Klara und die Sonne

Künstliche Intelligenz

Immer mal wieder stellte ich mir die Frage, kann künstliche Intelligenz eigentlich wahnsinnig werden? Wahnsinn bis zur Selbstaufgabe? Bei der Lektüre von „Klara und die Sonne“ des japanischen Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro  ist diese Fragestellung durchaus legitim.

Es scheint also ein Science-Fiction-Roman zu sein, wobei sich die wissenschaftliche Fiktion weniger auf die technischen als auf die menschlichen Aspekte beziehen. Worum geht es dabei? Die alleinerziehende Mutter schafft für ihre schwer kranke Tochter Josie die künstliche Freundin Klara an. Nicht ohne Hintergedanken. Was auch gleich die Frage aufwirft, wie weit darf die Anwendung von KI gehen?

Diese KFs sind vom Hersteller so konfiguriert, dass sie es als Aufgabe verstehen, das Leben ihrer menschlichen Freunde und Freundinnen so angenehm wie möglich zu gestalten. Gemeinhin würde man unterstellen, dass die KF Klara sicher nicht mit ausgeprägten Emotionen ausgestattet sein kann und ihr somit die Krankheit Josies keine Probleme bereiten sollte. Aber weit gefehlt. Unsere Klara menschelt, warum sollte sie nicht auch wahnsinnig werden können? Josies Freund Rick deutet das aber etwas anders: „Damals dachte ich, das ist alles – na ja – KF-Aberglaube halt“.

Viele interessante Aspekte der künstlichen Intelligenz werden beleuchtet und deshalb ist das Buch auch sehr lesenswert. Mir als Ingenieur  kam die Technik etwas zu kurz, wiewohl gerade der oben genannte „KF-Aberglaube“ durchaus damit zu begründen ist, wobei die Sonne, wie der Titel andeutet, die entscheidende Rolle spielt.


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Was vom Tage übrig blieb

Ungelebtes Leben

«Was vom Tage übrig blieb» ist der berühmteste Roman des britischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro, er erhielt 1989 dafür den Booker Prize, das Buch wurde vier Jahre später verfilmt. Auf der 2015 erschienenen BBC-Liste der hundert bedeutendsten britischen Romane rangiert dieser Roman auf Platz 18. Im vergangenen Jahr erhielt Ishiguro den Nobelpreis als ein Schriftsteller, «der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat.» Der Abgrund ist hier die bittere Erkenntnis des Ich-Erzählers am Ende seiner glamourösen Karriere als Butler, dass er mit seinem Kadavergehorsam dem falschen Herrn gedient und in blinder Selbstverleugnung damit auch sein eigenes Leben vergeudet hat.

Dreißig Jahre lang hatte der Butler Stevens seinem Herrn Lord Darlington auf dessen Landsitz Darlington Hill treu ergeben gedient. Nach dessen Tod wurde der Besitz an den amerikanischen Millionär Farraday verkauft, der die hochherrschaftliche Bewirtschaftung mit ehemals fast dreißig Angestellten auf eine Hand voll Mitarbeiter reduziert hat, was zu kaum lösbaren Problemen für den Butler führt. Ein Brief der ehemaligen Haushälterin Miss Kenton lässt ihn hoffen, sie nach mehr als zwei Jahrzehnten zu einer Rückkehr bewegen zu können, um die gravierende personelle Lücke zu schließen. Auf Wunsch seines neuen Dienstherrn begibt er sich im Spätsommer des Jahres 1956 auf eine einwöchige Erholungsreise, bei der er auch die inzwischen verheiratete und sich auf das erste Enkelkind freuende Miss Kenton aufsuchen will.

Diese Reise bildet die erzählerische Klammer für die Geschichte eines Butlers, dessen ganzer Lebensinhalt das Dienen für seinen Herrn war. Privates musste dabei zurückstehen, schüchterne Annäherungsversuche von Miss Kenton wurden von ihm brüsk zurückgewiesen, ja er hat sie als solche nicht mal erkannt und blieb auf verletzender Distanz zu ihr. Sein Diensteifer ging so weit, dass er, als sein Vater während eines Dinners mit hochrangigen Gästen im Dienstbotenzimmer im Sterben lag, seinen Dienst nicht unterbrach, Miss Kenton musste dem Vater die Augen schließen, Stevens war unabkömmlich. In Rückblenden lässt Ishiguro seinen Protagonisten über seine Ideale vom perfekten Butler dozieren. Sein Held dröselt in epischer Breite das Berufsethos dieser typisch britischen Ausprägung eines Majordomus auf, als dessen wichtigste Eigenschaft er die Würde benennt, – die zu definieren sich dann aber doch als recht schwierig erweist. Aber er berichtet nicht nur über den devoten Charakter dieses Berufsstandes, sondern äußerst detailliert, – für meinen Geschmack deutlich zu detailliert -, auch über das nüchterne Arbeitsleben mit allen seinen wunderlichen Usancen und skurrilen Riten, bei denen das Silberputzen an erster Stelle zu stehen scheint. Darlington Hill ist Treffpunkt vieler Größen aus der Politik, die in zum Teil konspirativen Treffen mit Nazideutschland sympathisieren und nicht erkennen, dass sie einen Bund mit dem Teufel einzugehen im Begriff sind. Stevens aber vertraut seiner Lordschaft blindlings, lässt sich auch von Darlingtons jungem Verwandten nicht beirren in seinem Vertrauen auf die integren Motive seines Dienstherrn.

Dieser Butler ist als Ich-Erzähler geradezu der Prototyp narrativer Unzuverlässigkeit, jenes vor allem aus der Romantik bekannten Stilmittels, dessen sich Ishiguro hier äußerst souverän in einer nüchternen, disziplinierten Sprache bedient, – die Butlerwürde fungiert dabei als Rechtfertigung für mancherlei Täuschungen. Der Autor belässt seiner Figur trotz deren emotionaler Leere aber einen Rest von Menschlichkeit, deutet am Ende sogar, als Stevens bei Sonnenuntergang inmitten fröhlicher Menschen auf einer Bank am Meer sitzt, noch eine versöhnliche Perspektive an. Eine leise Hoffnung nämlich für das, «was vom Tage übrig blieb», für den Rest seines bis dato, – so weit ist Stevens Selbstbesinnung inzwischen gediehen -, ungelebten Lebens.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
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