Der glückliche Horizont: Was uns Landschaft bedeutet

Dieses Buch Der glückliche Horizont: Was uns Landschaft bedeutet lese ich seit vielen Monaten mit wachsender Begeisterung: Es kommt mit einem breiten Wissen daher, mit vielschichtigen Beobachtungen und Reflexionen, immer neuen Aspekten, es ist kein Buch zum Auslesen. Die Kolumnen der Autorin über ihren Garten mit seinen vielen Gästen mag ich seit Langem. Nun kommt die Bewunderung für ihre Kenntnisse der Literatur zu Landschaften, in allen Epochen der Literatur, aber auch das naturwissenschaftliche und geschichtliche Wissen.

Wer hat alles zu Gärten geschrieben? Sorgfältig mit Textbeispielen zitiert werden antike Griechen, Shakespeare, Goethe, Schiller, Heine, auch Rosegger und viele mir Unbekannte. Schon im Vorwort werden wir, mit Hilfe von Tucholski auf den „Rhythmus der Landschaft“ hingewiesen, die die Dichter beobachtet, gefühlt und dann beschrieben haben. Und getröstet: „Allen Klagen, sogar allen menschlichen Zerstörungs-Anstrengungen zum Trotz hat die Landschaft um uns herum ihre Seele noch nicht verloren.“

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Genre: Garten, Landschaft
Illustrated by Kunstmann München

Das lachende Baby: Fröhliche Wissenschaft: Was Babys glücklich macht

Der Autor ist Psychologe und forscht zur neuronalen Entwicklung der Babys. Als Wissenschaftler kennt er die einschlägigen Publikationen der letzten Jahrzehnte und belegt seine Aussagen: Die Literaturliste bringt es auf über dreißig der knapp vierhundert Seiten. Es geht ihm nicht um die motorische Entwicklung, sondern um Gedanken und Gefühle der Babys, und: Warum lachen wir Menschen eigentlich? Manchmal erzählt er auch aus dem Nähkästchen, was Wissenschaftler voneinander halten. Laien bezieht er mithilfe des Internets in seine Forschung ein, manche Eltern erzählen von sich und ihren Gefühlen, die die Babys auslösen und geizen nicht mit Beiträgen über die Leistungen ihrer Kinder.

Im Vorwort Was ist so lustig?

wird die Darstellungsweise vorgestellt, die Entwicklung des Lachens bei Kindern wird chronologisch beschrieben: „Letzten Endes soll dieses Buch jedoch das Unmögliche leisten und den wunderbaren Klang eines Babylachens noch zauberhafter machen. Wenn mir das nicht gelingt, suchen Sie sich am besten ein Baby und lassen sie sich von ihm unterhalten.“

An dieser Stelle möchte ich, die Rezensentin, die eigene Entwicklung meiner Wahrnehmung und meines Verstehens von Säuglingen beschreiben. Meine Eltern hatten noch die Bibel der schwarzen Pädagogik von Frau Harrer: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ im Schrank, auch als ich in den siebziger Jahren Kinderärztin wurde, und bald auch Mutter, wurde den Müttern in Entbindungskliniken das Füttern zu festen Zeiten, mit festen Mengen und auch Fertigmilchproben mit auf den Weg gegeben.

Wenn ich in dieser Zeit die Kampagne „Nestlé tötet Babys“ unterstützte, dann hatte ich die körperliche Entwicklung im Auge: Gerade in Entwicklungsländern war die hohe Säuglingssterblichkeit auch dadurch bedingt, dass hygienische und oft auch finanzielle Mängel dazu führten, dass Flaschenkinder verhungerten oder an Durchfall starben.

Als ich dann mehrere Jahre in Afrika arbeitete, begriff ich, wie viel mehr Fürsorge afrikanische Kinder erfahren durften, auch, welche emotionale Bedeutung das Stillen hat. Mehr noch: Die Kinder hatten kein Gitterbettchen, in das sie abgelegt wurden zum Schlafen, sondern schliefen ein, wo sie gerade saßen, meist war es irgendein Schoß bei Menschen, die mit ihnen in Kontakt waren. Ich ahnte, wie falsch, ja schädlich, viele unserer kinderärztlich begründeten Weisheiten gewesen waren.

Bei Addyman lese ich nun, wie inzwischen einige der Vorstellungen dieser Zeit, auch die „großer Denker“, widerlegt wurden, und, wie es ihn mit Freude und Genugtuung erfüllt, wenn die Bedeutung des Lachens für unsere Seelen bewiesen wird. Ich freue mich dann immer mit.

Eine Zeit vor dem Lächeln

In diesem Kapitel wird das Wissen über die vorgeburtliche Entwicklung zusammengefasst: Vor allem die 4D Ultraschalldiagnostik zeigt, dass Babys etwa 90 % der Zeit Schlafen, dass sie Lächeln und Schmerzen in ihrem Gesicht ausdrücken. Und nach der Geburt werden Babys beruhigt, wenn sie Melodien wiedererkennen, sie sie noch im Mutterleib gehört hatten.

Alles Gute zum Geburtstag

Hier wird das geburtshilfliche Wissen auf dem neuesten Stand beschrieben, wir lesen, dass Kaiserschnittgeburten die Bindung zwischen Mutter und Kind erschweren. Der vor allem im englischen Schrifttum geführte Streit zwischen nature (angeboren) und nurture (erlernt) wird dargestellt, aber auch, der Unterschied zwischen einem echten und einem erzwungenen Lächeln. Das erstere kommt mit einem Muskel weniger aus! Das echte Lächeln zeigt, dass ein Baby glücklich ist. „Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?“

Die kleinen Vergnügungen

Alle Primatenbabys mögen Süßes und ziehen Grimassen, wenn sie etwas Bitteres bekommen, wir Menschen also auch. Glück stellt sich auch ein beim Pinkeln oder einem „guten Schiss“. In diesem Kapitel werden Definitionen des Glücks von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, auch von Aristoteles und Epikur. Am schlechtesten kommen Ökonomen und Philosophen weg: „Ökonomen und Philosophen machen viel Aufheben um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein.“

Freud hat nicht viel zu Kindern geschrieben, und er hielt das Lachen, wie das Kacken, für Triebabfuhr. Auch die Freudschülerinnen Anna Freud und vor allem Melanie Klein mit einem dystopischen Blick auf die Säuglingszeit werden als Anhängerinnen von Vorurteilen dargestellt.

Schlafen?

Hier wurde mir wieder der Unterschied zu den afrikanischen Dorfkindern deutlich: Säuglinge schlafen oder sie sind eben wach, aber an diesem Wachsein zur gefühlten Unzeit leiden hier die Eltern. Es werden viele Studien zum Träumen vorgestellt: „Die beiden Nutzen des Träumens scheinen Lernen und Glück zu sein“ und die meist sinnlosen Ratgeber zum Schlaftraining. Am besten nimmt man die Schlafgewohnheiten des Babys als Eltern mit Humor und „das Aufwachen als das, was es ist: eine abgeschlossene Schlafperiode.“

Die erste Berührung

Hier wird die von Descartes (ein ganz unglücklicher Eigenbrötler war das! Hatte nicht mal eine Frau!) postulierte Trennung zwischen Körper und Geist auseinandergenommen und zusammengefügt, was zusammengehört. Und für die Kleinen gilt: Massage ist Kommunikation, bevor es Sprache gibt.

