Madame Lai

Marlon Brando, eines der entfesselten Genies der Filmgeschichte, galt lebenslang als Exzentriker. Der Charakterdarsteller der Spitzenklasse (»Endstation Sehnsucht«, »Die Faust im Nacken«, »Der Mann in der Schlangenhaut«, »Meuterei auf der Bounty«, »Der Pate«, »Der letzte Tango«) hinterließ mit seinem Tod im Jahre 2004 nicht nur ein erhebliches Vermögen und eine traumhafte Südseeinselkette. In seinem Nachlass fand sich auch ein Roman, den er gemeinsam mit seinem Freund, dem Regisseur Donald Cammell, verfasst hat. Der postum veröffentlichte Text wird eingeleitet durch ein umfangreiches Porträt des Autors Truman Capote (»Kaltblütig«), der Brando während der Dreharbeiten zum Liebesmelodram »Sayonara« besuchte.

Mit »Madame Lai« schrieb Brando sich wohl die Rolle seines Lebens auf den Leib. Als schwergewichtiger Kapitän Annie Doultry, der mit seinem Handelsschoner »Sea Change« auf dem Südchinesischen Meer mehr oder weniger zwielichtige Handelsgeschäfte abwickelt, spielt er sein Alter Ego aus und schildert einen Mann, der in einer Kombination aus Lebensgier und Todeslust das tägliche Dasein als großes Glückspiel lebt.

Es ist eine Räuberpistole, exakt: eine Seeräuberpistole mit Tiefgang, die während des chinesischen Bürgerkrieges um 1927 zwischen Hongkong und Macao im Südchinesischen Meer spielt. Die Klamotte mit phänomenaler Phantasie und kolossaler sprachlicher Kraft widerspricht gängigen Klischees des Genres. In sexueller wie intellektueller Hinsicht wird das Verhältnis zwischen Ost und West, zwischen den »Schlitzaugen« und den »gwai lo«, den »weißen Teufeln« nämlich als offen und einander faszinierend dargestellt.

So ist auch das Verhältnis zwischen Kapitän Annie Doultry und der Piratin Madame Lai durch starke sexuelle Spannung bestimmt. Doultry rettet durch falsches Zeugnis im Gefängnis von Hongkong, in das er wegen illegalen Waffenhandels gerät, einem Chinesen, den er beim Kakerlakenrennen kennen lernt, den Kopf. Madame Lai will ihn für die uneigennützige Rettung ihres Schiffsführers entlohnen, doch Annie lehnt ab. Letztlich verbünden sich die beiden, um einen bis an die Zähne bewaffneten Silbertransporter zu überfallen. Doch das blutrünstige Spiel um Geld und Liebe nimmt eine unerwartete Wendung …

»Madame Lai« ist ein herrlicher Roman, aus dessen Poren Lebenslust, Laster und Leidenschaft dampft. Der Text beschert sinnenfrohes Lesevergnügen. Sein Stil ist prall und direkt. Seine Milieudichte ist beeindruckend. Der Roman ist von enormer sprachlicher Sensibilität. Selbst in seinen wüstesten Szenen geht er gleichsam auf Zehenspitzen feingliedrig und sensibel einher.

Die Covergestaltung des Buches, ein Filmplakat von »Sayonara«, weckt leider den Eindruck, als wäre das Werk eine klebrige Seifenoper aus Hollywood. Der Leser sollte das Cover verstecken, wenn er das Buch genießt, der Lustgewinn beim Lesen erhöht sich dadurch wesentlich.

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Genre: Abenteuer
Illustrated by Marebuchverlag Hamburg

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