Köstlicher Orient

peter-heineDer kulinarische Orient ist in jedem Fall einen Besuch wert und mit vorliegendem Kochbuch “Köstlicher Orient. Eine Geschichte der Esskultur. Mit über 100 Rezepten” noch dazu ein Kinderspiel. Und außerdem: Essen verbindet! Im Sinne einer invented tradition wurde für den Hummus und das Falafel als typisch jüdisches – oder israelisches – Gericht sogar die Thora bemüht, in der von Kichererbsengerichten die Rede sein soll. Der Zionismus hatte nämlich bei der Gründung des Staates Israel die beiden Gerichte als Nationalgerichte definiert, um auch durch diese Speisen Identität für den neuen Staat zu schaffen. Sicherlich hängt das auch damit zusammen, dass es sich um rein vegetarische Gerichte handelt, die keinerlei religionsbedingte Probleme für die beiden größten Bevölkerungsgruppen Israels befürchten ließen. Aber die Reaktionen der nicht-jüdischen Bewohner Israels ließ nicht lange auf sich warten: „Sie haben uns nicht allein unser Land genommen. Nun nehmen sie auch noch unsere Küche.“, soll der syrische Soziologe und Kenner der arabischen Küche Sadiq al-Azm beklagt haben, schreibt Peter Heine in seiner Geschichte der orientalischen Esskultur und veranschaulicht damit deutlich, dass selbst das Essen ideologisch benutzt werden kann – von beiden Seiten!

Khmar oder nabidh?

Das arabische Dorf Abu Gosh soll daraufhin einen Humus in einer Satellitenschüssel von sechs Metern angerichtet haben, in dem 10 452 kg von dem Aufstrich angerührt wurden. Der Libanon wollte damit Israel den Titel des Nationalgerichtes wieder abjagen, aber immerhin kam es auf diese Weise zu keinem Krieg, denn auch dafür sind Kochrezepte gut: sich der gemeinsamen Ursprünge bewusst werden und die Unterschiede zu pflegen. Darauf legt auch der Verfasser des vorliegenden Kochbuches mit vielen Rezepten sehr viel Wert, wenn er schon im Eingangskapitel erklärt, warum auf „Schwein und Wein“ verzichtet wird. Auch das rituelle Schlachten auch als Schächten bekannt wird erklärt und darauf hingewiesen, dass es in manchen europäischen Ländern immer noch verboten ist und die Muslime mancher Länder das halal-Fleisch deswegen importieren müssen. Weniger Einigkeit gibt es da schon beim Wein, denn im Koran steht zwar vom Verbot des Traubenweins (khamr) nichts aber vom Verbot des Dattelweins (nabidh). Außerdem existieren neben diesen beiden Weinen noch 148 weitere Worte resp. Bezeichnungen für Wein, was natürlich automatisch zu religiösen Spitzfindigkeiten führen kann. Aber eigentlich verbiete der Koran ohnehin nur den Rausch und nicht den Alkohol an sich, so Peter Heine. Also auf, auf einen halib al-asad!

Köstlicher Orient: Freundschaft mit Nachbarn

Fastenregeln und Fastenbrechen (Iftar) sowie das muslimische Paradies werden ebenso erklärt wie andere Regeln der orientalischen Küche. So wird im Westen der Ramadan oft falsch verstanden: eigentlich gehe es dabei nämlich darum, „in dem Familienbeziehungen, Nachbarschaften und Freundschaften intensiver gepflegt werden“. Im Verlaufe des vorangegangenen Jahres entstandene Konflikte werden in dieser Zeit durch Besuche beigelegt und mit dem gemeinsamen nächtlichen Fastenbrechen Iftar besiegelt. Eigentlich eine schöne Tradition, oder? Die vorliegende Publikation des Wagenbach Verlages ist in einem besonders schönen Umschlag auf Leinen gedruckt verpackt, damit etwaige Kochflecken auch schnell wieder abgewischt werden können. 1500 Jahre orientalische Küche und Essgewohnheiten mit über 100 Rezepten zum Nachkochen, genießen Sie mit Peter Heines Anleitung Falafel, Hummus und Döner, Couscous, Dolma und Marzipan und viele andere Köstlichkeiten des Orients.