Spielzeugfreuden

Spielen ist Lernen, es gibt eine Fülle von Studien nicht nur mit Tieren, auch mit Babys, in denen bewiesen wird, wie etwa das dreidimensionale Sehen, das Abschätzen von Entfernung oder die Tiefen von Abgründen durch andauernde Versuche erlernt werden. Gestaunt habe ich (und so ganz will ich es noch nicht glauben), dass es einen großen Unterschied gäbe zwischen dem passiven Sitzen und Ansehen einer Fernsehsendung und dem aktiven Nutzen eines Smartphones schon bei Kleinkindern.

Wir sehen, wie US-amerikanische Pädiater ihre Empfehlungen dazu in den letzten Jahren schrittweise geändert haben. Eine Studie TABLET (Toddler Attentional Behaviours and Learning with Touchscreens) zeigt, dass sie in allen Entwicklungsschritten gleichauf waren mit denen, die nicht mit Smartphones „lernen“ konnten, und dass sie über mehr Kompetenzen verfügten. Ganz allgemein gilt aber, wie für auch Ernährung oder Sport, es nicht zu übertreiben und Kinder dabei zu begleiten!

Überraschung

Warum spielen die kleinen so gerne Kuckuck und Verstecken? Addyman zieht Vergleiche zwischen der Neugier der Babys und der von Wissenschaftler/innen. Dann werden Wissenschaftstheorien vorgestellt.

Lache, und die Welt lacht mit dir

Bei den Navajos gibt es eine Party, wenn ein Baby zum ersten Mal gelacht hat, so als wäre das Baby nun Teil der menschlichen Gemeinschaft geworden. Zum besseren Verständnis der Rolle des Lachens bei Menschen sehen wir uns wieder die Unterschiede zu Primaten an: Unsere Augen haben mehr Weiß als Hintergrund, und das erleichtert den Blickkontakt. Wir machen keine Fellpflege, aber das Lachen ersetzt diese intensive Beziehungspflege. Am besten gefällt mir als Oma die wichtige Rolle der menschlichen Großmütter bei der Weitergabe von Kultur. Durch das jahrzehntelange Leben nach der eigenen Fortpflanzungsphase können wir uns um die Enkel kümmern. Primatinnen gebären bis zu ihrem Tode. Und wir lesen, dass Väter (oder Großväter) in unserer Geschichte kaum eine Rolle als Kulturübermittler spielen: sie sind ja auf der Jagd!

Der Klang des Glückes

Hier geht es um Musik und Tanz. Am besten sehen sie sich die Videos an, als Addyman mit Imogen Heap eine Oper komponiert und dann auch den Happy Song dazu. Auch hier beeindruckt die partizipative Forschungsweise, mit der Eltern als „Mitarbeiter“ gewonnen werden.

Fröhliches Geplauder

Zur Entwicklung der Sprache gibt es beeindruckende Studien, bei denen Schimpansen unter Laborbedingungen Sprache, auch als Gebärdensprache, beigebracht wurde. Ein für Addyman wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung Noam Chomskys mit den Behavouristen. Und er berichtet, was ihn, den Banker, veranlasst hatte, noch einmal mit dem Psychologiestudium anzufangen.

Ja, Nein, Maybe Baby

Bei der Sprachentwicklung gibt es, über die Kulturen hinaus, Muster. Das Wort „nein“ wird früher erlernt, vielleicht, weil die Babys es von ihren Eltern so oft gehört haben? Zum Trost für manche Eltern: während der Trotzphase entwickelt sich auch die Fähigkeit zur Empathie. In seiner Doktorarbeit ging es um die Fähigkeit der Babys, Unterschiede wahrzunehmen. Was für die 8 Monate alten eine leichte Übung ist, überfordert 4 Monate alte. Und wir erfahren, warum seine Arbeit von der angestrebten Zeitschrift nicht publiziert wurde, zum Glück dann aber in einer für Tierforscher …

Freunde

Babys werden geliebt und sie lieben es, andere zum Lachen zu bringen. Gemeinsames Lachen ist Grundlage für Freundschaften. In diesem Kapitel geht es um die Theory of mind, um Autismus als eine andere Form von Empathie zu zeigen. Babys sind hilfsbereit und haben Sinn für Gerechtigkeit. Wie haben wir Erwachsene unsere Freundschaften geschlossen? Das letzte Kapitel endet mit einem Schlusswort: „Freundschaft macht uns glücklich, und Glück bewirkt, dass wir bessere Freunde sind. Freunde sind für uns da, weil wir für sie da sind und das beginnt, sobald wir lächeln können.“


Genre: Pädagogik, Psychologie
Illustrated by Kunstmann München

Die Intelligenz der Pflanzen

Die Intelligenz der Pflanzen

Auf das Buch Die Intelligenz der Pflanzen von Stefano Mancuso und Alessandra Viola stieß ich über ein Interview im ZEIT Magazin (13/2018) mit Stefano Mancuso. Es gefiel mir so gut, dass ich ein Buch von ihm in meinem Blog besprechen wollte.

Als gutes Geschenk für naturliebende Menschen jenseits der Vierzig kommt natürlich mein Gartenbuch Blütenfreuden in Frage. Aber wer noch etwas für Teenager oder Jugendliche sucht, ist bei diesem Buch gut beraten.

Seit einigen Jahren schreibe ich für die sozial- und gesundheitswissenschaftliche Plattform Socialnet Rezensionen mit dem Ziel, mich dazu zu bringen, neue Bücher bis zu Ende zu lesen und das Gelesene schriftlich zusammenzufassen. Also eine Art Hirnjogging für Wissenschaftlerinnen in Rente. Selten gibt es in neuen Büchern Offenbarungen wie in diesem, deshalb muss ich davon berichten!

Stefano Mancuso ist seit 2001 Professor für Botanik an der Universität Florenz. Er gründete dort das Laboratorio Internazionale di Neurobiologica Vegetale. Dass er es mit der Journalistin Alessandra Viola verfasst, trägt sicher zu der guten Lesbarkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei. In der Einleitung wird vorgestellt, was in den fünf Kapiteln bearbeitet wird:

  • Die Wurzeln des Problems
  • Die Pflanze, das unbekannte Wesen
  • Die Sinne der Pflanzen
  • Die pflanzliche Kommunikation
  • Die Intelligenz der Pflanzen

Hinten im Buch finden sich ausführliche Literaturhinweise, die zu jedem Kapitel aufgeführt sind. Das Geschriebene wird durch sehr schöne Bildtafeln illustriert. Ihr könnt diese in der Leseprobe unter dem Beitrag entdecken.

