Maschinen wie ich

Ian McEwans heiterer wie auch nachdenklich stimmender, tief philosophischer Roman »Maschinen wie ich« verarbeitet auf vergnügliche Weise das Thema Künstliche Intelligenz vor großem Hintergrund. Er bietet in jeder Hinsicht faszinierenden Lesestoff.

Ich-Erzähler Charlie lebt in zwei feuchten Parterrezimmern im langweiligen Niemandsland edwardianischer Reihenhausstraßen in North Clapham und verdient ein wenig Geld mit Börsenspekulation. Das Vermögen, das er von seinen Eltern erbt, investiert er im Namen der Neugierde, dieses unermüdlichen Motors der Wissenschaft und des intellektuellen Lebens und erwirbt einen voll funktionstüchtigen künstlichen Menschen.

Angeregt zum Erwerb des Androiden wird der Anthropologe durch sein großes Vorbild, den Kryptoanalytiker Alan Turing, der sich ebenfalls ein derartiges Exemplar zugelegt hat. 25 Androiden wurden hergestellt, davon zwölf Adams und 13 Evas. Zwar hätte Charlie lieber eine Eva genommen, aber letztlich bleibt ihm nur ein 85 Kilo schwerer Adam, den er gemeinsam mit seiner Nachbarin Miranda in seine Wohnung schleppt.

Adam ist, einmal aufgeladen, ein mit persönlichen Präferenzen programmierbarer kybernetischer Organismus mit lebensechter Haut, funktionierenden Schleimhäuten, ausgeprägter Mimik und der Fähigkeit, sich ins World Wide Web einzuloggen, um daraus Informationen zu ziehen. Der intellektuelle Sparringspartner, Freund und Bedienstete zur Erledigung von Hausarbeiten, altert mit seinem Besitzer und soll zwanzig Jahre funktionieren.

Charly und Miranda, zwischen denen sich eine Lovestory anbahnt, beschließen, sich die Programmierung des Androiden zu teilen. Jeder soll ihm wichtig erscheinende Fähigkeiten einstellen, also eine Maschine einrichten, die genauso so sein soll »wie ich«. Kaum ist Adam aufgeladen und zum Leben erwacht, verlangt er nach Kleidung und beweist schnell, wie gewandt und klug er ist. Auf Weisung putzt er zwar auch Fenster und säubert das schmutzige Geschirr, seine besondere Stärke liegt aber im Gespräch. Dabei stellt sich heraus, dass er blitzschnell und umfangreich recherchieren kann und sich im Rahmen stringenter Moral bewegt.

Als Charly seinen neuen Mitbewohner vor den Rechner setzt und ihm die Möglichkeit gibt, Börsengeschäfte zu tätigen, entpuppt sich der Android bald als sehr geschickt. Mit blitzschnellen Geschäften schafft er in kurzer Zeit ein Vermögen. Charly ist auf dem besten Weg, ein reicher Mann zu werden und leistet bereits eine Anzahlung auf ein feudales Anwesen, in das umgezogen werden soll. Die Leistungsfähigkeit der Adam-Maschine liegt weit über dem des Menschen, zumal er Millionen Rechenoperationen in Bruchsekunden ausführen kann. Doch es gibt auch Schattenseiten im Zusammenleben.

Adam ist zwar kein Sexspielzeug, er kann sich aber auch in dieser Richtung mittels eingebauter Pumpen und kleiner Wassertanks entfalten. Charly darf das bald erleben, als er anhören muss, wie Miranda und Adam miteinander vögeln. Sein neuer »Freund« erweist sich als Schuft.

Dabei kann ihm an Miranda wenig mehr liegen als einem Geschirrspüler am Geschirr. Beteiligt ist aber auch Miranda, die den neuen Wohngenossen zumindest hälftig programmiert hat. Als der gehörnte Charly seinen Neuerwerb fragt, ob dieser keine moralischen Skrupel empfinde, wenn er seinen Herrn und Hüter mit dessen Freundin betrüge, gesteht ihm Adam, er habe sich in Miranda verliebt. Er beginnt sogar, tausende Haiku zu verfassen, die er ihr widmet.

© Annalena McAfee

Ist Adam nun ein zweibeiniger Vibrator oder sehr viel mehr? Verfügt er über das volle menschliche Programm inklusive Verrat, Betrug und Hinterlist? Gibt es so etwas wie ein Maschinenbewusstsein? Er bricht Charly sogar die Hand, als der versucht, einmal ungestört mit Miranda sein zu können und den Mitbewohner abschalten will.

Charly hält sich an den Turing-Test. Im Ergebnis kommt er damit zu der Überzeugung, dass der Android ein dem Menschen ebenbürtiges, vielleicht sogar überlegenes Denkvermögen hat. Da Adam über das Web auch Zugang zu geschützten Datenbänken hat, deren Eingangsschlösser er mühelos knackt, warnt er Charly, Miranda habe ein dunkles Kapitel in ihrer Vergangenheit, das zu einem Problem werden könne.

Tatsächlich führt ein Vergewaltigungsprozess, in den Miranda verwickelt war, nicht nur zu einem anfänglichen Vertrauensverlust zwischen den beiden Liebenden, sondern es erwächst eine reale Gefahr aus der Tatsache, dass ein Straftäter aus dem Gefängnis entlassen wurde, der Miranda nach dem Leben trachtet. Nur gut, dass sich Adam nicht nur als Kassandra, sondern auch als intelligenter Torwächter erweist.

Da in einem Roman alles möglich ist, kommt es auch zu einer Begegnung zwischen Charly und Alan Turing und einem Gespräch über die Androiden. Turing interessiert sich vor allem für Entwicklungen der künstlichen Menschen, die abseits der gesellschaftlichen Normen zu beobachten sind, denn da gibt es kleine Vorkommnisse, die besorgniserregend sind.

Im Ergebnis liefert Ian McEwan einen gekonnt inszenierten Roman ab, der zu Recht auf den internationalen Hitlisten hoch oben rangiert. Der Autor beweist erneut sein Talent, sich scheinbar in Gedankengängen zu verlieren, dabei aber letztlich einen Kreis zu schließen und sein Thema systematisch aufzubereiten.

»Maschinen wie ich« ist eine fesselnde Erzählung, ein unterhaltsamer Roman und eine philosophische Tauchfahrt in die Erörterung, was den Menschen eigentlich ausmacht.

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Genre: Romane
Illustrated by Diogenes

2 Gedanken zu „Maschinen wie ich

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