Peter Heine

Köstlicher Orient

Eine Geschichte der Esskultur. Mit über 100 Rezepten

Sachbuch. 2016

240 Seiten. 16 x 24 cm. Bedrucktes Leinen

Zweifarbig gedruckt und mit sehr vielen Abbildungen

29,90 €

ISBN 978-3-8031-3661-9

Verlag Klaus Wagenbach


Genre: Kulturgeschichte, Ratgeber, Volkskunde und Brauchtum
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Englische Exzentriker

Das Buch der schon selbst zu den Exzentrikern der britischen Literaturszene zählenden Dame Edith Sitwell sammelt Charakterbilder ungewöhnlicher Männer und Frauen, die sich auf die eine oder andere Weise in ihrer Exzentrizität hervorgetan haben. Dabei legt die exakte Beobachterin kein »humoriges« Werk vor, sie analysiert vielmehr scharfzüngig die verschiedenen Spezies britischer Exzentriker.

Exzentrik, so die Überzeugung Sitwells, kommt vor allem in England vor, weil dort eine spezifische Einsicht in die eigene Unfehlbarkeit Kennzeichen und Geburtsrecht der Eingeborenen ist. Dabei nimmt diese Entschiedenheit, ein Leben auszuformen und auf die Spitze zu treiben, vielfältigste Formen an und kann sich durchaus zur malerischen Vollkommenheit ausbilden.

Die »Bank-Nonne« Sarah Whitehead, die dreißig Jahre lang in einem Bankgebäude herumzulungerte, um ihren längst verstorbenen Bruder abzuholen, der dort tätig war und die sich bald dazu verstieg, öffentlich die Bank zu beschimpfen, weil sie vermeintlich um ein gewaltiges Vermögen gebracht werde, ist einer dieser sonderbaren Charaktere. Sitwell erzählt aber auch die Geschichte britischer Landadeliger, die – der Ruinenmode ihrer Zeit gemäß – Refugien in ihren Parks errichteten ließen, um sich dort Eremiten zur Zierde zu halten, die dort gegen entsprechendes Entgeld in schweigsamer Einsamkeit hausen sollten. Sie schildert einen komischen Kauz namens Jimmy Hirst, deer sich vorausschauend einen Sarg nach eigenem Gusto bauen ließ, der vorerst im Speisezimmer als Tisch, Büffet und Bar diente. Statt zu Pferde ritt Hirst auf einem Bullen zur Jagd, stolzierte in einer schimmernden Weste aus Federn eines Enterichs auf der Rennbahn umher und bezahlte seine Wettschulden mit selbstgefertigten Banknoten.

Sitwells großer historischer Rückblick auf die verschiedenen Spezies britischer Sonderlinge bedient sich einer entsprechend angemessenen exzentrischen Sprache, die äusserst ausgefeilt fast pfauengleich paradiert und nicht ganz leicht zu lesen ist. Wer lediglich ein lustiges Büchlein erwartet, der wird schlecht bedient; wer hingegen die ganz eigene Handschrift einer hochgebildeten Autorin, die sich mit dem Thema identifiziert – sie selbst wurde als höchst eigenwillig gekleideter Vogel mit dem Schnabel einer Harpyie beschrieben –, der wird diesem schlanken Band viel Freude abgewinnen.


Genre: Kulturgeschichte
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Die souveräne Leserin

Zufällig besucht die Queen einen Bücherbus, der vor ihrer Palastküche parkt und lernt dort Norman Seakins kennen, einen lesehungrigen Küchenjungen. Angetan von seiner Begeisterung für Literatur befreit sie ihn vom Tellerwaschen und ernennt ihn zu ihrem persönlichen Amanuensis. Als literarischer Assistent bekommt der karottenköpfige Junge einen Stuhl nahe dem Büro der Queen und verbringt seine Zeit zwischen der Erledigung kleiner Aufträge mit Lesen.

Angeregt durch die Zufallsbekanntschaft liest die Queen immer mehr und verliert schnell ihr Interesse an höfischen Pflichten. Das stößt auf den Widerstand ihres Hofstaates, der meint, Lesen zähle nicht zu den Kernkompetenzen einer Monarchin und sei lediglich Zeitvertreib. Die Königin liest fortan, weil sie sich zu ergründen verpflichtet sieht, »wie die Menschen sind«. Im Umgang mit Büchern fühlt sie sich als Gleiche unter Gleichen, denn Bücher buckeln nicht und verhalten sich republikanisch gegenüber ihren Lesern.