Das Buch gibt den aktuellen Stand der botanischen Forschung wieder. Wenn ich das Buch besonders für junge Menschen empfehle, denke ich an die vorbildlich wissenschaftliche Vorgehensweise, Studien untermauern das Gesagte. Im Literaturteil werden nicht nur Quellen angeboten, sondern auch Abstracts wiedergegeben. Ein guter Einstieg in wissenschaftliches Arbeiten! Dies hebt sich ab vom derzeitigen Bestseller: “Das geheime Leben der Bäume – was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt“ wo Bäume vermenschlicht werden und es an wissenschaftlichen Belegen mangelt. Wer sich dafür interessiert kann im Internet verfolgen, wie manche Naturwissenschaftler gegen Herrn Wohlleben argumentieren.

Dabei bleibt es aber nie trocken, manchmal geht Mancuso auch das Herz für Pflanzen über. Solche Stellen gefallen mir besonders, geht es mir doch mit meinen Pflanzen auch so. Deshalb lasse ich ihn sprechen: “Wieso sind wir überhaupt so felsenfest überzeugt, dass ihre manipulatorischen Fähigkeiten nicht auch auf uns zielen und Blüten, Früchte, Düfte Geschmacksnoten, Aromen und Farben nicht uns gefallen sollen? Könnte es nicht sein, dass sie vor allem uns beeindrucken wollen, damit wir sie als Gegenleistung weltweit verbreiten, sie hegen, pflegen und schützen? Wäre es nicht möglich, dass sie für uns ihren Duft, ihre wunderbaren Formen und Farben hervorbringen, die schon so viele Künstler inspiriert haben und mit denen sie uns erfreuen? Schließlich tut niemand etwas umsonst, und manche Arten können sich wirklich keinen besseren Verbündeten wünschen als uns.”

Die Wurzeln des Problems

Hier erkennen wir, wogegen ein Pflanzenlobbyist ankämpfen muss: Pflanzen sind die ewigen Zweiten. Mancuso holt weit aus und bringt Beispiele für die notorische Geringschätzung der Pflanzen in allen möglichen Bereichen wie beispielsweise Philosophie und Religion. Kleinere Naturvölker bilden hier eine Ausnahme, indem sie Pflanzen als Heilige anbeten. „Es konnten sich noch so viele Stimmen erheben, die anhand wissenschaftlicher Experimente die Intelligenz der Pflanzen belegten, stets fanden sich noch mehr Stimmen, die der These widersprachen. Als gäbe es eine stille Übereinkunst, haben Religionen, Literatur, Philosophie und moderne Wissenschaft in der westlichen Welt an der Verbreitung der Vorstellung mitgewirkt, Pflanzen seinen niedrigere Lebewesen als andere – von Intelligenz ganz zu schweigen,“ schreibt er.

Ausführlich werden die „Väter der Botanik“, Linné und Darwin, mit ihren Abhandlungen erwähnt. Linné „bestimmte die Fortpflanzungsorgane und das Sexualsystem der Pflanzen als grundlegendes Kriterium seiner Taxonomie — was ihm kurioserweise zugleich einen Universitätslehrstuhl und eine Verurteilung wegen Unmoral einbrachte.“

Darwin forschte überwiegend über Pflanzen und gab 1875 eine Abhandlung zu „Insectenfressenden Pflanzen“ heraus. Mancuso legt den Gedanken nahe, er hätte mit dem breiten Wissen zu Pflanzen die Grundlagen für sein Lebenswerk über den Ursprung der Arten geschaffen. Vor allem im Alter widmete er den Pflanzen seine Aufmerksamkeit, schrieb 1880 „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ und bezeichnete Pflanzen als „die außergewöhnlichsten Lebewesen, die ihm je begegnet seien.“ Sein Sohn Frances führte sein Werk weiter und wurde der erste Professor für Pflanzenphysiologie.

Er löste 1908, wie zuvor sein Vater, einen heftigen Expertenstreit aus, als er sagte: „Pflanzen sind intelligente Lebewesen.“ Das Kapitel fasst Mancuso so zusammen: „Ein ganzes Reich, das Pflanzenreich, wird völlig unterschätzt, obwohl unser Überleben und unsere Zukunft auf der Erde genau davon abhängen.“

Die Pflanze, das unbekannte Wesen

In diesem Kapitel werden die in der Wissenschaft inzwischen unbestrittenen Unterschiede zwischen Pflanze und Tier wie bei einem Wettstreit bearbeitet. Ausgehend von je einem pflanzlichen und tierischen Einzeller werden ihre Merkmale benannt. Vieles ist gleichwertig, aber die Pflanzenzelle beherrscht die Fotosynthese, kann also Sonnenlicht in Energie umwandeln und ist somit „kampflos Sieger.“ Tiere haben in der Entwicklung andere Wege eingeschlagen. Während Pflanzen sesshaft wurden, wurden sie Nomaden. Dies wurde zum Ausgang einer erstaunlichen Differenzierung und Spezialisierung ihrer Zellen. Bei Gefahr können Tiere sich durch Flucht vor einem Feind retten, die Pflanze nicht.

So konnten Tiere verschiedene Organe mit spezifischen Fähigkeiten bilden, die Pflanzen mussten in jedem Pflanzenteil diese Spezialitäten unterbringen. Sie sind modular aufgebaut. Auch wenn 95 Prozent der Pflanze verloren gehen, kann sie sich regenerieren, während Tiere schon das Fehlen eines Organsystems nicht überleben.
Ein anderer Faktor ist die Zeit: unsere menschliche Wahrnehmung erlaubt uns nicht, Bewegungen der Pflanze wahrzunehmen. Obwohl diese alltäglich sind, scheinen sie unsichtbar. Videos mit sich öffnenden Blüten sind ein Hit! Viele Pflanzen leben viel länger als wir. Sie stellen weltweit 99,5 Prozent der Biomasse dar, alle Tiere zusammen 0,1 bis 0,5 Prozent. Unsere Energieträger sind allesamt von Pflanzen eingelagerte Sonnenenergie. Wie kommt es dann, dass wir die Bedeutung so unterschätzen?

Mancuso stellt eine (nicht belegbare) Hypothese auf, wir Menschen werden mit Pubertierenden verglichen, die sich von der Abhängigkeit von ihren Eltern befreien wollen. „Unsere Abhängigkeit von den Pflanzen ist so allumfassend, dass wir sie am liebsten vollständig verdrängen möchten. Wahrscheinlich wollen wir nicht daran erinnert werden, weil schon allein der Gedanke Ohnmachtsgefühle in uns auslöst. Von wegen Herrscher der Welt!“

Das Kapitel schließt dann wieder mit Erkenntnissen, die wissenschaftlich belegt sind, über die positiven Wirkungen, die schon allein der Anblick von Pflanzen auf Konzentration, Lernerfolg und allgemeines Wohlbefinden hat.

Die Sinne der Pflanzen

Zuerst werden die Sinne beschrieben, über die wir Menschen auch verfügen: Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen, Hören, danach noch weitere Fähigkeiten der Pflanzen. Anders als bei Tieren, sind nicht einzelne Zellen spezialisiert, sondern Fähigkeiten überall untergebracht. Beim Riechen produzieren die Pflanzen BVOC (Biogenic Volatile Organic Compounds, biogene flüchtige Verbindungen) und nehmen die von anderen mit Geruchsrezeptoren wahr. Geschmeckt wird mit Hilfe der Wurzeln, die im Boden nach Nährstoffen suchen.

