Rot und Schwarz

stendhal-1To the happy few

Der zweite Roman von Henri Beyle, des unter dem Pseudonym Stendhal schreibenden französischen Schriftstellers, wird in Fachkreisen als sein Meisterwerk und als ein Klassiker der Weltliteratur angesehen. Der suggestive Titel «Rot und Schwarz» dieses 1830 erschienenen Prosawerkes, das zeitlich in einigen wenigen Jahren davor angesiedelt ist, spielt mutmaßlich auf die damalige politische Situation in Frankreich an, die Zeit nach Napoleon zwischen Restauration und Julirevolution, wird aber auch als Symbol für die Gegenpole Militär und Klerus gedeutet, bei denen sich der noch unentschlossene junge Protagonist eine Laufbahn erhofft, die ihn aus der Bedrückung seines niederen gesellschaftlichen Status befreit.

Julien Sorel, feinsinnig, intelligent, außergewöhnlich gut aussehend, – sein Vater besitzt eine Sägemühle, für die sich der Sohn so gar nicht eignet, – beschließt als 14Jähriger, das Priesterseminar zu besuchen. Darin wird er bestärkt und jahrelang gefördert vom Priester des Provinzortes in der Franche-Comté, durch dessen Protektion er später eine gutbezahlte Stelle als Hauslehrer beim Bürgermeister, Monsieur de Rênal erlangt. Er beginnt eine Affäre mit dessen Ehefrau, durch ein in ihn verliebtes Hausmädchen wird der Ehebruch im Ort bekannt, Julien flüchtet nach Besançon ins Priesterseminar. Er wird schnell Protegé von dessen Leiter, und als der wegen interner Querelen das Seminar verlässt, vermittelt er Julien eine Anstellung als Sekretär des Marquis de la Mole in Paris. Schnell gewinnt er das Vertrauen seines Dienstherrn und wird in die Salons der Metropole eingeführt, wo er einflussreiche Adelige kennenlernt. Als sich nach einiger Zeit Mathilde, die schöne und launenhafte Tochter des Marquis, in ihn verliebt und ihm dies in einem Liebesbrief gesteht, bleibt er abweisend, befürchtet eine Falle, die ihn kompromittieren soll. Juliens Desinteresse reizt Mathildes Eitelkeit, allmählich finden die Beiden doch zueinander trotz aller gesellschaftlichen Unterschiede. Mathilde wird schließlich schwanger, bei Nachforschungen ihres den Skandal fürchtenden Vaters stellt Madame de Rênal, seine einstige Geliebte, Julien in einem Brief als Frauenheld dar, der es nur auf das Geld reicher Frauen abgesehen habe. Außer sich vor Zorn über diese Verleumdung, die mit einem Schlag alle seine Pläne zerstört, schießt Julien in der Kirche auf sie, verletzt sie aber nur, und landet im Gefängnis. In einem fein ausbalancierten Schluss, die Figuren psychologisch geradezu sezierend, kämpfen beide Frauen aus ganz unterschiedlichen Motiven um seine Freiheit, er selbst hingegen hält sich unbeirrt für schuldig.

Stendhal versucht in seinem Roman nachzuweisen, dass es die Eitelkeit ist, welche die Menschen ins Unglück stürzt. Juliens Aufstieg in die bessere Gesellschaft muss, anders als in der napoleonischen Epoche, während der Restauration am Standesdünkel scheitern, aber auch an der Angst des Adels vor einem neuen Danton, den Mathilde in Julien schon zu erkennen glaubt, was ihre Schwärmerei für den aufstrebenden jungen Mann erklärt. Die Jagd nach Geld, Einfluss und Posten macht aus den handelnden Figuren allesamt eiskalte Heuchler, die aus nüchternem Kalkül niemals sagen, was sie denken, und das gilt uneingeschränkt auch für den gesamten Klerus. Als Vertreter des Realismus schildert der Autor das Geschehen, der Psyche seiner Protagonisten folgend, nüchtern, lakonisch, zuweilen auch desillusionierend und enthält sich, nur auf seine Figuren fokussiert, aller romantisierenden Beschreibungen seiner Szenen, man findet folglich auch kein Wort über Paris.

Allein die sprachlichen Qualitäten dieses großen Romans empfehlen ihn unbedingt zur Lektüre, aber auch als Sittengemälde und psychologische Studie zweier ziemlich konträrer Liebesaffären hat er mich sehr gefesselt. Stendhal hat seinen Roman den «happy few», den wenigen Glücklichen gewidmet, nach der Lektüre von «Rot und Schwarz» gibt es davon sicherlich schon wieder einige mehr.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortata.de


Genre: Roman
Illustrated by Hanser

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