Auf den Bühnen der Welt

Ludwig Frank spielt auf allen Opern- und Konzertbühnen der Welt mit, und es gibt kaum einen Spitzenmusiker, der ihn nicht bereits gehört hat. Dabei ist Frank nie persönlich präsent. Es sind seine Oboen, die mit ihrem Wohllaut die Herzen der Zuhörer erfüllen, denn Frank ist ein weltbekannter Instrumentenbauer. Mit seiner Autobiografie »Auf den Bühen der Welt« legt er seine Erinnerungen vor. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erinnerungen, Instrumentenbau, Musik
Illustrated by Ultraviolett

Iowa. Ein Ausflug nach Amerika

Iowa. Ein Ausflug nach Amerika. Nach “Statusmeldungen” und “Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin” schon das dritte Buch der österreichischen Self-Made-Autorin Stefanie Sargnagel aus Wien beim renommierten Rowohlt Verlag. Mit dabei ist dieses Mal auch Christiane Rösinger besser bekannt durch ihre Bandprojekte Lassie Singers und Britta, sowie viele andere kulturelle Aktivitäten im Berliner Underground.

Iowa: Fette Malls, ranziges Essen

Stefanie Sargnagel hat sich im deutschsprachigen Raum bereits einen gewissen Kultstatus erworben. Ihr Ausflug nach Amerika glänzt durch bissigen Humor und Selfbashing – entwaffnend ehrlich eben. Auf Einladung eines amerikanischen Colleges in Grinnell, Iowa fliegt die muntere Autorin mit ihrer Freundin Christiane kurzerhand in die USA. Sie soll dort Creative Writing unterrichten und das ausgerechnet in einem 8000-Seelen Dorf. Das College erweist sich dann aber als multikultureller und diverser als der Ort und Iowa fortschrittlicher als man es erwarten würde. “Über die Realität legt sich ab jetzt ein beugebräunlicher Schleier. Das ist der vergilbte Teil der USA“, sind zwar ihre ersten Gedanken nach der Landung, aber bald bemerkt sie, dass das Örtchen keine Kulisse ist und dort tatsächlich richtige Menschen leben, auch wenn sie oft Klischees entsprechen, die man aus US-amerikanischen Serien selbst zu kennen glaubt. Tumbleweed. Vieles ist ihr dann auch tatsächlich schon bekannt, aus eben diesen Serien oder Filmen. Aber sie entdeckt auch bald die Segnungen des Kapitalismus: Dass ausgerechnet Walmart eine soziale Ader hat und arme Leute auf den Parkplätzen seiner Malls campen lässt, ist doch überraschend. Skurriler noch als unsere westeuropäischen Vorurteile sind auch Sargnagels Beschreibungen der Amish, Amana und Maharishi-Sekten, um nur drei der unzähligen Glaubensgemeinschaften dort zu nennen, auf die sie bei ihren Ausflügen stößt. Die Autorin hat darüber eigene Reportagen eingebaut, auch Chicago und L.A. besucht sie kurz im Mietwagen mit ihrer Mutter und auch wenn der eigentliche Höhepunkt des “Ausflugs nach Amerika” ausbleibt (oder ist es der Abschied von Christiane?) ist das eigentliche Thema ein ganz anderes.

Ausflug nach Amerika: Genug vom “Rumspringa”

Denn es wäre kein Buch von der Sargnagel, wenn man nicht auch sehr viel über sie selbst erfahren würde. So lernt man etwa den Alkoholmissbrauch der Österreicher von dem der Deutschen zu unterscheiden oder begreift endlich den Unterschied zwischen einem Egozentriker und einem Narzissten: “Nur der erstere ist zu wahrem Idealismus in der Lage“. Christiane und Stefanie erkunden die Umgebung im Mietauto oder mit dem Greyhound: Des Moines, die Hauptstadt Iowas, wird durch die Iowa State Fair und den zweitgrößten Skywalk nach Minneapolis beschrieben, der Mississippi durch einen Pelikanflug und Dubuque durch seine Zahnradbahn, die älteste Amerikas. Das Hundebashing und die Macht der Waffenlobby sind noch ein paar Roadside Attractions auf diesem munteren Ritt durch den Midwest der USA. “Wochenlanges zielloses Reisen empfinde ich aber seit ich nicht mehr jugendlich bin eigentlich als stumpfen Konsum privilegierter IdiotInnen“, schränkt sie ihre Neugierde dann aber doch etwas ein und ist dann irgendwie wieder froh, nach Grinnell zurückzukommen. “Aber mit dem Abschied vom Exzess bricht ein ganzer Teil der Wirklichkeit weg. Der Irrsinn der Nacht.”Dafür kann man sich dann – am Ende der Strasse – vielleicht nur noch für Mukbang interessieren? Bei den Amish dürfen die geschlechtsreifen Jugendlichen mit 16 Jahren auf die Pfalz, sie nennen das “Rumspringa“, erzählt Sargnagel und in dieser Zeit dürfen sie alles ausprobieren, was sie wollen: Sex und Drugs und R’n’R. Davon dürfte die Sargnagel, 1986 geboren, inzwischen wohl genug haben. Denn mit kaum etwas mehr als 37 Jahren hat sie schon ihr reifes Alterswerk geschrieben: Iowa. Ein unterhaltsamer, lesenswerter Roadtrip voller Sarkasmus bei gleichzeitig sehr viel Sympathie. Unaufgeregt, abgeklärt und unheimlich witzig.