Ausführlich werden fleischfressende Pflanzen beschrieben, auch der jahrhundertelange Gang zu den heutigen Erkenntnissen: Pflanzen, die in stickstoffarmen Gegenden wachsen, locken Tiere (nicht nur Insekten!) an, fassen und verdauen sie. Ein Baum, die Pawlonia tormentosa, fängt sie mit ihren klebrigen Blättern und nimmt den wertvollen Stickstoff nach dem Zersetzungsprozess mit den Wurzeln auf. Eine Veilchenart hat unterirdische Blätter entwickelt, mit denen sie Würmer aus der Erde aufnimmt und verdaut.

Am meisten fühlen die Pflanzen mit ihren Wurzeln, aber auch mit den oberirdischen Anteilen. Dies wird an Hand von Rankepflanzen erläutert, die aus dem Schatten großer Bäume dem Licht entgegen wachsen. Hören können Pflanzen, indem sie Schallschwingungen wahrnehmen, und offenbar auch erzeugen können, Letzteres wird noch erforscht. In einem Projekt mit der Firma Bose wurden Weinstöcke über einige Jahre regelmäßig beschallt und sie trugen nicht nur mehr, sondern auch bessere Früchte. Das Kapitel schließt mit den Hinweisen auf die Herstellung medizinisch wirksamer Produkte, aber auch die Fähigkeit, Schadstoffe abzubauen.

Die pflanzliche Kommunikation

Worüber könnten Pflanzen kommunizieren? Und mit wem? Intern findet der Austausch zwischen Wurzeln und Blättern statt. Wenn die Wurzeln spüren, dass Wasser knapp wird, teilen sie den Blättern mit: weniger Wasser verdunsten! Blätter haben die Aufgabe, ihren Mund weit zu öffnen, um Licht für die Fotosynthese und Kohlendioxid für die Zuckerproduktion aufzunehmen. Dabei verdunstet über den Mund Wasser. Um Wasser zu sparen, muss er geschlossen werden, auch wenn dann weniger Licht und Kohlendioxid aufgenommen werden können.

Für die Informationsweiterleitung arbeiten Pflanzen mit hydraulischen und chemischen Systemen. Auch elektrische Signale fließen über das komplexe Gefäßsystem. „Während Tiere alle Signale über ein zentrales Gehirn verarbeiten, besitzen die modular und repetitiv aufgebauten Pflanzen zahlreiche ‚Datenverarbeitungszentren‘, die unterschiedliche Signale verwalten.“ Sie können nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit anderen Wesen kommunizieren. Meist geht es über chemische Botenstoffe, aber es scheint so, als wenn sie „auch gestisch“ kommunizierten, jedenfalls vermeiden manche Pflanzen geflissentlich die Berührung anderer Baumkronen.

Die Wurzeln sichern sich ihr Terrain, indem sie es besetzen. „Dabei sind Pflanzen echte Kämpfernaturen!“ Wenn sie allerdings erkennen, dass der Nachbar zur Familie gehört, dann können sie sie sich auf das Laubwerk konzentrieren und es wird buschiger. Pflanzen gehen Verbindungen nicht nur mit Ihresgleichen, sondern auch mit Pilzen oder Bakterien ein. Hier zeigt Mancuso auf, wie es durch Förderung dieser Symbiosen zu ertragreicheren Ernten kommen kann.

In diesem Kapitel gibt es einen Grundkurs in Botanik: Um die Kreativität der Lösungen zu ermessen, die Pflanzen zu ihrer Fortpflanzung einsetzen, wiederholt er erst alles über deren Geschlechtsorgane. Und wir lernen von der Fülle an Strategien, wie Pflanzen Boten für ihre Samen einsetzen, vor allem Insekten, aber auch Vögel, Fische, Mäuse, große Tiere oder der Wind sind ihre Kuriere. Sie alle werden mit Lockstoffen umworben, die extra für sie entwickelt wurden, um sie zu manipulieren. Manche Pflanzen, wie die Orchideen, gehen dabei nicht nur raffiniert, sondern auch rücksichtslos gegen ihre Boten vor.

Die Intelligenz der Pflanzen

Hier wird Mancuso wieder allgemein, was ist eigentlich Intelligenz? Er definiert Intelligenz als Fähigkeit zur Problemlösung. Dazu sind Pflanzen eindeutig in der Lage, auch wenn sie nicht über ein Gehirn verfügen. Pflanzen sind eher wie eine Kolonie aufgebaut, als wie ein Individuum.

Noch einmal werden Darwins Forschungen und die Bewegungen der Pflanzen und die ablehnenden Reaktionen der Wissenschaftler, die mit ihm lebten, erläutert. Drei Viertel seines Werkes seien dem Wurzelwerk gewidmet und die Ergebnisse neuerer Forschungen bestätigen: an jeder Wurzelspitze sitzt ein Rechenzentrum. Die vielen Millionen Fühler arbeiten wie ein lebendes Web zusammen. Es gibt auch einem Ausflug in die Entwicklung künstlicher Intelligenz und er vergleicht, dass es Menschen solange nicht gelingt, sie zu verstehen wie sie denken, Intelligenz müsse so gestaltet sein, wie ihre eigene. Er zieht eine Parallele dazu, wie sie es mit Pflanzen halten.

Die Leseprobe vom Verlag zeigt, wie schön das Buch auch grafisch gestaltet wurde.


Mehr Informationen

Autor: Stefano Mancuso und Alessandra Viola
Titel: Die Intelligenz der Pflanzen
Erschienen: 11. Februar 2015
Verlag: Kunstmann
Form: 172 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3956140303
Preis: 19,95 €


Genre: Pflanzen, Sachbuch, Umwelt
Illustrated by Kunstmann München

Der Mann in der fünften Reihe

der-mann-in-der-fuenften-reihe-veronique-olmiDas Buch startet auf einer Freilichtbühne. „Ich weiß nicht, wie lange ich schon auf dieser Bank sitze. Seit Stunden fährt kein Zug mehr ab, kommt keiner mehr an. Ein regloser Bahnhof. Eisige Stille bis ins Mark meiner Knochen.“ (Seite 7) So beginnt die Erzählerin ihren vielschichtigen Monolog.  An diesem Abend kehrt sie nicht nach Hause zurück, sondern verbringt die ganze Nacht auf dieser Bank am gare d l’est. Sie ist in einem Vakuum gelandet, aber ihr Gehirn ist in vollem Gange, bereit zur Explosion. Sie beginnt Wer ist diese Frau?

Nelly ist eine 47 Jahre alte Frau, Mutter von zwei Jungen und Theaterschauspielerin, die ihre Tage im Erwartungsstress bis zu ihrem Auftritt, zu ihrer Show-time am Abend verbringt. „Ich bin siebenundvierzig und warte immer noch darauf, dass mein Leben anfängt.“ (Seite 24)

Im Augenblick spielt sie in dem Stück „Sechs Personen suchen einen Autor“ von Luigi Pirandello. Es ist eine Tragödie von Missverständnissen und Schrecken; von der Unfähigkeit, sich auszudrücken und, zu kommunizieren. Und tatsächlich scheinen die Frau und die Schauspielerin zu verschmelzen. Wer leidet hier? Die Rolle oder die Frau selber. Bilder ihres Lebens kommen zu ihr zurück wie Bumerangs. Sie liefert eine Art Beichte ab: über die Atmosphäre in der Umkleidekabine, über die panische Angst vor dem Zuspätkommen, vor dem Vergessen ihres Textes, über die Aufregung auf der Bühne, über ihre Kindheit am Meer, ihre Eltern, ihren Geliebten, über eine Mutter, die nach und nach in die Dunkelheit des Vergessens sinkt; über einen Vater, eine wunderbar tragische Figur in seiner zweiten schüchternen Rolle, wo es vielleicht Einsamkeit oder Versuchung von Selbstmord gab; über ihre Söhne, die nicht wissen, „wie sehr sie schon vor mir wegrennen.“ (Seite 36) Und natürlich über den Mann, den idealen Mann am idealen Platz in der Mitte der fünften Reihe, dem sie sich verweigerte, ohne ihn zu vergessen. „Diesen Mann in der Mitte der fünften Reihe – der ideale Platz. Diesen Mann, dessen Name ich seit sechs Monaten verschweige, dessen Existenz ich verleugne. Seine Anwesenheit, die meine vernichtet.“ (Seite 61)

Es gibt keine Gnade für Nelly. Woher bezieht sie die Kraft, sich vor dem Versinken zu retten? Eine lange Geschichte, ein schöner Monolog einer Frau, die in den Fallen der Leidenschaft gefangen ist. Véronique Olmi variiert ihr Hauptthema: das leidenschaftliche Leben von und für Liebe. Sie zeigt uns die Schwierigkeit der Liebe, die Sehnsucht nach Liebe und die unmögliche Liebe. Und sie beschreibt perfekt die verheerenden Auswirkungen der Leidenschaft, das Glück, das sie bringt, und vor allem die Schmerzen die sie verursacht. Wie kaum eine Zweite versteht es Véronique Olmi auf sehr reife, subtile Weise Emotionen genau und kraftvoll zu destillieren und diese Schlüsselmomente festzuhalten, wenn ein ganzes Leben kippt. „Lieben oder sterben wollen, eigentlich ist es dasselbe: der Wunsch, woanders zu sein.“ (Seite 18)

Die zerbrechliche Nelly Bauchard sucht nach Antworten: „Wie nennt man eine Liebe, die weder enden noch neu beginnen, sich weder belügen noch erniedrigen kann?“ (Seite 100); Warum vereinigen wir uns mit Menschen, die uns lieben und uns irgendwann in Fetzen zurücklassen? Warum geben wir dem anderen, was wir so sorgfältig bewahrt haben?“ (Seite 107)

Véronique Olmi liefert eine fragmentierte Erzählung. Kurzer Absatz auf kurze Absätze, mit viele kleinen Szenen. Ihre Sprache ist wie Musik, einfache Akkorde, die den Ton verzweifelter, weiblicher Charaktere treffen. Ein Text kurz, aber reich, gefühlvoll und subtil, der uns auf zwei Ebenen unterhält. Mich berührt dieser präzise und fast minimalistische Stil. Mir scheint, dass dieses Buch eine ganz ausgezeichnete Vorlage für ein Ein-Personen-Stück am Theater geeignet wäre. Ein herausfordernder Monolog für eine große Schauspielerin, wie zum Beispiel Isabell Huppert.

Véronique Olmi hat uns eine brillante zeitgenössische Variation zum Denken von Tristan in „Tristan und Isolde“ geliefert, der Beweis, dass Leidenschaft ebenso zeitlos ist, wie sie der menschlichen Natur eigen ist: Oder wie Gustave Flaubert sagte „Liebe erblüht im Staunen einer Seele, die nichts erwartet und sie stirbt an der Enttäuschung des Ichs, das alles fordert.“

Mit Véronique Olmis traurigem und berührendem Buch „Der Mann in der fünften Reihe“ wählen Sie eine Lektüre in dessen erzählerischen Spannung Sie sich verlieren, ja ertrinken können. Das Buch wird Sie verführen.


Genre: Romane
Illustrated by Kunstmann München

Geschwisterkinder

GeschwisterkinderMilla und Ritschie sind Geschwister, gemeinsam verlebten sie eine wohl als normal und behütet zu bezeichnende Kindheit. Mittlerweile sind sie in ihren Zwanzigern, leben beide in Berlin, räumlich nicht weit voneinander entfernt und einander doch entfremdet. Es gab keinen greifbaren Anlaß für die Distanz, die zwischen ihnen entstand. Eher war es die Trivialität ihrer Alltage, die beide verstummen ließen und dazu führte, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Was sie noch eint, sind die Erinnerungen an die Zeit, als der große Bruder die kleine Schwester Milla beschützte und ihr den Weg ebnete. Wenn auch jeder von ihnen sich seiner Erinnerungen nicht sicher ist, “wie viele Erinnerungen es geben mochte, die niemals wieder hervorgerufen wurden.”

In ihrer in fünf Abschnitte gegliederten Erzählung Geschwisterkinder berichtet die junge Autorin Hanna Lemke von einer langsamen Wiederannäherung zweier Geschwister im oft flüchtigen Umfeld einer hektischen Großstadt. Der Besuch eines alten Freundes ihrer Familie und die Einladung zu einer Hochzeit von Bekannten sind die Auslöser dafür, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie beginnen zu reden, über ihre Gedanken und Gefühle. Über die Zeit, die sie hatten und die Zeit, die vor ihnen liegt. Sie erkennen, dass nicht jede Erinnerung eine glaubwürdige sein muss und sie es verdienen, einander ganz neu kennen zu lernen und ihre erstarrte Beziehung zu beleben. Sich gegenseitig die Angst vor all dem zu nehmen, was sich in ihrem Leben falsch und fremdbestimmt anfühlt. Schließlich wagt der ältere Bruder ein klares, ehrliches Hilfsangebot. Für die nächste Zeit wird er wieder derjenige sein, der die kleine Schwester beschützt und unterstützt auf ihrem Weg zu sich selbst. Auch wenn ihrer beider Leben scheinbar einfach nur seinen Lauf fortsetzt, die Gangart in diesem Lauf wird eine andere sein.

Hanna Lemke legt mit ihrer Erzählung zwei fein gezeichnete Charakterstudien vor. Ihr klarer Bericht zwingt den Leser zur Langsamkeit, dazu jeden ihrer poetischen Sätze so genau und bewusst zu lesen, wie sie auch geschrieben wurden. Hanna Lemke erzählt geschliffen, sie beobachtet genau, fast schon detailverliebt, aber sie wertet nicht. Der Leser mag seine eigenen Schlüsse ziehen. Zwar kommt er den Geschwistern näher, doch so richtig versteht er sie nicht. Zur Identifikation wird er nicht aufgefordert. Er bleibt seltsam distanziert und ein Beobachter aus der Ferne. Man legt das Buch tief beeindruckt aus der Hand, doch richtig begeistert ist man nicht. Das Bemühen der Autorin, die Beziehung der Geschwister auf das Wesentliche zu reduzieren – vielleicht ist es zu radikal. Auch wenn man die Abgründe hinter der Banalität des Lebens spürt, der letzte entscheidende, empathische Funke – mir hat er gefehlt.

Nachwirken werden Hanna Lemkes Sätze. Sätze wie gemalt, fein komponiert. Es sind Sätze, die man sich in die eigene Erinnerung mitnehmen und von denen man sich begleiten lassen kann.

Die gebürtige Wuppertalerin Hanna Lemke studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2010 debütierte sie mit dem Kurzgeschichtenband Gesichertes, welcher von der Kritik hoch gelobt wurde. Auch Geschwisterkinder ist in Summe eine lesenswerte Erzählung, die Lust auf mehr von dieser jungen Autorin macht.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Kunstmann München

Das Mädchen, das sterben sollte

Auf dem Filmset von Megastar Thomas Bayne in der libyschen Wüste geht eine Bombe hoch und tötet fast hundert Leute. Die Welt hält 99 Minuten lang den Atem an, bis feststeht, dass Bayne nicht zu den Getöteten zählt. Während dessen sucht die 28jährige Fremdenführerin Susan Mantle eine Wahrsagerin, Dawn Sage, auf, mit der sie in einem Haus wohnt. Von ihr will sie wissen, ob ihr neuer Freund der Richtige für sie ist. Doch die Prophezeiung der geheimnisvollen Seherin wirft sie aus der Bahn. »Sie werden berühmt. Sie werden reich. Sie werden über Erde und Wasser reisen. Sie werden einem großen dunklen Fremden begegnen. Sie werden Nein zu ihm sagen bis zu dem Tag, an dem Sie Ja sagen. Am Tag darauf werden Sie sterben.«

Völlig verwirrt stolpert Susan aus der Höhle der Wahrsagerin und läuft tränenüberströmt einem Fernsehteam in die Arme, das Stellungnahmen zu dem Attentat sammelt. »Dem Tod wird kein Reich mehr bleiben«, stammelt sie unter dem Eindruck der Nachricht vom bevor stehenden eigenen Tod weinend in die Kamera, ohne zu wissen, worum es den Interviewern überhaupt geht. Die mysteriöse Stellungnahme gelangt in die Nachrichten und wird dort immer wieder gezeigt. Bald ist Susan »das geheimnisvolle Mädchen« und wird über Nacht berühmt. Die erste Prophezeiung der Wahrsagerin geht damit in Erfüllung.

Schon am nächsten Tag ist das geheimnisvolle Mädchen in aller Munde. Zeitungen drucken ihr Konterfei und PR-Berater belagern sie am Telefon. Von einem Unbekannten wird eine Million Dollar auf ihr Konto überwiesen, und damit trifft auch der zweite Teil der Weissagung ein. Susan bekommt Angst und würde am liebsten der Wahrsagerin die anonyme Million überweisen, damit keine weiteren Voraussagen in Erfüllung gehen. Ehe sie sich versieht, haben jedoch die Medien Besitz von ihr ergriffen. Filmstars, Rockgenies und die Shakespeare Company wollen mit ihr gemeinsam auf Sendung gehen, doch sie verkriecht sich in ihrem Bett, um dem verkündeten Schicksal zu entgehen. Clevere Fernsehleute machen daraus die Reality-Show »The Babe in Bed Forever«.

Susan Mantle will einfach nicht berühmt werden und wehrt sich gegen das Liebeswerben quotengieriger TV-Typen, spirituell erleuchteter Hollywood-Stars, Ex-Lover und angeblicher Freundinnen, die sich um sie versammeln. Je mehr sie sich dem Trubel zu entziehen versucht, desto mehr wird sie in den Mahlstrom hinein gezogen. Selbst verliebte Zyniker, Depressive und voll verblödete Typen geben sich die Tür in die Hand und lassen ein Bild vom Narrenhaus entstehen, das sich Fernsehen nennt.

Das Buch, dessen Titel im ersten Augenblick wie ein Kriminalroman wirkt, ist tatsächlich ein höchst verschachtelter Dialogroman mit Anspruch. Der gesamte Text besteht ausschließlich aus ständigen Telefonaten und Gesprächen mit Eltern, Freundinnen, Freunden, Managern und anderen Figuren. Abgesehen von der Kunstfertigkeit, mit der die Handlung entwickelt und erzählt wird, verlangt der Text vom Leser höchste Konzentration, um der Satire folgen zu können.


Genre: Romane
Illustrated by Kunstmann München

Der Ruinenwächter von Havanna

\"Ponte

Ponte liest. Foto: © Wilhelm Ruprecht Frieling

In seinem satirischen Roman »Unser Mann in Havanna« schreibt Graham Greene seinem Protagonisten James Wormold, einem als Staubsaugervertreter getarnten britischen Geheimagenten, ins Tagebuch: »Es war an der Zeit … seine Sachen zu packen und die Ruinen von Havanna zu verlassen«. Anders als Wormold verlässt Pontes Protagonist Havanna zum vollkommenen Unverständnis seiner Freunde nicht. Vielmehr hält er es mit Maupassant, der Frankreich wegen des Baus des von ihm und anderen Künstlern als »Schandfleck« bezeichneten Eiffelturms verließ, dann jedoch zurück kehrte und häufig im Restaurant der Stahlgiraffe anzutreffen war. Dies war nach seinem Bekunden der einzige Platz in Paris, wo er den Turm nicht sehen musste.

Antonio José Ponte versteht sich selbst als »Ruinologe«. Der in Kuba mit Preisen und einer Literaturprofessur geehrte Autor ist dort inzwischen in Ungnade gefallen und lebt seit 2006 im Madrider Exil. Er wurde vom kubanischen Schriftstellerverband »deaktiviert«, damit bleibt er zwar formal Mitglied, darf jedoch weder publizieren noch Ehrenämter bekleiden. »Der Ruinenwächter von Havanna« ist seine erste in deutscher Sprache vorliegende Publikation.

Ponte unternimmt literarische Streifzüge durch Havannas Altstadt auf den Spuren von Graham Greene, Jean Paul Satre und Ry Cooder. Er beschreibt die Altstadt der kubanischen Hauptstadt als einen Unfall in Zeitlupe, als ein unaufhaltsames Zerbröseln von Bausubstanz, von Gebäuden und Quartieren. Über Jahre häufte sich ein Berg von Problemen an, der auch durch die Einrichtung neuer Museen und von Bars, die sich bei näherem Hinsehen selbst als Museen entpuppen, nicht abgetragen wurde. Ponte meint, die größte städtebauliche Leistung durch die Revolutionsregierung bestehe darin, Havanna seinen Bewohnern entfremdet zu haben: »Derart fremd geworden, dass niemand sich für die Stadt verantwortlich fühlt, wird sie aus der Ferne vermisst«.

Der Autor beobachtet das Entstehen von etwas, das er »horizontale Ruine« nennt: nicht einzelne zusammen stürzende Gebäude, sondern eine ganze Stadt, die sich flächendeckend in eine gigantische Ruinenkonstruktion verwandelt, in der immer wieder der Strom ausfällt. Jahrelang leuchtete ganz oben an der Fassade des Bauministeriums die Losung »Revolution ist Bauen«. Allerdings wird die Ära Castro nach Ansicht des Autors wohl ohne bemerkenswerte bauliche Hinterlassenschaften zu Ende gehen; es fehlt sowohl an Verantwortungsbewusstsein für die Rettung der Altstadt als eine Architektur der Moderne.

Letztlich besteht der Irrtum der sozialistischen Wohnungspolitik darin, den Bewohnern die Verantwortung über den Wohnraum zu überlassen, die den vorherigen Eigentümern genommen wurde. Doch die neuen Besitzer, die in Havanna teilweise sogar ihre eigene Miethöhe festsetzen durften, verhalten sich wie Tauben: sie verlassen die Gebäude, sobald sie vollends unbewohnbar geworden sind und flattern durch die Löcher in den Dächern, um den nächsten freien Winkel zu besetzen.

Wann wird ein Gebäude zur Ruine, fragt Ponte und antwortet: »Man steht von dem Moment an vor einer Ruine, wenn die Schäden an einem Gebäude unwiderruflich sind. Wenn es nicht mehr das Verlangen nach Wiederaufbau weckt, hat das Gebäude angefangen, zur Ruine zu werden. Das Zeichen ist ein Sims, der unter allgemeiner Teilnahmslosigkeit am Boden landet, oder das nicht zur Kenntnis genommene Abfallen eines Balkons.«

Abseits aller Revolutionsromantik um Fidel Castro, Camilo Cienfuegos und Ernesto Che Guevara und dem von der Buena-Vista-Rhythmik beschworenen Mythos wird mit diesem ungewöhnlichen Werk das Ende eines Systems an einem seiner schwächsten Punkte karikiert: an seinem Umgang mit dem Altern der Hauptstadt. Der »Ruinenwächter von Havanna« ist ein romanhafter Essay mit verstörendem Effekt auf den Leser und sicherlich eines der ungewöhnlichsten Zeugnisse der aktuellen kubanischen Literatur.

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Genre: Romane
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Wortstoffhof

Kaum ein Land dürfte es auf der Welt geben, meint Axel Hacke in der Vorrede zu seinen alphabetisch aufgereihten Sprachgeschichten, in dem der Wiederverwertungsgedanke ausgeprägter ist als in unserem lieben Deutschland. Ergo legte er in seinem Büro ein Eckchen für sprachlichen Abfall an, den er jetzt in Buchform wiederverwertet.

Schlecht übersetzte Speisekarten, rätselhafte Schild-Texte, kryptische Gebrauchsanweisungen, falsch getrennte Wörter, vollkommen unverständliche Tourismus-Prospekte und anderes mehr sammelte der Autor. Unter dem Titel »Der Sprach-Wertstoffhof« richtete er im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« eigens eine Kolumne ein, um nachzuweisen, dass sich aus fast allem etwas machen lässt. Es geht ihm dabei um nichts anders »als um den Spaß am Valschen, die Poesie des Irrthums, die Freude an der Fehlleistunck« – um einen Reichtum also, der erst durch menschliche Schwäche entsteht.

Hacke beginnt seine Betrachtungen mit »Äh« und »Ähm« und der Frage, ob es sich bei diesen Lauten um Geräusch- bzw. Sprech-Abfall oder um normale Wörter handelt. Unter diesem Aspekt analysiert er den König des »Äh«, Edmund Stoiber. Er kommt zum Ergebnis, dass Stoiber ein ganz Großer ist: »Ein Rhythmiker. Ein Sprachmusiker. Ein Virtuose des Äh«.

Er wandert weiter über das »Autorenerwachen«, den »Betäubungslärm« zum »Biermörder«, bestellt ein »Drahthuhn«, erfreut sich am musikalischen Spiel einer «Fötengruppe«, erfreut sich einer »hyänischen Kauflaune«, kommt vom »Mischdünger« auf den »Mpfplan«, behandelt den »No-Nonsense«, besucht das »Öktöbärfäst« enträtselt das Geheimnis des »Poppencorken« und springt schließlich durch ein »Zeitfenster«.

Wer Freude an lebendiger Sprache hat und gern lacht über Wortschöpfungen, die uns der Alltag schenkt, dem sei dieser Band von Axel Hacke dringend empfohlen.


Genre: Sprache
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Wenn Sie mich fragen

Rainer Erlinger bekleidet im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« die Position des Moralapostels. Mit seiner Kolumne »Gewissensfragen« behandelt der gelernte Arzt und Jurist Alltagsfragen seiner Leserschaft. Dabei versucht er, auf vergnügliche Weise in die philosophischen und rechtlichen Grundlagen unseres Wertesystems einzuführen.

Darf das Tagebuch einer Verstorbenen, das zur Vernichtung bestimmt ist, geöffnet werden? Verhält sich ein passionierter Radfahrer korrekt, wenn er einem liegen gebliebenen Autofahrer die Hilfe verweigert? Ist es statthaft, den noch nicht abgelaufenen Parkschein eines anderen Automobilisten zu verwenden? Darf ein umweltbewusster Mensch den Verkehr aufhalten? Besteht eine Verpflichtung, seiner besten Freundin zu verraten, dass ihr Lebensgefährte sie ständig betrügt? Sollte eine Mutti mit Kinderwagen einen Radfahrer, der wegen schlechter Straßenverhältnisse den Gehweg benutzt, passieren lassen? Ist es richtig, 8,20 Euro Lohnsteuerjahresausgleich geltend zu machen, wenn es den Staat Hunderte von Euro kostet, das zu bearbeiten?

Erlinger beantwortet diese und ähnliche Fragen, indem er in die Tiefen der Jurisprudenz ebenso einsteigt wie in die Summations- oder Intelgralethik beziehungsweise ihr Gegenteil, die Fraktal- oder Einzelaktethik. Bei der Lösung der moralischen Zwickmühlen vermittelt er Denkanstöße und vermittelt Wissen und Einsichten ohne zu belehren. Dabei differenziert er zwischen der Moral als Ansammlung von formellen oder informellen Regeln des Staates, die sich historisch aus Gründen des Erhalts von der Macht einer Gemeinschaften gebildet haben und der Ethik, die es gestattet, Verhaltensregeln für die Menschen im Staat abzuleiten.

Darf ich dies, darf ich das? – In den Fragen, auf die der Moralkolumnist eingeht, spiegelt sich indes auch die Mentalität seiner Leser, und die ist mitunter erschreckend. Mit der Unbescheidenheit von Erbsenzählern wird auf vermeintlichen Rechtspositionen geritten, und die Hilfssheriff-Mentalität vieler Deutscher schimmert aus dem Dickicht der Fragen. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist es vergnüglich, Erlingers Antworten zu goutieren. Ob es allerdings dazu eines eigenen Buches bedurft hätte, kann nur der Verlag beantworten, der sich davon eine Zweitverwertung erhofft. Viele der Kolumnen sind jedenfalls auch online zu finden.

