingeführten Protagonisten, deren gemeinsames Merkmal entweder Schrulligkeit oder Stumpfsinn ist, der sich bei einigen aber auch als eine deutlich ausgeprägte geistige Verwirrung zeigt. Diese einzelnen Geschichten sind unglaublich kunstvoll ineinander verschachtelt, bauen aufeinander auf, ergänzen sich schrittweise in ihren Zusammenhängen und lösen sich erst nach vielen eingeschobenen Begebenheiten in einen vollständig erzählten Handlungsstrang auf.

Im Zentrum steht dabei die Geschichte des Findelkindes Joe Christmas – sie macht allein gut die Hälfte des Romans aus – der zum Mörder wird und am Ende einem Lynchmob zum Opfer fällt. Sein Kumpan ist jener Taugenichts Lucas Burch, mit dem zusammen er, der Prohibition zum Trotz, Whiskey verkauft. Der gutmütige Byron Bunch hat sich in Lena verliebt, er hilft ihr aber trotzdem, den liederlichen Kindsvater zu finden. Bei Gail Hightower, einem ehemaliger Pastor, dessen Frau unter dubiosen Umständen ihr Leben verlor und der völlig zurückgezogen lebt, sucht Byron immer wieder Rat. Auch das Mordopfer Joanna Burden, die mit Joe ein Verhältnis hat, lebt einsam in ihrem Haus, sie berät Farbige und hilft ihnen, womit sie sich aus ihrer Gemeinde ausgrenzt, für die «Nigger» trotz verlorenem Sezessionskrieg und Abschaffung der Sklaverei immer noch Menschen zweiter Klasse sind. Gegen Ende des Romans tauchen dann die Großeltern von Joe auf, es klärt sich nun, wie es dazu kam, dass er Weihnachten vor dem Waisenhaus ausgesetzt wurde, um dann mit fünf Jahren zu einem unglaublich bigotten anglikanischen Ziehvater zu kommen, dessen brutale Methoden bei der Erziehung einiges erklären in seinem späteren Verhalten.

Faulkner erzählt seine komplexe, schwermütige Geschichte in einer unglaublich dichten, kompakten Sprache, die vom Leser stets volle Aufmerksamkeit fordert. Sehr häufig setzt er dabei virtuos Bewusstseinsstrom und inneren Monolog ein, nicht selten sogar kombiniert im gleichen Satz. Seine außergewöhnliche Sprachkunst vermag mit wenigen Worten so immens viel zu transportieren, dass man geneigt ist, nach einigen Seiten eine Lesepause einzulegen, um das Gesagte zu verarbeiten, die solcherart entstandenen Bilder auf sich wirken zu lassen, die Geschehnisse gebührend einzuordnen und zu bewerten. Andererseits wird trotz der ungewöhnlich ruhigen, ebenso gemächlichen wie suggestiven Erzählweise Faulkners beim Leser eine Spannung erzeugt, die ihn immer weiter in die Geschichte hineinzieht und dann nicht mehr ruhen lässt, bis er die letzte Seite erreicht hat. Das ist Erzählkunst auf allerhöchstem Niveau.

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt