Der Eissturm

Eiskalte Schlüsselparty

Im eher bescheidenen Œuvre des US-amerikanischen Schriftstellers Rick Moody ist «Der Eissturm», 1994 erschienen, sein bekanntestes Werk. Der Stoff wurde schon drei Jahre später verfilmt, produziert als Independent-Film und prominent besetzt. Wie es der Zufall will, hatte ich gestern gerade den Roman fertig gelesen, da entdeckte ich, dass der Film abends auf «Arte» läuft, – so konnte ich also Buch und Film direkt vergleichen. Mir fiel auf, dass der Spielfilm sehr dicht an die Vorlage angelehnt ist, und er hat mir auch deutlich besser gefallen als der Roman. Was mir als überzeugtem Buchleser, der seine Bilder allemal lieber selber im Kopf erzeugt, so noch nie vorgekommen ist.

Handlungszeit ist das Wochenende von Thanksgiving im Jahre 1973, Handlungsort ist die Kleinstadt New Canaan im Bundesstaat Connecticut, eine der reichsten Städte der USA. Das Wetter ist äußerst garstig, ein heftiger Eissturm verbreitet überall Chaos. Es ist die Zeit der Watergate-Affäre, die materiell privilegierten Romanfiguren verkörpern geradezu archetypisch den American Way of Life, sind aber gleichwohl im Innersten unzufrieden. Ihren Frust versuchen sie durch sexuelle Libertinage zu kompensieren, die sexuelle Revolution in Europa ist auch auf die prüden USA übergeschwappt. «Dann will ich Ihnen mal die Komödie über diese Familie servieren, die ich in meiner Jugend gekannt habe» lautet etwas holperig der erste Satz, und weiter: «Auch für mich gibt’s eine Rolle in der Geschichte – die gibt’s für ein Klatschmaul immer –, aber dazu später mehr». Und dann lässt sich das Klatschmaul in epischer Breite über den Sex aus, Joachim Kaiser hat es einst überaus treffend so formuliert: «Ich habe mich am Anfang beim Lesen so gefühlt, als wenn ich im Theater sitze und da sind lauter nackte Leute auf der Bühne.» Petting, Onanie, Sperma, Koitus, Defloration, Impotenz, Ehebruch sind die Themen, die scheinbar, – glaubt man dem Autor -, die frustrierten US-amerikanischen Wohlstandsbürger jener Zeit vorwiegend beschäftigen, gipfelnd in dem lustigen neuen Gesellschaftsspiel namens «Schlüsselparty», das Rick Moody mit diesem Roman als erster in die Populärkultur eingeführt hat.

Es geht um die Familie Hood, deren Leben nach diesem Wochenende nicht mehr das gleiche ist wie vorher. Während der 40jährige Ben mit der flotten Nachbarin Janey, deren Ehemann Jim häufig auf Geschäftsreise ist, ein intimes Verhältnis hat und seine gelangweilte Frau Elena ihren Frust durch Kleptomanie kompensiert, versucht sich ihr introvertierter Sohn Paul, das Alter Ego des Autors, erfolglos an eine Mitschülerin heranzumachen. Seine vorlaute Schwester Wendy animiert Sandy, den zehnjährigen Sohn von Janey, zu Doktorspielen, nachdem sie schon dessen älteren Bruder Mickey verführt hat. Erwähnt sei noch, dass Janey sich beim Schlüsselspiel statt Ben den jüngsten Party-Teilnehmer angelt und die gehemmte Elena ausgerechnet Jim, den Mann von Bens nachbarlichem Betthäschen Janey, beim Griff in die Schlüsselschale «gewinnt». Sie lässt sich auch gleich im Auto von ihm vernaschen, als Rache quasi, – völlig freudlos allerdings, Ejaculatio praecox heißt das Stichwort dazu. Und auch ihr Ben geht leer aus, er liegt volltrunken im Badezimmer der Party-Villa.

Was thematisch an Schnitzler erinnert in diesem amerikanischen «Reigen», das ist hier allerdings primitivste Verbalerotik ohne jedes Raffinement, so kalt wie der titelgebende Eissturm. Das Ganze endet für alle im Fiasko, es gibt einen Toten und ein Hollywood-typisches Ende mit Pauls lächelnder Familie, als sie ihn nach einer Horrornacht im vereisten Zug glücklich am Bahnhof abholt. Indem der Film viele im Roman seitenlang abgehandelte, langweilige Details, vor allem über Pauls nervige, idiotische Comic-Hefte, gottlob weglässt und sich auf den seelischen Kern seiner Figuren konzentriert, vermag er diese zynische Abrechnung mit der gelangweilten Generation jener Zeit deutlich glaubhafter abzubilden.

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
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