Zu Lesungen des Buches mit der Autorin lädt der Rowohlt Verlag ab Januar 2024 in Wien, Graz, Köln und vielen anderen deutschsprachigen Städten!

Stefanie Sargnagel
Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Mit korrigierenden Fußnoten von Christiane Rösinger
2023, Hardvoer, 304 Seiten
ISBN: 978-3-498-00340-1
Rowohlt Buchverlag


Genre: Autobiografie, Gegenwartsliteratur, Reise, Reiseabenteuer
Illustrated by Rowohlt

Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

 „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“ Eine Frage, die Vincenzo Peruggia, der Kunstdieb des Gemäldes, während seines Gefängnisaufenthalts 1913 einen Mitinsassen mit einem nicht minder verschmitzten Lächeln hätte stellen können. Wie wahrscheinlich wäre es außerdem, eine ‚Leihgabe‘ des Gemäldes genehmigt zu bekommen, wie im Falle des reichen Entrepreneurs Miles Bron im Film Glass Onion? Realistischer war da schon 2019 die Chance, im Rahmen eines Gewinnspiels mit Airbnb eine Nacht im Louvre zu verbringen. Eine Aktion, die sicherlich auch von Beyonces und Jay-Zs Video zu „Apeshit“ inspiriert wurde.

In „Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre“ von Jakuta Alikavazovic, einer in Paris aufgewachsenen Autorin mit jugoslawischen Wurzeln, ist die Frage nach einem potenziellen Raub der Mona Lisa eine viel komplexere, als Popkultur und Verschwörungstheorien vermuten lassen.

Kunst als Heimatverlust

Die (gestohlene) Mona Lisa wird bei Alikavazovic zum Sinnbild des Heimatverlusts. Nicht zufällig erwähnt die namenlose Ich-Erzählerin, dass Peruggia in seinem Bemühen, das Gemälde dem ‚rechtmäßigen‘ Land seiner Zugehörigkeit zurückzubringen, bis heute als italienischer Nationalheld gefeiert wird. Eine Art Restitution also?

Das Gefühl der verlorenen Heimat wird sowohl direkt durch die Ich-Erzählerin als auch indirekt durch deren Vorgeneration, ihren Vater, empfunden. Dieser spukt in Form von Erinnerungen und Mythen wie ein Phantasma durch das Narrativ der Tochter, während sie – unter dem Vorwand der Recherche für ein Buch – eine Nacht allein im Louvre verbringt. Nach der Flucht vor dem Jugoslawienkrieg nach Frankreich wird der Louvre hauptsächlich für den Vater nicht nur zum Ort der Erkenntnis, dass sich die Erinnerung an die Heimat – Titos kommunistische Utopie vom jugoslawischen ‚Einheitsstaat‘, ähnlich wie Stalins Sowjetunion – als künstliches Konstrukt entpuppt. Genauso verhält es sich mit den zahlreichen Besuchern am ‚Tatort‘ im Louvre, in deren Erinnerung die Mona Lisa während ihrer Abwesenheit 1911-1913 originellere Züge annimmt als in ihrer Anwesenheit. Die Erinnerung an etwas, das es nicht (mehr) gibt.

Kunst als ‚wahre‘ Heimat

Gleichzeitig kann der Vater seine Identität gerade im Louvre jenseits der gesprochenen Sprache mit seiner Affinität zu Kunst(geschichte) ‚neu‘ erfinden. Wenn er seine Tochter also immer wieder fragt „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“, dann interessieren ihn auch die Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Neuerfindung.

Ironischerweise hat auch der ehemalige französische Präsident François Mitterrand den Louvre 1989 ‚renoviert‘, weniger revolutioniert. Der Eindruck von einem ursprünglich aus dem 19. Jhdt. stammenden Adelspalast sollte unter anderem durch den Bau einer Glaspyramide, von der sich der chinesisch-amerikanische Architekt Ieoh Ming Pei absolute Transparenz erhoffte, getrübt werden. Auch wenn Mitterrand mit dieser zur spöttischen „Grabkammer der Sozialisten“ deklarierten Pyramide eine demokratische Geste für ein modernes Frankreich tätigen wollte, wurde der moderne Zusatz vom Volk lediglich geduldet. Selbst wenn die Pyramide mittlerweile bekannter ist als das eigentliche Museum.

Jenseits von Trauma und Exilliteratur. Die Untrennbarkeit von Ästhetik und Politik

In „Wie ein Himmel in uns“ untersucht Alikavazovic mit Fingerspitzengefühl, inwiefern der Akt der ‚Neuerfindung‘, sei es in Bezug auf Kunst, Geschichte oder persönliche Identität, auch mit Scham behaftet sowie eine spielerische Verleugnung der Vergangenheit und des Selbst sein kann. Auch, wie sich das auf Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt. Damit knüpft sie teilweise an die Vorgängerromane Corps Volatils, Le Londres-Louxor oder Das Fortschreiten der Nacht an.

In der Manier des Magischen Realismus mit metafiktionalen Elementen lässt sie die Wahrnehmung, Erinnerungen und Erlebnisse der Ich-Erzählerin, des Vaters und anderer Bekannter ineinanderfließen. So gekonnt, dass man Vater und Tochter tatsächlich zutrauen könnte, einen Raubversuch im Louvre zu wagen. Autofiktion und Autobiographie, Ästhetik und Politik gehen somit nahtlos ineinander über.

Alikavazovic lässt sich literarischen Größen wie Vladimir Nabokov (Der Museumsbesuch), David Markson (Wittgensteins Mätresse) oder Annie Ernaux (Die Scham) zuordnen. Nicht nur, aber auch deswegen gebührt der Autorin, die auch David Foster Wallace ins Französische überträgt und von der gerade einmal zwei Romane ins Deutsche übersetzt wurden, mehr Aufmerksamkeit.

Jakuta Alikavazovic: Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

Übersetzt aus dem Französischen von Stephanie Singh.

Erschienen bei Hanser.


Genre: Autobiografie, Autofiktion, Kulturgeschichte, Kunst, Roman
Illustrated by Hanser

Eurotrash

Christian Kracht ist Schweizer mit deutschen Wurzeln. Er sieht sich selbst als Kosmopolit. Nach eigener Aussage begreift er seine Romane eher „humoristisch“, löst mit seinem Werk und Leben allerdings häufig heftige Kontroversen aus. Ein Mensch und Autor, der nicht einzuordnen ist, und der in Eurotrash offensichtlich immer noch nach seinem eigenen Platz und Stellenwert in einem Leben sucht, dessen materielle Rahmenbedingungen andere bei einem flüchtigen Blick neidvoll als beste Voraussetzungen für unbeschwertes Glück ansehen würden. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erinnerungen, Gesellschaftsroman, Politik und Gesellschaft, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Im Garten meiner Kindheit

Christine Kayser entführt den Leser in die Zeit ihrer Kindheit, in eine ländlich geprägte Zeit. Morgens schöpfte die Milchfrau frische Milch aus Kannen. Abends las die Großmutter vor. Das Leben des Wildfangs spielte sich weitgehend außerhalb des Hauses in der freien Natur ab. Waschmaschinen, Kühlschränke, Telefon und Fernseher gab es noch nicht. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erzählungen
Illustrated by story.one

Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben

Turbulente Lebensgewässer

Vom bewegten Leben eines ganz normalen Bürgers erzählt die Autobiografie „Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben“. Als eines von mehreren Geschwistern wächst der Autor zunächst bei seinen Eltern und später bei Onkel und Tante auf, die sich mit dem Kind wohl ihren Kinderwunsch erfüllt haben. Zunächst läuft es für den Jungen ganz gut; er ist begeistert von den Freiheiten, die er jetzt genießt. Aber das Leben bei Onkel und Tante hat nicht nur gute Seiten, sodass er als Teenager zurück zu seinen Eltern zieht. Dort macht er eine Lehre zum Schriftsetzer, muss aber quasi als Mädchen für alles vielerlei andere Arbeiten verrichten. Aus mehreren Gründen heiratet Ranstädt früh. Seine Frau bringt einen Sohn mit in die Ehe, zwei weitere Kinder folgen. Ein paar Jahre später muss der Autor seinen ersten Schicksalsschlag verkraften, denn der erste Sohn erkrankt schwer. Weitere Schicksalsschläge folgen in Form von Trennungen, schwierigen Beziehungen zu den Kindern und turbulenten Arbeitsstellen, bis Ranstädt sein stürmisches Lebensschiff in ruhigere Gewässer steuern kann.

Nach dem Ab folgt ein Auf

Die Autobiografie liest sich flüssig, schnell und spannend. Ich habe als Mutter nur ca. 3 Abende gebraucht, um sie zu lesen. Das verdankt sich nicht nur der flüssigen Schreibweise mit Appetizern am Ende der Kapitel, sondern auch der recht großen Schrift, die das Lesen angenehm gestaltet. Das Buch entfaltet sich als Lebensrückschau vor den Augen der Leser*innen und beweist, dass auch und gerade die Geschichte ganz normaler Leute interessant sein kann.

Der Autor will den Leser*innen Mut machen, indem er sagt, dass nach jedem (Jammer-)Tal auch wieder frohes Gipfelstürmen folgen kann. Das Leben erfolgt in Wellen; es gibt immer ein Auf und Ab. Und wie ein Stehaufmännchen soll man sich von den Tiefen nicht unterkriegen lassen, denn irgendwo kommt immer wieder ein Lichtlein her. Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie ein solches Lichtlein just in dem Moment um die Ecke biegt, wenn alles am Boden zu liegen scheint. Da beneide ich Ranstädt, denn in meinem Leben kam mal nicht eben ein Lichtlein vorbei, ich musste mir solche Lichter stets selbst erarbeiten. Das ist aber auch das einzige Beneidenswerte, denn ansonsten wurde dem Autor in seinem Leben kaum etwas erspart. Das ermöglicht ihm aber eine Weitsicht und Reife, die auch im Nachwort des Buches zu spüren ist.

Ich persönlich finde es schade, dass das Buch für meinen Geschmack zu sehr an der Oberfläche geblieben ist, denn ich wäre gern noch tiefer in seine Geschichte eingetaucht. Kaum angefangen war das Buch schon ausgelesen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es sehr schwer sein muss, sein Leben derart offen darzulegen und Wunden wieder aufzureißen. Das geht wohl nur bis zu einem gewissen Grad. Hin und wieder tauchen Tippfehler auf, die evtl. für eine zweite Auflage angegangen werden könnten. Ansonsten habe ich aber an dem Buch nichts auszusetzen. Eigentlich könnte es ruhig mehr Biografien von „ganz normalen Leuten“ geben – sie lesen sich zumindest für mich spannender als so manche Promi-Biografie und beweisen, wie vielfältig der „ganz normale Alltagswahnsinn“ sein kann.

 


Genre: Autobiografie
Illustrated by BoD Norderstedt

An das Wilde glauben

„Miedeka“ ist die ewenische Benennung für jemanden, der nach der Begegnung mit einem Bären gezeichnet ist. Nastja ist eine solche Person, die bei den Ewenen von Itscha – einem indigenen Volk in der Kamtschatka – in den Wäldern lebt. Ihr ewenischer Name lautet zudem Matucha – Bärin, und sie reflektiert über das Zusammentreffen, das ihrer Meinung nach unvermeidlich gewesen sei. „Es gibt etwas Unsichtbares, das unsere Leben auf das Unerwartete zutreibt“, heißt es im Buch. Es gäbe Rhythmus in der Welt, in der wir leben, Richtung, Orientierung. Also auch ein Schicksal, das beide, Nastja und die Bärin, unausweichlich zusammengeführt hat.     Weiterlesen


Genre: Autobiografie
Illustrated by Matthes & Seitz

Sind Sie das? Eine Spurensuche

Wie viel vom tatsächlichen Leben eines Autors steckt in seinen Romanen? Diese Frage taucht nahezu in jedem Publikumsgespräch mit Autoren auf. Aber auch Literaturwissenschaftler und Rezensenten beschäftigen sich teilweise akribisch und streng wissenschaftlich mit dieser Thematik. Charles Lewinsky hat sich mit seinem neuesten Buch auf Spurensuche im eigenen Werk begeben. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Sachbuch
Illustrated by Diogenes