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Genre: Kolumnen
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Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück

Nach dem Erfolg seines ersten Bandes legt Axel Hacke jetzt einen Nachschlag zum Stichwort »Verhören« bei Gedicht- und Liedzeilen vor. Der auf dem Hörfehler eines Musikenthusiasten fußende Buchtitel machte seinen »weißen Neger« zu einer poetischen Traumgestalt. Der Zuhörer verwandelte die vertonten Gedichtzeilen »und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel wunderbar« aus »Der Mond ist aufgegangen« von Matthias Claudius in: »und aus den Wiesen steiget / der weiße Neger Wumbaba«.

Wie bereits im ersten Band schöpft der Autor aus zahlreichen Leserzuschriften auf seine entsprechenden Kolumnen in der »Süddeutschen Zeitung« sowie aus inzwischen entstandenen Internetforen, die sich alle mit dem Thema des Verhörens beschäftigen. So ergänzt er seinen Wumbaba durch den »Kinder-Lehmann«, »Jack, die Sau« und den »Schlächter Müller«, allesamt Gestalten, die aus Hörfehlern resultieren.

Hacke belauscht das kirchliche Leben, wenn Gläubige singen: »Lasst uns froh und Monster sein«. Er besucht Landstriche wie »Hedwig Holstein« und widmet sich der deutschsprachigen Popmusik, für die er eine »Hitparade deutschsprachiger Verhörsänger« aufstellt. Erstplatzierter wird Herbert Grönemeyer, der es mit seiner Nuschelstimme gerade darauf anlegt, dass der Hörer eigene Texte erraten und herstellen soll.

Der Autor widmet sich der Thematik in professioneller Routine. Die Lektüre des Büchleins ist vergnüglich, ein sprachliches oder stilistisches Meisterwerk ist es jedoch nicht. Da hat Hacke mit seinem »König Dezember« wesentlich bessere Leistungen vorgelegt. Deutlich aufgewertet wird das Werk jedoch von dem Berliner Maler und Zeichner Michael Sowa, der herrliche Illustrationen beisteuerte, die allein schon den Erwerb des Buches rechtfertigen.

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Genre: Humor und Satire
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Das Doppelleben des Vermeer

Er ist bankrott, krank, drogensüchtig, doch triumphierend. Obwohl er ein wahnsinniges Vermögen verdiente, war sein Ziel die Rache an einer Kunstwelt, die sein Werk belächelte. Han van Meegeren ist Künstler, der es verstand, einen der außergewöhnlichsten und geheimnisvollsten Maler der holländischen Kunstgeschichte so perfekt zu fälschen, dass sich die Kunstwelt nach wie vor streitet, ist er echt, ist er nicht echt? Jan Vermeer.
Wie viel muß ein Fälscher wissen, Technik, Malstil, Epoche, Leinwand, Farbzusammensetzung und…?
Der Künstler, der in die Haut eines anderen schlüpfte, um Anerkennung zu finden, wird vom Hochverräter zum Volksheld, als man nach 1945 in Holland entdeckt, dass ein Hauptwerk Vermeers in den Besitz von Hermann Göring gelangte. Der Drahtzieher des Verkaufs war der heruntergekommene Maler Han van Meegeren. Er wird verhaftet und Han van Meegeren gesteht. Doch nicht den Verrat an Holland, den Ausverkauf nationaler Kulturgüter. Er hat das Bild gefälscht, und mit ihm sechs weitere, erst „unlängst“ wiedergefundene Vermeers, mit denen sich die bedeutendsten Museen der Zeit schmücken.
Wie konnten sich die Experten über Jahre derartig täuschen lassen? Wie gelang es einem Autodidakten, alle technischen Analysen auszutricksen und die Mär vom untypischen „anderen Vermeer“ durchzusetzen?
Ein spannendes Buch – wie ein Kriminalroman: ich empfehle es jedem, der sich für Kunst und Malerei und die dahinter steckenden Machenschaften interessiert.


Genre: Kunst, Musik und Literatur
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Studs meets music

Viele sagen, das Leben sei mit Hilfe der Musik in den menschlichen Körper gelockt worden. Die Wahrheit ist aber, dass das Leben selbst Musik ist.
Passender als mit diesem Zitat von Hafis, einem persischen Dichter des vierzehnten Jahrhunderts, kann man ein Buch über Musik und Musiker nicht beginnen.
Der Pulitzer-Preisträger Studs Terkel war jahrelang Gastgeber einer Radioshow in Chicago, der Studs Terkel Show, und präsentierte seinen Zuhörern nicht nur Musik, sondern auch Gespräche mit Vertretern verschiedener Musikrichtungen.
“Studs meets music” enthält mehr als zwanzig Interviews mit den bekanntesten Musikern des zwanzigsten Jahrhunderts.
Unter diesen Höhenpunkten erzählt Jon Vickers von seiner Liebe zur Musik von Wagner, oder Louis Armstrong berichtet aus seinem langen Musikerleben. Ravi Shankar erwähnt seine Begegnung mit den Beatles, und Amerika’s großer Balladensänger Woody Guthry erinnert sich an seine Begegnungen und Wanderungen in den Vereinigten Staaten. Big Bill Broonzy sitzt in einem Studio, spielt die Musik längst verstorbener Freunde und berichtet aus seinem Leben. Kurze Zeit später, man schreibt das Jahr 1958, ist auch Big Bill tot.
Mit einem tiefgreifenden Wissen und einer enormen Wertschätzung seiner Gesprächspartner stellt Studs Terkel seine Fragen und liefert dem Leser ein kenntnisreiches Buch voller herrlicher Porträts.


Genre: Kunst, Musik und Literatur
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Der kleine König Dezember

Der kleine König Dezember lebt in einem Mauseloch in der Wohnung des Erzählers, mit dem er sich gelegentlich zu Gesprächen trifft. Kaum größer als ein Gummibärchen, entstammt der kleine Wicht einem Geschlecht, das permanent schrumpft – bis er schließlich völlig verschwunden ist.

Axel Hacke hat den Däumling eines Tages in seinem Bücherregal gefunden und sich mit ihm angefreundet. Er erkundet mit ihm die Stadt und lauscht den Geschichten vom kleinen König Dezember II., der von seinem Vater, König Dezember I. und seinem Großvater König Dritter Januar, erzählt.

In der Welt des dicken kleinen Mannes, der in einem langen roten Mantel mit Hermelinbesatz steckt, wird man groß geboren, man weiß schon alles, kann lesen und schreiben. Mit zunehmendem Alter wird man klitzeklein und zu guter Letzt unsichtbar. Es ist alles spiegelverkehrt zum menschlichen Leben, und doch gleicht sich vieles.

König Dezember vertritt die Ansicht, dass man lebt, um zu träumen. Sein klitzekleines Wohnzimmer ist voller Schachteln, in der seine schönsten Träume fein säuberlich verpackt liegen. So kann er bequem wirklichkeitsfrei leben, und der Leser fühlt sich vielleicht ebenfalls angeregt, ein wenig mit der kleinen Exzellenz in den Tag zu träumen.


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Kunstmann München