Ihre Leselust wird zum Lesefrust ihrer Umgebung, die ungern mit Gewohnheiten bricht. Künftig fragt sie nämlich jeden, dem sie Audienz gewährt, was er denn gerade lese und will sich außerdem mit Staatsgästen über Literatur unterhalten. Ihre Begeisterung für ihr neues Hobby wird zur Besessenheit, und ihren offiziellen Verpflichtungen kommt die Monarchin nur noch mit sichtbarem Unwillen nach: »Grundsteine werden weniger schwungvoll gelegt; die wenigen Schiffe, die noch zu taufen waren, sandte sie mit kaum mehr Zeremoniell auf hohe See hinaus, als man ein Spielzeugboot auf den Teich setzt, denn immer wartete ein Buch auf sie.«

Schon bringen ihr Besucher Bücher statt Blumen mit, im schlimmsten Falle sogar selbst verfasste. Und die Queen liest weiter, sie hat den Eindruck, etwas versäumt zu haben, weil sie erst im Alter das Lesevergnügen entdeckte. Bald will sie die Verfasser der vielen interessanten Bücher persönlich kennen lernen und lädt sie in ihren Palast. Doch dabei stellt sie fest, dass Schriftsteller ebenso sehr Phantasiefiguren ihrer Leser sind wie ihre Romanhelden und belässt es darauf beim Lesen. Schließlich überlegt sie, statt der üblichen Weihnachtsansprache im Fernsehen an ihre Untertanen, ein Gedicht von Thomas Harding vorzulesen.

Um sie wieder auf den »richtigen« Weg zu bringen, wird Norman von den Hofschranzen an eine Universität versetzt, wo er ein Literaturstudium beginnt. Seine ehemalige Arbeitsgeberin vermisst ihn zwar, erfährt aber nichts von der plötzlichen Wende in seinem Leben. In Ermangelung ihres literarischen Gesprächspartners beginnt sie, ihre Gedanken zu Papier zu bringen und Notizbücher zu füllen. Nun denkt sie ernsthaft darüber nach, selbst zu schreiben … doch ob das einer Monarchin geziemt?

Alan Bennett schildert in seiner Novelle, wie Lesen Menschen beeinflussen und verändern kann. Er beweist diese These ironischerweise am – natürlich fiktiven – Beispiel der Queen, von der außer repräsentativem Winken kaum Neigungen bekannt sind. Mit seiner Erzählung, die in einer unerwartet konsequenten Wendung mündet, macht er die Monarchin menschlich und liebenswert. So leistet er neben der Aufgabe, schreibend für das Lesen zu werben, gleichzeitig seinen Beitrag als britischer Untertan, seine Königin liebenswert zu machen, indem sie sich vom Souverän zur souveränen Leserin entwickelt.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Der Reiher

Dieser Roman schildert den letzten Tag im Leben von Edgardo Limentani, einem jüdischen Rechtsanwalt und Landbesitzer aus der oberitalienischen Stadt Ferrara. Limentani beschließt an diesem Tag endlich einmal wieder in die Valle, einer südlich des Po-Deltas gelegenen Sumpflandschaft, auf Jagd zu gehen. Limentani fährt in die Sümpfe, legt dabei einen Stopp ein, führt ein Gespräch mit dem Gasthauswirt Bellagamba und unternimmt einen Versuch, sich mit seinem Cousin Ulderico zu verabreden. Auf der Rückfahrt verschenkt Limentani die gesamte Jagdbeute, die obendrein gänzlich von seinem Jagdhelfer erlegt wurde. Er ruht sich im Gasthaus von Bellagamba aus, bevor er in sein Haus zurückkehrt, um sich dort in sein Zimmer zurückzuziehen. Für immer.

So wenig in „Der Reiher“ äußerlich geschieht, so intensiv wird die Lektüre durch das, was sich in Edgardo Limentani und durch das, was mit ihm geschieht. An das Ende dieses 152 Seiten umfassenden Romans angelangt, weiß der Leser, dass Edgardo Limentani beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Im Alter von 45 Jahren. So wenig, wie offensichtlich an diesem Tag geschehen ist und den der Autor Giorgio Bassani so eindringlich zu schildern vermag, so schwer wiegt für Limentani diese Gleichförmigkeit und von Banalitäten strotzende Handlung. Neben der Hauptfigur Limentani wird Bassanis Geschichte von wenigen Personen bevölkert. Der Inhaber eines Gasthauses mit Zimmern, namens Bellagamba, der Jagdhelfer, der in den Sümpfen Edgardo Limentani nicht nur führt und hilft, sondern eigentlich allein für die Jagdausbeute sorgt sowie Ulderico, der Cousin des Landbesitzers spielen eine Rolle. Und die Zeit, in der diese Geschichte spielt: Wenige Monate nach dem Ende des italienischen Faschismus und der Kapitulation Nazi-Deutschlands.
Bellagamba ist ein Faschist der ersten Stunde und begegnet Limentani fast unbefangen. Sein Cousin hatte Mussolini ebenso begeistert zugejubelt, wie er sich nun mit dem neuen, demokratischen System, arrangiert. Sein Jagdhelfer zeigt ihm eine Zielstrebigkeit in der Jagd, die ihm vor lauter grüblerischer Selbstbefragung abgeht. Kurz nach dem Ende des Faschismus, nach Krieg und Holocaust kann ein Tag so banal sein, als ob eigentlich nichts geschehen wäre. Giorgio Bassani, einer der Großen der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts, wurde oft als einer der „leisesten Schriftsteller Europas“ bezeichnet. Tatsächlich erzählt Bassani in seinen Romanen und Erzählungen in einer Beiläufigkeit vom Leben der Menschen in seiner Heimatstadt Ferrara, die durchaus etwas atemberaubendes hat. Bassani beschreibt eine über jahrhunderte entstandene, einmalige, scheinbar voll assimilierte Kultur des Judentums in Ferrara. Das Wissen darüber, dass es wenig bedurfte, um das zu Negieren und dass diese Kultur mit dem Holocaust unwiederbringlich untergegangen ist, bewirkt eine Intensität dieser Erzählungen, die literarisch ihresgleichen sucht.
Alfred Andersch formulierte schon 1968: „Die Größe Bassanis kann daran erkannt werden, dass der Leser seiner Bücher sich der Stadt Ferrara nicht mehr als Tourist nähern kann, weder als naiver noch als kenntnisreicher. Ferrara wird ihn in erster Linie als Schauplatz der Erzählungen Bassanis interessieren.“


Genre: Belletristik
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Italienische Verhältnisse

Von wegen “bella figura”

„(…)Mit Hilfe seiner Zeitungen, seiner Fernsehstationen, seiner Abgeordneten (er hatte nämlich eine Partei gegründet) entfesselte der Cavaliere eine wilde Kampagne gegen die Staatsanwälte, die gegen ihn ermittelten, und bezichtigte sie, ein parteiisches Recht auszuüben. Er selbst bezeichnete sich als politisch Verfolgten.
Er tat so viel und sprach so viel, daß viele Italiener ihm Glauben schenkten.
Dann, eines Tages, geschah, was allen widerfährt: er starb. Im Jenseits wurde er in ein schmuckloses Zimmer geführt. Dort stand ein wackliger Tisch, hinter dem auf einem Strohstuhl ein heruntergekommenes Männlein saß.
„Du bist der Cavaliere?“ fragte das Männlein. „Mit Verlaub“, sagte der Cavaliere verwirrt durch diesen vertrauten Ton. „Sagen Sie mir zuerst einmal, wer Sie sind.“ „Ich bin der Höchste Richter“, sagte das Männlein leise. „Und ich lehne Sie ab!“ schrie der Cavaliere umgehend, der zwar sein gesamtes Haar, sein Fleisch, seine Knochen verloren hatte, nicht aber sein Laster.“

Wer da als „Cavaliere“ daherkommt, ist niemand anderer als der zweifache Ministerpräsident Italiens, Medienmoguls und notorische Gerichtsbeschimpfer und nun bald wieder-Ministerpräsident Italiens, Silvio Berlusconi. Der Autor dieser oben zitierten Zeilen wiederum niemand geringeres als der derzeit wohl berühmteste, lebende Autor Italiens, Andrea Camilleri.
Dem deutschen Lesepublikum ist Camilleri vor allem als Schöpfer des überaus beliebten „Commissario Montalbano“ bekannt, jener Kriminalromane, die Sizilien auf unnachahmliche Weise in ein Licht stellen, dass zumindest partiell nicht von Mafia und anderen Furchtbarkeiten dominiert wird.
Andrea Camilleri gehört aber auch zu den engagiertesten und wortmächtigsten Kritikern Berlusconis. In vielen Ausätzen, Artikeln, Parabeln und Kurzgeschichten, die zumeist in Zeitschriften erscheinen, geißelt er nicht nur die geradezu „schulbübische Dreistigkeit“ des Medienmoguls Berlusconi. Camilleri zeichnet mit seinen Texten auch ein Bild seines Vaterlandes und seiner Landsleute, das zumindest schlaglichtartig in der Lage ist, die mehr als berechtigte Frage zu beantworten, wie es denn sein kann, dass die Bewohner eines der schönsten Länder Europas, in dem Wert gelegt wird auf gute Küche, geschmackvolles Design und eine „bella figura“ so ein Parvenü nun dreimal zum Regierungschef gewählt werden konnte.
Wer die Geschichten in dem hier ohne Vorbehalte empfohlenen, schon 2006 erschienen Band „Italienische Verhältnisse“ von Andrea Camilleri liest, wird ein Panoptikum italienischer Skurrilitäten, Lebensentwürfe, Verhaltensweisen und Realitäten vor Augen geführt bekommen. In dieser bunten Vielfalt, zum Teil liebenswerten Skurrilität aber auch in der Widersprüchlichkeit liegt der Schlüssel zum Verständnis. Italien ist das Land, in dem die Zitronen blühen. Italien ist aber auch das Land, in dem Senatoren im Parlament Schampusflaschen köpfen, weil der politische Gegner eine Abstimmungsniederlage erlitten hat oder auch schon mal nicht sprichwörtlich, sondern im Wortsinne handgreiflich werden.

In dem Taschenbuch, das im Wagenbach-Verlag erschienen ist, werden insgesamt 22 Texte Camilleris, sortiert in vier Kapitel, dem deutschen Publikum erstmals in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht. Ein Text mit den Lebensdaten Camilleris, Anmerkungen zu Namen und Fakten, die in den Texten eine Schlüsselrolle spielen, sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis helfen, dem Text-Verständnis auch noch eine politisch-historische Einordnung hinzuzufügen.


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch

Als Manuel Vazquez Montalban 2003 unerwartet starb, hinterließ er nicht nur die in Deutschland recht bekannte Reihe von Kriminalgeschichten rund um den katalanischen Privatdetektiv Pepe Carvallo. Sein Oeuvre ist geradezu ausufernd. Es umfasst Romane, Kurgeschichten, Erzählungen, Essays und politische Kommentare. Davon sind in Deutschland seine wichtigsten Romane und Geschichten übersetzt und bekannt. Vieles aber gilt es noch zu entdecken. Dafür bedarf es der Entscheidung seiner deutschen Verlage, Wagenbach und Piper, diese auch dem deutschen Publikum bekannt zu machen.

Immerhin hat nun der Wagenbach-Verlag eine der schönsten Geschichten von Vazquez Montalban wieder auf den Markt gebracht. Das Buch, von dem hier die Rede ist, erschien erstmals 1997 in deutscher Sprache (in der wunderschönen SALTO-Reihe des Wagenbach Verlages), war nach nicht allzulanger Zeit ausverkauft und bis vor kurzem nur noch antiquarisch zu bekommen. Wie dem auch sei. Seien wir froh darüber, dass wir es nun an dieser Stelle wärmstens der geneigten Leserin und dem neugierigen Leser empfehlen können, denn sie können dieses Buch wieder in Ihrer Buchhandlung bekommen.

Die Erzählung führt uns einen »Weihbischof im Wartestand«, wie der Autor so schön formuliert, vor Augen. Und dieser Ex-Geistliche findet sich selbst in eine mehr als unangenehme Situation versetzt, nämlich in die Rolle des Robinson, des Schiffbrüchigen. Kein »Freitag« ist weit und breit zu finden und auch die praktischen Kenntnisse, mittels derer sich auf einer einsamen Insel das Überleben organisieren ließe, fehlen dem Segelbootbegeisterten Ex-Bischof. Das macht die Situation für ihn kompliziert, für den Leser umso interessanter. Wenn dem Schiffbrüchigen auch technische Kenntnisse fehlen, so ist doch seine kulinarische und literarische Bildung umso profunder. Und nichts animiert das kulinarische Gedächtnis so sehr, wie eine solche Situation: gestrandet, Durst, Hunger und kein Restaurant in Sicht. Noch nicht einmal Notproviant ist vorhanden. Was sich derweil am Horizont abzeichnet, ist eine im Meer treibende, sich der Insel nähernde Kiste Stockfisch. Und nun wird man lesend staunen, was dem gestrandeten Genießer so alles in das Gedächtnis kommt angesichts dieser Kiste Stockfisch.

Manuel Vazquez Montalban präsentiert mit dieser Geschichte eines seiner unterhaltsamsten Werke. Lesefreude pur.


Genre: Romane
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin