Avenue Of Mysteries

 

51oVJJvF+kL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_1970: Juan Diego ist 14 und lebt in einer Baracke neben einer Müllhalde in Mexico, wo er autodidaktisch das Lesen und sogar Fremdsprachen erlernt. Seine um ein Jahr jüngere Schwester Lupe kann Gedanken lesen und manchmal in die Zukunft blicken; wegen eines Sprachfehlers versteht sie allerdings nur ihr Bruder, der dann als (selektiver) Übersetzer tätig wird. Durch einen bizarren Unfall(?) werden die beiden zu Waisen und landen in einem Jesuitenheim für »verlorene Kinder«. Der Aufenthalt dort ist jedoch nicht von Dauer, ihr Weg führt die Geschwister in einen Zirkus, wo der Bruder als Seiltänzer eingesetzt werden soll, während die Schwester die Gedanken der Löwen lesen soll. Es kommt ganz anders…

 

2010: Juan Diego ist inzwischen ein leidlich berühmter und erfolgreicher Schriftsteller (wie so viele Helden aus Irvings Romanen), lebt in Iowa und tritt eine Reise zu den Philippinen an. Schon im Flugzeug lernt er zwei geheimnisumwitterte Frauen (Mutter und Tochter) kennen, die auch nach der Ankunft immer wieder auftauchen und verschwinden. Juan Diego erlebt dort diverse Abenteuer und nicht zuletzt dank seiner Experimente mit verschiedenen Medikamenten träumt er intensiv von seiner Jugendzeit; Träume, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen, dann vermischen und schließlich nach und nach Realität werden…

 

Wer diese Inhaltsangabe für arg verschwurbelt hält, hat natürlich recht, aber der Autor macht es dem Rezensenten auch nicht leicht, Irving-Kenner wissen, wovon ich rede. Auch »Avenue of Mysteries« ist wieder ein episches Werk, ein typischer John Irving, mit vielen kleinen Geschichten, voll wortwitziger Fabulierkunst und dennoch präzisen Formulierungen. Die Protagonisten (nicht nur die Hauptfiguren) sind sorgfältig ausgearbeitet, der Leser lacht und weint mit ihnen und trifft jede Menge herrlich skurriler Charaktere: Der amerikanische Missionar, der sich in eine transsexuelle Prostituierte verliebt, der ernsthafte Katholik, dessen Tante sich eine Muräne als Haustier hält und (quasi als Dreingabe) die verschiedenen Heiligen Jungfrauen Mexikos, um nur einige zu nennen.

 

John Irving ist einer der ganz großen Autoren der Gegenwart, eine seiner immer wiederkehrenden Themen sind »Verlust und Gewalt, die bizarr und völlig unerwartet passieren«, wie er einmal in einem Interview verriet. Das allein ist noch keine Kunst, aber die Art und Weise, wie er eben diese Themen schriftstellerisch umsetzt, ist schlichtweg exzellent. Obwohl vordergründig eher unpolitisch, beschäftigt sich der Autor in seinem neuen Roman mit diversen gesellschaftlich relevanten Themen und beleuchtet beispielsweise den Einfluss von Glauben, Religion und Kirche; er tut dies kritisch, aber ohne dabei den Zeigefinger zu erheben.

 

Irving ist ein Erzähler im besten Sinne, der den Leser fesselt, weil er stets den Überblick behält und nie den Faden verliert. Auch »Avenue of Mysteries« ist ein opulent ausschweifendes Buch, das man langsam und bedächtig lesen sollte, denn die Geschichte und die erzählten Ereignisse benötigen Zeit um ihre Wirkung vollständig zu entfalten. Die Belohnung dafür ist ein exquisites Leseerlebnis, ein kraftvoller Roman mit vielen Facetten, mal heiter, mal tragisch, oft melancholisch, aber stets zutiefst anrührend.

 

P.S.: Bisher ist das Buch nur in Englisch und Niederländisch erhältlich. Laut Angaben von SPIEGEL ONLINE, wo der Roman nun ebenfalls rezensiert wurde, erscheint die deutsche Ausgabe am 23.03.2016.

 


Genre: Belletristik
Illustrated by Simon & Schuster

In One Person

Bill Abbot ist fast 70 und blickt zurück auf ein bewegtes Leben. Aufgewachsen in einem Provinzkaff in Vermont stellt er früh fest, dass er sich zu Frauen und Männern gleichermaßen hingezogen fühlt; wahrlich keine einfache Prüfung in den prüden und bigotten 50er Jahren. Seine Familie steigert die Verwirrung noch: Da gibt es den Großvater, der im ortsansässigen Theater vorzugsweise Frauenrollen spielt, den Vater, der unter mysteriösen Umständen verschwand und die Mutter, die unter der zerbrechlichen Schale harte Geheimnisse bewahrt.

Dennoch verleugnet er seine Vorlieben nicht und geht seinen Weg, kämpfend dabei nicht nur gegen die Vorurteile und Anfeindungen der Heteros, sondern ebenso mit dem Misstrauen der Homos. Hilfe und Unterstützung findet Bill dabei in der Literatur und so verwundert es nicht, dass er (wie so viele Irving-Helden) schließlich selbst Autor wird. Er findet viele Liebschaften (beiderlei Geschlechts) und einige Freunde, von denen allerdings etliche das AIDS-Zeitalter nicht überstehen. Bill bewahrt sich trotzdem seine Empathie und Menschlichkeit; er bleibt ein suchender Erkunder.

Es fällt nicht leicht, zu diesem Roman eine klare und stringente Inhaltsangabe zu liefern; zu umfangreich ist der Plot und zu ausschweifend Irvings Erzählstil. Geboten wird definitiv keine leicht verdauliche Kost, auch wenn des Autors feinsinniger Humor und seine Vorliebe für skurrile Charaktere (Bären gibt es diesmal keine, dafür wieder mal Ringer) durchaus ihren Platz finden. Andererseits gehen die minutiös geschilderten Leiden sterbender AIDS-Patienten tief unter die Haut, ebenso wie die Nöte der Homo-, Bi- und Transsexuellen in der freien Welt der USA.

Ich habe den Eindruck, John Irving schreibt seine Bücher mit zunehmendem Alter immer kompromissloser: Wenn in früheren Werken sexuelle Inhalte eher zurückhaltend angedeutet wurden, ist die Sprache jetzt explizit und lässt an Offenheit nichts zu wünschen übrig. Auch bei politischen Themen positioniert er sich inzwischen so eindeutig, wie er das kürzlich in Interviews vor der US-Präsidentenwahl getan hat.

Irving ist einer der Großen der Weltliteratur, das bestätigt er wieder einmal mit seinem neuen Roman. “In One Person” ist ein kraftvolles Buch mit vielen Facetten, mal heiter, mal tragisch, aber stets zutiefst anrührend. Der Autor überzeugt wie immer mit seinen Ideen und Anliegen, das wichtigste davon ist diesmal das überaus eindringliche Plädoyer für die Toleranz der Vielfalt.


Genre: Romane
Illustrated by Simon & Schuster

Carte Blanche

In Serbien droht nach Zündung eines Sprengsatzes ein Zug mit Giftgas zu entgleisen und so trifft es sich gut, dass James Bond gerade noch rechtzeitig zur Stelle ist, um eine Katastrophe zu verhindern. Der britische Geheimdienst hatte das Fragment einer Nachricht abgefangen, nach der ein Anschlag mit Tausenden von Toten bevorsteht; nähere Umstände allerdings ungewiss. 007 macht sich also auf die Suche und eine Spur führt ihn bald zu dem undurchsichtigen Geschäftsmann Severan Hydt, Spezialist in Sachen Abfallbeseitigung mit morbid nekrophilen Neigungen. Doch damit nicht genug, nebenbei versucht der Super-Spion auch noch, den mysteriösen Tod seiner Eltern aufzuklären…

“Carte Blanche” bietet alles, was man von einem Bond-Roman (oder Film) erwarten darf: Schöne Frauen, exotische Schauplätze, trockene Drinks und ebensolcher Humor, böse Bösewichter, strahlende Helden, technische Wunderwerke und aufregende Verfolgungsjagden mit schnellen Autos. Mit Jeffery Deaver konnte ein erfahrener Genre-Autor gewonnen werden, der sein Handwerk versteht und es als Ehre und Verpflichtung empfindet, die berühmte Reihe fortzuführen, dabei aber auch willkommene neue Akzente setzt. Deaver ist ja berüchtigt dafür, stets mit unerwarteten Wendungen in seinen Geschichten den Leser zu überraschen und spielt diese Karte natürlich auch diesmal aus.

Fazit: Frischer Wind bei einem Klassiker der Agentenliteratur sorgt für spannendes Lesevergnügen auf hohem Niveau!


Genre: Thriller
Illustrated by Simon & Schuster