Versprich es mir. Über Hoffnung

Joe Biden – Versprich es mir

He, Joe“, meinte Barack einmal zu Biden, „man kauft das Schlimme mit dem Guten ein“. Schon während der Präsidentschaft hatten die beiden Bs eng zusammengearbeitet. Biden war der Vizepräsident Barack Obamas und hätte 2016 auch selbst kandidiert. Doch dann kam die Krankheit seines Sohnes Beau dazwischen und Biden entschied sich für die Familie. Donald Trump gewann daraufhin gegen Bill Clinton die Wahlen. Aber 2019 übernahm Joe Biden das Ruder. Am 20.1.2020 wurde er als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Und er übernimmt ein gespaltenes Land in der Corona-Krise mit einer Rekordarbeitslosigkeit und schlechten Wirtschaftsdaten. Aber Joe Biden verkörpert das, was in einer krisengeschüttelten Zeit wie der unseren das Wichtigste ist: Hoffnung.

Biden: Hoffnung für die Welt?

Biden wurde von seinen Gegnern gerne als „Trauerredner der Nation“ abgetan, was angesichts der Dinge, die er in seinem Leben schon mitmachen musste, geradezu pietätlos wirkt. Denn nicht nur, dass er 2015 seinen erst 45-jährigen Sohn Beau verlor, nein, schon Jahre zuvor gingen seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall von dieser Welt. Aber Joe Biden gab nicht auf und setzte sich seine Ziele, die ihn nun bis an die Spitze seines Landes brachten. Und seine Programm liest sich gar nicht so schlecht: Kampf dem Supperlobbyismus, Besteuerung der Vermögen statt der Arbeit, Ende der Steuerschlupflöcher und Steuernachlässe, Mindestlohn von 15 Dollar und Abschaffung der Studiengebühren an den öffentlichen Colleges und Universitäten. Schon während seiner Vizepräsidentschaft war er auch für die Homosexuellenehe und deren rechtliche Gleichstellung eingetreten. Und nicht zuletzt ein Mondfahrtprogramm zur Bekämpfung von Krebs. Now hope and history rhyme.

Joe oder The Luck of the Irish

Die vorliegende, äußerste lesenswerte Kampfschrift ist nicht nur gut geschrieben, sondern auch sehr persönlich gehalten. Biden schreibt über den Kampf seines Sohnes Beau gegen den Krebs, aber auch von seinen eigenen politischen Erfolgen im Irak oder seinen Vermittlungsbemühungen in Mittelamerika und der Ukraine. Dabei behält er auch eine gewisse subtile Form von Humor bei, was ihn noch sympathischer macht. Gerade weil er als Außenseiter startete und „against all odds“ die Vorwahlen und die eigentlichen Wahlen gewann und weil er sich durch seine schlimmen Schicksalsschläge nicht unterkriegen ließ, möchte man diesem Präsidenten nur das Beste wünschen. Denn für die Aufgaben, die vor ihm liegen, wird er jede Unterstützung brauchen. Man vertraut und glaubt seinen Worten. Was man nicht erfährt, ist seine Vorgeschichte. Das Buch handelt hauptsächlich in der Zeit der 10er Dekade des 21. Jahrhunderts, es erschien in den USA 2017, aber bereits nach der Angelobung von Trump. Der Vorwurf er würde aus dem Tod seines Sohnes politisches Kapital schlagen wollen und all die andere Schmutzwäsche, die gegen ihn lief, wird Lügen gestraft. Für seine Kritiker gilt: einen schönen Gruß von Onkel Ed. Und gerne nimmt man ihm auch das Versprechen ab, das er seinem Sohn gab: Die Welt wieder zu einem besseren Platz zu machen.

Joe Biden

Versprich es mir.

Über Hoffnung am Rande des Abgrunds

Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind und Friedrich Pflüger.

ISBN: 978-3-406-76713-5

2020, Hardcover, 250 S

C.H.Beck Verlag

22,00 €


Genre: Autobiografie, Politik
Illustrated by C.H. Beck München

Bukowskis Jugendjahre

Bukowskis Jugendjahre. „Für alle Väter“ lautet die Widmung, die Charles Bukowski, der im August dieses Jahres 100 Jahre alt werden würde, seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen voranstellt. Denn Bukowski ist nicht nur der Autor zahlreicher Gedichte und Short Stories, sondern auch von einigen Romanen.

Bukowski: Class of `39

„Post Office“, sein Romandebüt widmete sich seiner einzigen festen Anstellung bei der amerikanischen Post. In „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“ geht Charles Bukowskis aber noch weiter in seinen Erinnerungen zurück, nämlich bis in seine Jugend im Amerika der 20er und 30er Jahre. Sein Vater, der jeden Morgen pünktlich das Haus verlässt, damit die Nachbarn nicht merken, daß er arbeitslos ist, war von der oben angeführten Zueignung und Widmung wohl ausgeschlossen. „Die rohe Gewalt, die in ihm rumorte, verscheuchte alles andere.“ Denn er züchtigte seinen Sohn Charles mit dem Lederriemen und verursachte damit wohl genau jene Entzündungen, die später als eitrige Akne ausbrachen und Bukowski damit sein Leben (oder zumindest seinen Körper) versauten. Aber so schlecht war dieses Leben nicht mehr, zumindest ab dem Zeitpunkt als er sein Elternhaus verließ. Genau über die Zeit davor handelt der vorliegende autobiographische Roman.

„Fump, fump, fump,fump …“

Bukowski nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Er spricht über Tabus, damit auch andere sich trauen, darüber zu reden. Seine Worte machen Mut und lösen eigene Erinnerungen aus, die vielleicht ebensolche Traumata auslösten. In der Schule war er noch ein Sportass, aber bald verlässt ihn der Ehrgeiz, da er schon früh anfängt zu trinken. „Das hier machte das Leben zu einer reinen Freude. Es machte einen Mann unerschütterlich und unangreifbar“, schreibt er über seinen ersten Rausch, bei dem er sich an Weinfässern des Vaters eines Mitschülers bediente. „So wohl war mir noch nie gewesen. Es war besser als Onanieren.“ Bukowski war noch keine 14. Bei der Beschreibung einer Tätigkeit eines anderen Mitschülers während des Unterrichts, bedient sich Bukowski auch der Lautsprache: „Fump, fump, fump,fump …“ lautet sein Kommentar zu den Beinen von Mrs. Gredis. Eine Parallelmontage der ganz anderen Art. Aber Bukowski zeigt auch viel Gefühl, etwa wenn er seine Beziehung zu der Krankenschwester beschreibt, die ihm seine Pusteln ausbrannte, Miss Ackermann. Aus seinem ersten McJob wird er wegen einer Schlägerei rausgeschmissen, aber mit der Pünktlichkeit hatte er es damals schon nicht so genau genommen. Seine ersten Tage als Student werden ebenso angeschnitten, wie seine Entscheidung nicht in den Krieg zu ziehen. Die Class of `39 war nämlich trotz Pearl Harbor schon pazifistisch gesinnt, obwohl `68 noch weit entfernt war.

Charles Bukowski wusste wohl damals schon, dass er sich ein Leben lang als Außenseiter durchschlagen muss. Nach weiteren McJobs als Tankwart, Schlachthof- und Hafenarbeiter (und natürlich als Postmann) starb Bukowski am 9. März 1994 in San Pedro/LA.

Charles Bukowski

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Roman

dtv Allgemeine Belletristik
Aus dem amerikanischen Englisch von Carl Weissner
2007, 352 Seiten, Softcover

ISBN 978-3-423-20963-2
10,95 EURO

dtv


Genre: Autobiografie, Roman
Illustrated by dtv München

Trotz alledem

Trotz alledem von Hannes Wader

Liedermacher Hannes Wader beginnt seine umfangreiche Lebensgeschichte mit einer charmanten Flunkerei: Er schreibe nicht gern! Wer das wirklich glaubt, kennt Wader schlecht. Denn tatsächlich verdichtet der Meister seit mehr als einem halben Jahrhundert sein Leben und seine Erfahrungen in Songtexten, die Generationen berühren. Und anhand eben dieser Liedtexte bannt Wader sein ungewöhnliches Leben auf 591 mitreißende Seiten. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Memoiren
Illustrated by Penguin

Herkunft

Mit Oma im Drachenhort

Der vom Feuilleton als Shootingstar gefeierte Schriftsteller Saša Stanišić hat mit «Herkunft» gerade seinen vierten Prosaband veröffentlicht. Es ist eine fiktionale Autobiografie des 1992 mit seiner muslimischen Mutter wegen des Balkankriegs aus Bosnien geflüchteten und in Heidelberg gelandeten, damals 14jährigen Migranten. Der in seinem Buch zu Recht die verblüffende Feststellung macht, würde jemand die gleiche Flucht nach Deutschland heutzutage antreten, wäre sie spätestens am Stacheldraht der Grenze zu Ungarn beendet. Neben der alles überlagernden Problematik der Migration wird in dieser unermüdlichen Spurensuche Heimat, Familie, Sprache, Fremdsein, Altwerden thematisiert, wobei dem Sammeln und kritischen Bewerten von Erinnerungen vom Autor gleichberechtigt das Erfinden und Ausschmücken derselben als fiktionales Pendant gegenüber gestellt ist.

