Sehnsucht nach Nebudistan

Wer von den älteren Semestern Billy Mo und seinen Hit »Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut« erinnert und über den tiefschwarzen Jazz-Trompeter und Schlagersänger aus Trinidad, der sich zum Gaudi der Zuschauer in eine alpenländische Tracht zwängte, schmunzeln konnte, der ist bei Thaddäus Troll richtig.

In seinem 1956 erschienenen, nahezu zeitlos wirkenden Roman »Sehnsucht nach Nebudistan«, zeichnet der schwäbische Humorist Thaddäus Troll den ebenso schwergewichtigen wie sinnenfreudigen Vertreter eines Südsee-Königreichs, der sich bevorzugt mit grellbunten Hawai-Hemden, quietschgelben Socken und bayerischen Krachledernen ausstaffiert und damit das Aufsehen seiner Umgebung erregt. Doch es ist weniger der farbenfrohe Auftritt oder das handgeschriebene Schild »Raubmörder nach München«, das er zum Trampen umhängt, das den Drei-Zentner-Mann ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rückt. Es ist die stark kontrastierende Hautfarbe des geheimnisvollen Herren, der zu allem Überfluss das Amt des Aussenministers von Nebudistan bekleidet, denn Kara Kiri, so der Name des Diplomaten, ist dunkelhäutig, vielmehr: Er ist rabenschwarz. Die Exzellenz ist ein Neger!

Wohlgemerkt, das Buch ist ein halbes Jahrhundert alt! Damals konnten Autoren noch unbeschwert mit dem Begriff »Neger« hantieren, ohne gleich der politisch-korrekten Zensur zum Opfer zu fallen. Es war eine Zeit, in der Schokolade noch vom Sarotti-Mohr werblich serviert werden durfte, ohne gleich in die Schublade des nachtragenden Kolonialdenkens gesperrt zu werden, und in den Bäckereien leuchteten die Augen der Naschkatzen, wenn es Negerküsse und Mohrenköpfe gab. Der Roman ist aus heutiger Sicht also politisch unkorrekt und genau deshalb empfahl ihn mir Hans Peter Roentgen, ein befreundeter Lektor und Autorenkollege, der weiß, dass ich in Sachen politischer Unkorrektheit bewusst und leidenschaftlich gern in Fettnäpfchen trete.

Kara Kiri erscheint also eines schönen Tages an der Haustür der Familie Knesl in Bad Querfurt und macht seine Aufwartung. Haushälterin Schlebusch ist wie vom Donner gerührt ob der Hautfarbe des Gastes und fürchtet, er würde im Gästebett abfärben und Vogelspinnen oder Skorpione ins Haus bringen. Entsprechend distanziert geht sie mit dem vermeintlichen Kannibalen um, der dem Familienoberhaupt einen unwiderstehlichen Vorschlag macht: Die Exzellenz lädt Benvenuto Knesl samt Gattin ein, nach Nebudistan umzusiedeln und dem ehrenwerten König des Reiches als Kanzler zu dienen. Hintergrund der Einladung ist, dass Knesl Verfasser einer einzigartigen Kulturgeschichte von Nebudistan ist, die im Königreich an allen Schulen als Unterrichtsmaterial genutzt wird. Zwar war Knesl noch nie in Nebudistan, doch damit gleicht er Karl May und vielen anderen deutschen Gelehrten, die bevorzugt im Kopf reisen. Außerdem beherrscht der Stubengelehrte das nebudistanische Idiom wie kein zweiter und versteht auch die heimische Knotenschrift besser zu knüpfen als manch Einheimischer.

An der Einladung hängt nur ein Haken, und darum spielt der eigentliche Roman. Das Ehepaar Knesl muss nämlich einen leiblichen Erben mit ins ferne Königreich bringen. Bei drei Töchtern scheint das keine große Herausforderung, und so begleiten wir die Eheleute samt Kara Kiri auf eine Reise zu den Töchtern. Diese sind mit wunderlichen Herren verheiratet, die sämtlich gute Gründe hätten, nach Nebudistan auszuwandern und dort unbeschwert und sorgenfrei zu leben. Der eine ist ein frömmelnder Prediger, dessen missionarischer Eifer die eigenen Kinder vertreibt. Ein anderer ist ein erfolgloser Schriftsteller, der sich profaner Autorentätigkeit verweigert und seinen Stift lieber der brotlosen »hohen« Kunst leiht. Schwiegersohn Nummer Drei ist ein verrückter Erfinder, dessen Roboter und Automaten mehr Schaden als Nutzen anrichten. Doch vor Ort stellt es sich schwieriger als erwartet dar, Mitreisende nach Nebudistan zu finden. Als König Tonga dann auch noch als zusätzliche Ermunterung seinem künftigen Kanzler einen wertvollen Elefanten schickt, gewinnt die Geschichte an Tempo und Turbulenz.

Thaddäus Troll versteht es meisterhaft, skurille Typen zu zeichnen und zieht sie stellvertretend für die jeweilige Berufsgruppe bzw. Weltanschauung durch den Kakao. Ihm gelingt mit »Sehnsucht nach Nebudistan« eine Gesellschaftssatire, über die auch heutige Leser schmunzeln können. Tragender Moment dabei ist natürlich der buchstäbliche Schwarz-Weiß-Kontrast, der durch die wundervollen Auftritte von Kara Kiri, dessen lebenslustige und trinkfreudige Art sowie seine Anwendung der nebudistanischen Philosophie gestaltet wird. Das alles ist im Humor der Sechziger Jahre, der mit Namen wie Heinz Ehrhardt verbunden ist, gehalten.

Das Buch gibt es nur noch antiquarisch. Dabei hätte es – gerade wegen der politisch-unkorrekten Bezeichnungen und Formulierungen – eine Neuauflage verdient.

Thaddäus Troll: Sehnsucht nach Nebudistan. Ein heiterer Roman

Kindler Verlag München 1956


Genre: Gesellschaftsroman, Humor
Illustrated by Kindler Berlin

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