Kintsugi

Nicht bewältigtes, narratives Chaos

Unter den drei Debüt-Romanen auf der Shortlist des diesjährigen Frankfurter Buchpreises ist auch «Kintsugi» von Miku Sophie Kühmel, eine kammerspielartige Geschichte vom Zerbrechen langjähriger Beziehungen. Auf Brüche spielt schon der Buchtitel an, ‹kintsugi›, klärt das Nachwort auf, ist «das kunsthandwerk, zerbrochenes porzellan mit gold zu reparieren», wie dort in Kleinschrift? erläutert wird. Ein ästhetisches Zen-Prinzip, bei dem die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit im Mittelpunkt stehen, was, auf den Roman übertragen, auf die Brüche in langjährigen menschlichen Beziehungen verweist, eine ganz ähnlich schon von Goethe in seinen «Wahlverwandtschaften» thematisierte Problematik.

Das schwule Pärchen mit Max, einem charismatischen Archäologen, und Reik, einem nicht minder charismatischen und erfolgreichen Maler, beide im mittleren Alter, feiert das zwanzigjährige Bestehen seiner Beziehung in der Einsamkeit ihres kleinen Landhauses an einem See in der Uckermark. Als Gäste für das Wochenende haben sie nur den Klavierspieler Tonio eingeladen, ihren ältesten Freund, und dessen achtzehnjährige Tochter, für die sie seit ihrer Geburt liebevoll eine vaterähnliche Rolle übernommen haben. Pega, zweifache Ziehtochter also, hatte quasi drei Väter, aber keine Mutter. Sie ist das Ergebnis eines One Night Stands des damals noch völlig unerfahrenen Tonio mit einer älteren Frau, die er dann überredet hat, nicht abzutreiben und ihm das Kind zu überlassen, er wolle es allein aufziehen. Seither hat er sie nie wieder getroffen, und auch Pega kennt ihre Mutter nicht. Mit seinem Jugendfreund Reik hatte der bisexuelle Tonio früher ebenfalls eine Beziehung, bis der dann in Max seinen Partner fürs Leben gefunden hat.

Dem Figurenensemble entsprechend ist der Roman in vier Abschnitte aufgeteilt, mit jeweils einem anderen, sprachlich stimmig angelegten Ich-Erzähler, aus dessen Perspektive über das Geschehen während dieses Wochenendes und, in Rückblenden, über die gemeinsame Lebenszeit berichtet wird. Zwischen diese Kapitel eingeschoben sind jeweils kurze, drehbuchartige Szenen im Landhaus, welche die Gespräche des Quartetts beim gemeinsamen Essen zum Inhalt haben. Die Erzählung legt den Schwerpunkt auf das psychologische Geflecht des patchworkartigen Figurenensembles, welches mit seinen Makeln und Rissen in den Beziehungen Fragen und Zweifel heutiger Liebesbeziehungen und Lebenskonzepte aufwirft. Es geht dabei neben der dominanten, psychologischen Nabelschau um Sexualität, Eifersucht, Bindungsfähigkeit, Elternschaft und Karriere. Leitmotivisch für die Brüche in den Beziehungen der vier Protagonisten steht dabei das von Max in einem Wutanfall zertrümmerte, wertvolle Teeservice, über das es im letzten Satz, nach der kunstvollen Reparatur à la ‹kintsugi› heißt: «Und an den Stellen, wo die Risse waren, die Splitter, die Brüche, glänzt in verästelten Linien das Gold wie Adern aus Licht».

Die psychologische Dominanz in Miku Sophie Kühmels außerdem auch noch ziemlich redundanten Roman schmälert das Leseerlebnis erheblich, was insbesondere deshalb bedauerlich ist, weil sie ihre Figuren und deren seelische Deformationen durchaus stimmig zu beschreiben versteht. Die komplexe Konstellation der Beziehungen, – schwules Paar, kumpelhafte Vater/Tochter-Beziehung, Pegas Verführungsversuch an Max -, lassen diese spirituell aufgeladene Geschichte deutlich überkonstruiert erscheinen, weniger wäre hier mehr gewesen. Fraglich ist auch, ob man einer mutmaßlich überwiegend heterosexuellen Leserschaft die schwulen Geschlechtspraktiken derart drastisch vor Augen führen muss, wie es die junge Autorin hier tut, – aus welchen Gründen auch immer! Mit seiner ausufernden Komplexität landet dieser überambitionierte Roman, in dem alles auserzählt ist ohne jede Leerstelle, zudem adjektiv- und metaphernlastig mit einer blumigen Sprache und überladenen Symbolik, in einem nicht bewältigten, narrativen Chaos. Schade!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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