Der Idylle einer vom Bombenkrieg verschonten Altstadt in Heidelberg mit dem berühmten Schloss als Touristen-Attraktion steht die bescheidene Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Emmertsgrund gegenüber, wo die dümmlichen Vorurteile der Einheimischen den Migranten gegenüber bis heute andauern, wie man aktuell der Presse entnehmen kann. Die Mutter, eine Politologin, muss in einer Wäscherei arbeiten, der seiner Familie nachgereiste Vater, Betriebswirt von Beruf, verlegt Rohre auf einer Großbaustelle und ruiniert sich seinen Rücken dabei. Neben der demütigenden Arbeit weit unter Niveau und der prekären finanziellen Situation bedeutet die permanente Angst vor Abschiebung eine schwere Last für die Familie. Nach dem Abitur hat der Sohn das Glück, an einen verständigen Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde zu geraten, der ihm aufgrund seiner Immatrikulation an der Uni ein Bleiberecht einräumt. Und während seine Eltern irgendwann tatsächlich nach Bosnien abgeschoben werden, kann er später den zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erforderlichen Einkommensnachweis durch den finanziellen Ertrag seiner ersten Buchveröffentlichungen erbringen.

In stetem Wechsel und mit großen Zeitsprüngen erzählt Saša Stanišić in ultrakurzen Kapiteln von seiner neuen und von der alten Heimat, berichtet humorvoll von vielen Besuchen dort. Seine Kindheit in Višegrad, jenem kleinen Städtchen, dem sein berühmter Kollege Ivo Andrić, Nobelpreisträger von 1961, mit dem Roman «Die Brücke über die Drina» ein grandioses literarisches Denkmal gesetzt hat, war geprägt von der innigen Beziehung zu seiner Großmutter. Sie hat ihm später dann einerseits viele Geschichten erzählt für seine Herkunftsforschung, verliert andererseits aber wegen ihrer Altersdemenz zunehmend die Erinnerungen, erkennt ihn meist nicht mehr als ihren Enkel und wartet auf die Rückkehr ihres vor zwanzig Jahren verstorbenen Mannes von einer Bergtour.

Auch in diesem Buch brennt der Autor bei seinem beherzten Anschreiben gegen das Vergessen stilistisch geschickt wieder ein Feuerwerk ab an flockigen Begriffen und urkomischen Metaphern in seinen szenisch oszillierenden, Schlag auf Schlag folgenden Kurzkapiteln. Wobei sein vehement vorwärtsdrängender, oft stakkatoartiger Schreibstil dennoch nicht verhindert, dass er sich erzählend immer wieder fast ins Uferlose verliert, «Die Abschweifung ist Modus meines Schreibens» merkt er dazu an. Besonders abschweifend wird es dann, wenn er im nachwortartigen letzten Teil unter dem Titel «Der Drachenhort» die tote Oma ins Jenseits begleitet, in die Drachenwelt der bosnischen Sagen. Ein von überbordender Phantasie beflügelter, mit dutzenden von Sprungmarken gegliederter und trickreich inszenierter Schluss, – mit multiplem Ende auch noch -, zeugt von der unbändigen Fabulierlust des Autors. Die narrative Dominanz der Oma-Geschichte jedoch mit ihren ständigen Wiederholungen ist entschieden zu viel des Guten, es stellt sich schon bald lähmende Langeweile ein, die so manchen Leser zum vorzeitigen Abbruch verleiten dürfte. Shootingstar hin oder her!

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Autobiografie
Illustrated by Luchterhand

Erinnerung eines Mädchens

Weder Fisch noch Fleisch

Die in Frankreich als literarische Legende geltende Annie Ernaux hat mit «Erinnerung eines Mädchens» ihrem überwiegend autobiografischen Œuvre jetzt auch noch die Geschichte ihrer sexuellen Initiation hinzugefügt. Mit der Verarbeitung ihres Lebens hat sie ihr ureigenes Sujet gefunden, in ihrer spezifischen Gedächtnisliteratur verschmelzen Individuelles und Kollektives symbiotisch miteinander.

«Es gibt Menschen, die überwältigt werden von der Gegenwart anderer» lautet der erste Satz in einer Art Vorwort. Gebannt von der Präsenz eines dominanten Mannes wird die knapp 18jährige Annie Duchesne zum willenlosen Opfer ihres «Herrn», den die Autorin, wie auch andere ihrer Figuren, nur mit einem Buchstaben benennt. Das Mädchen, behütetes Einzelkind aus einfachen Verhältnissen, streng katholisch erzogen, steigt am 14. August 1958, von Rouen kommend, aus dem Zug, um als Betreuerin in einem Erholungsheim für Kinder zu arbeiten. Drei Tage später landet sie mit H, dem breitschultrigen Chefbetreuer, während einer wilden Party im Bett. Das erstmals aus der strengen Obhut ihrer Eltern befreite, völlig unerfahrene, naive Mädchen ist fasziniert von dem orgiastischen Treiben und lässt willenlos alles mit sich geschehen. Es gelingt H aber nicht, in sie einzudringen, sie ist total verkrampft, er wendet sich abrupt von ihr ab. Sie stürzt sich daraufhin in wahllose Abenteuer mit anderen Kollegen, ohne dass es dabei aber je zum Vollzug kommt. Diese Zäsur in ihrem Leben wird begleitet von Phasen der Bulimie und Kleptomanie, sie ist völlig aus der Bahn geworfen und wird von ihren Kollegen gnadenlos verhöhnt. Lebenslang begleitet sie nun diese traumatische Erfahrung und die tiefe Scham darüber. Ihre Jungfernschaft verliert sie erst sechs Jahre später bei dem Mann, den sie heiratet, fortan heißt sie Annie Ernaux.

Dieses Buch einer problembeladenen Emanzipation ist eher aus einer soziologischen Perspektive heraus geschrieben als aus einer literarischen, Sentimentalitäten, Tränen womöglich kommen da gar nicht erst auf. Die Autorin hat für ihr absolut eigenständige Werk eine kühne Konstruktion gewählt, indem sie versucht, sich als Autobiografin, aus einem Abstand von mehr als sechzig Jahren schreibend, neben das junge Mädchen von damals zu stellen, quasi parallel aus deren damaliger Perspektive zu erzählen. Dementsprechend wechselt in den fraktionell aufgeteilten Abschnitten immer wieder der Erzähler, wird häufig von der ersten zur dritten Person umgeschaltet, vom «ich» zum «sie». In ihrer narrativen Symbiose von Autobiographie und Chronik will die Autorin keine Interpretationen akzeptieren, nichts glätten. «Ich konstruiere keine Romanfigur. Ich dekonstruiere das Mädchen, das ich gewesen bin». Bei ihrer Suche nach Wahrheit im Erinnerten nutzt Annie Ernaux zur Recherche alle Möglichkeiten der modernen Kommunikation, ohne dass sie der inneren Wahrheit damit auch wirklich nahe kommt.

Ihr Leben ist, wie nicht anders zu erwarten, von früh an literarisch geprägt, das essayistische Buch weist mit seiner üppigen Intertextualität deutlich darauf hin, zitiert zudem auch Spielfilme und Musiktitel. Der Leser erlebt den Prozess des Schreibens unmittelbar mit, er wird zudem sehr direkt mit den Zweifeln am Erinnerten, an den scheinbaren Gewissheiten konfrontiert. Stilistisch nüchtern und präzise geschrieben, wirkt ihr lakonisch anmutender Text ohne jedes Pathos gleichwohl verstörend. Unbehaglich war mir als Leser, dass etliche Ungereimtheiten und andere Zweifel hier ja nicht einfach als Fiktion abgetan werden können, es ist erklärtermaßen alles autobiografisch, also real. Als Mann frage ich mich aber auch, ob geschildertes Gefühlschaos und daraus resultierendes Verhalten denn wirklich Realität gewesen sein können. Ich habe meine Zweifel an diesem Seelenstriptease, aber auch an dieser poststrukturalistischen Literatur. Sie ist weder Fisch noch Fleisch, sie überzeugt mich als psychologische Studie ebenso wenig wie als Belletristik.

Fazit: miserabel

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Autobiografie
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Nur ein Jahr

Geradlinig und ungezwungen erzählt Katja Lukic von der Verwirklichung ihres Traumes, aus ihrem bisherigen Alltag auszusteigen und auf die Suche nach einem anderen Leben zu gehen. Gemeinsam mit ihrer Freundin bricht sie Richtung Süden auf, um als Straßenkünstlerin eine Existenz zu finden. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Biographien
Illustrated by Selbstverlag